Eduard Suess
DAS ANTLITZ DER ERDE
Erster Band
(Zweite Auflage 1892)
ERSTER ABSCHNITT.
Die Sintfluth.
Meeresfluthen. — Zwei Berichte in der biblischen Darstellung vereint. — Berosus. — Das Izdubar-Epos. — Oertlichkeit. — Verwendung von Asphalt. — Warnungen. — Die Katastrophe. — Strandung. — Abschluss des Ereignisses. — Neuere Vorgänge an ostindischen Flüssen. — Indus. — Ran of Kachh. — Ganges und Brahmaputra. — Wirbelstürme. — Wesen und Verbreitung der Sintfluth. — Eintheilung der Berichte. — Berosus und Izdubar-Epos. — Biblische Berichte. — Aegypten. — Hellenisch-syrische Gruppe. — Indien. — China. — Schluss.
Charles Lyell hat, wie Niemand vor ihm, gezeigt, auf welche Weise in der Natur durch kleine Kräfte grosse Wirkungen erzielt werden. Aber der Maassstab für Klein und Gross, sowie für die Dauer und die Heftigkeit einer Naturerscheinung wird, wie Ernst v. Baer in tief durchdachten Worten gelehrt hat, in gar vielen Fällen aus der physischen Organisation des Menschen genommen. Das Jahr ist ein Zeitmaass, welches das Planetensystem uns darbietet; sprechen wir von einem Jahrtausend, so haben wir das Decimalsystem und damit den Bau unserer Extremitäten eingeführt. Berge messen wir oft noch nach Füssen ; lange und kurze Zeiträume unterscheiden wir nach der mittleren Lebensdauer des Menschen und folglich nach der Gebrechlichkeit unseres Körpers, und für die Bezeichnungen ,heftig' oder , minder heftig' entnehmen wir in gleicher Weise unbewusst das Maass dem Kreise der persönlichen Erlebnisse.
So haftet das Urtheil an dem physischen Leibe und liebt zu vergessen, dass der Planet wohl von dem Menschen bemessen werden mag, aber nicht nach dem Menschen. Indem man sich der Bewunderung des Korallenthierchens hingab, welches das Riff thürmt, und der Betrachtung des Regentropfens, welcher den Stein höhlt, hat sich, fürchte ich, aus der friedlichen Alltäglichkeit des bürgerlichen Lebens ein gewisser geologischer Quietismus herübergeschmeichelt in die Beurtheilung der grössten Fragen der Erdgeschichte, welcher nicht zu der vollen Beherrschung jener Erscheinungen führt, die für das heutige Antlitz der Erde die maassgebendsten waren und sind.
Die Zuckungen, von welchen weit häufiger, als man noch vor kurzer Zeit annahm, einzelne Stücke des äusseren Felsgerüstes der Erde ergriffen werden, mahnen deutlich genug, wie einseitig eine solche Anschauung der Dinge ist. Die heutigen Erdbeben sind gewiss nur gar schwache Erinnerungen an jene tellurischen Bewegungen, von welchen der Bau fast jedes Gebirgszuges Kenntniss gibt. Es sind zahlreiche Beispiele des Gefüges grosser Gebirgsketten bekannt, welche innerhalb der Stetigkeit der grossen Vorgänge einzelne Episoden als möglich, in gewissen Fällen sogar als wahrscheinlich erscheinen lassen, von so unsagbar erschütternder Gewalt, dass die Einbildungskraft sich sträubt, dem führenden Verstände nachzufolgen und das Bild auszugestalten, für welches aus beobachteten Thatsachen dieser die Umrisse setzt.
Solche Katastrophen hat, so weit geschriebene Berichte reichen, unser Geschlecht nicht erlebt. Das gewaltigste Naturereigniss, von welchem menschliche Erinnerungen erzählen, trägt den Namen der Sintfluth, und es soll der Versuch unternommen werden, die physische Grundlage der alten Berichte aufzusuchen. Dieser Versuch soll unternommen werden auf Grund der keilschriftlichen Texte, und ich habe bei demselben eine sehr wesentliche Unterstützung in der freundlichen Beihilfe des ausgezeichneten Kenners dieser Denkmale uralter Cultur, Dr. Paul Haupt in Göttingen, gefunden, welcher mir über viele dunkle Punkte in den alten Texten Aufschluss gegeben und von einzelnen wichtigen Stellen gütigst eine geänderte Uebertragung mitgetheilt hat.
In den Sagen und in den heiligen Büchern des Alterthums finden sich zahlreiche Berichte von grossen Naturereignissen. In den Ueberlieferungen des europäischen Nordens überwiegen solche Mittheilungen, welche sich auf vulcanische Ausbrüche beziehen. Ausserordentlich verbreitet in der alten wie in der neuen Welt sind die Nachrichten von verheerenden Fluthen.
Es muss nun schon vom Beginne festgehalten werden, dass an so grossen Fluthen die atmosphärischen Niederschläge nur einen untergeordneten Theil haben können. Sie können ihrer ganzen Entstehungsweise nach ein gewisses Maass nicht überschreiten; sie bleiben in ihren heftigsten Formen räumlich beschränkt, und sie fliessen ab, indem sie dem Gefälle der Thäler folgen. Ausserordentlich viel gewaltiger sind die Fluthen, welche von Wirbelstürmen, und die ausgedehntesten sind jene, welche von Erdbeben verursacht werden.
Als am I. November 1755 Lissabon von einem gewaltigen Erdstosse getroffen wurde, da trug der Atlantische Ocean die erregte Brandung bis an die Antillen. Als am 23. December 1854 Simoda in Japan durch ein Erdbeben verheert wurde, schlugen die erhobenen Wellen des nördlichen pacifischen Oceans an die californische Küste.(1) Als am 13. August 1868 ein mächtiger Schlag bei Arica an der peruanischen Küste erfolgte, konnte aus weither gesammelten Nachrichten Hochstetter uns zeigen, wie die Erregung des Meeres hinspülte nach Nord und nach Süd längs der Westküste Amerika's, wie die Wogen an den Sandwich-Inseln sich erhoben in tagelanger Unruhe, wie sie die Samoa-Inseln trafen, die australische Ostküste, Neuseeland und die Chatham-Inseln.(2) Die französische Fregatte , Nereide' aber begegnete damals, gegen Cap Horn reisend, im 51. Breitegrade grossen Schaaren frisch gebrochener zackiger Eisberge, welche die mächtige Fluth, unter das antarktische Eis dringend, losgebrochen hatte.(3) Auch bei dem Erdbeben von Iquique in Peru am 9. Mai 1877 wogte, wie Eugen Geinitz gezeigt hat, das pacifische Meer auf von Japan bis zu den Chatham-Inseln.(4)
Und wehe dem Landstriche, welcher in der Nähe des Stosses von solcher Fluth getroffen wird! So war es am 28. October 1746 zu Callao in Peru. Ein Beobachter, welcher kurz darauf den Ort besuchte, schreibt : ,Nicht das geringste Zeichen seiner früheren Gestalt ist geblieben. Im Gegentheile bezeichnen viele Haufen von Sand und Geschiebe die Stelle der einstigen Lage; es ist ein geräumiger Strand geworden, welcher sich längs der Küste hinstreckt. In der That widerstanden einige Thürme durch die Stärke ihrer Mauern eine Zeit hindurch der ganzen Kraft des Erdbebens und der Macht der Stösse; aber kaum hatten die armen Einwohner begonnen, sich von dem Grauen des ersten Schreckens zu erholen, als plötzlich die See begann anzuschwellen, und die Anschwellung stieg in so erstaunlichem Maasse und mit so gewaltigem Drucke, dass das Wasser, von der erreichten Höhe herabstürzend, — obwohl Callao auf einer Höhe stand, welche, unmerklich zunehmend, sich bis Lima erstreckt, — mit Wuth vorwärts drang und weit über seine Ufer hinaus Alles mit ungeheurer Fluth bedeckte, den grössten Theil der Schiffe zerschellte, welche im Hafen vor Anker gelegen waren, die übrigen über die Höhe der Mauern und Thürme erhob, sie vorwärts trieb und weit jenseits der Stadt im Trockenen zurückliess. Zur selben Zeit riss die Fluth von Grund aus Alles auf, was sie an Häusern und Bauwerken bedeckte … (5)
Von fünftausend Einwohnern haben etwa zweihundert diese Stunde überlebt.
Aehnliches hat sich zu wiederholten Malen ereignet. Das Meer zieht sich weit zurück, erhebt sich in langem, gewaltigem Rücken und stürzt dann verheerend über das Land; die Flüsse stauen zurück; die Städte werden verwüstet. Das Maass des Unheils hängt zum grossen Theile von dem Umrisse der Küste und der Höhe des Landes ab. In Südamerika sind solche Fluthen in neuerer Zeit besonders auffallend gewesen, und Lyell hat wohl mit Recht schon vor Jahren die Fluthsagen der araucanischen Indianer hieraus zu erklären versucht.(6) Die Bewohner der Fidji-Inseln berichten von einer grossen Fluth, nach welcher man durch viele Jahre Fahrzeuge bereit hielt, um sich im Falle einer Wiederholung des Ereignisses zu retten, und Lenormant macht in seiner trefflichen Uebersicht der Fluthsagen aufmerksam, um wie viel mehr diese Bemerkung auf eine Hochfluth des Meeres, als auf eine allgemeine Ueberschwemmung des Erdball's hinweist.(7) Es ist aber, meine ich, nach den im Laufe der letzten Jahrzehnte gesammelten Erfahrungen über seismische Hochfluthen sehr begreiflich, dass auf den entferntesten Inseln die Berichte von grossen Fluthen getroffen werden. In einzelnen dieser Ueberlieferungen wird sogar ausdrücklich gesagt, dass das Meer die Fluth erzeugt habe. Solche seismische Fluthen sind nur auf Inseln, in flach gelegenen Küstenstrecken und in dem tieferen Theile grosser Flussthäler nach dem bisherigen Stande der Erfahrung vorauszusetzen.
Die gangbare Auffassung des biblischen Textes bot daher jeder physischen Erklärung Schwierigkeiten. Man mochte nicht zugestehen, dass eine seismische Woge das Fahrzeug Noah's bis auf die Höhe des Ararat getragen habe, und auch durch meteorische Niederschläge konnte das Ereigniss nicht erklärt werden.
Die biblische Darstellung besteht aus zwei von verschiedenen Berichterstattern verfassten Aufschreibungen, welche, unter mehrfachen Wiederholungen und mit untergeordneten Abweichungen von einander, auf eine Weise vereinigt sind, welche ihre
Trennung nicht schwer macht. Sie unterscheiden sich in auffallender Weise dadurch, dass der eine Berichterstatter für die Gottheit den Namen Jahveh, der andere die Pluralform Elohim anwendet, sowie durch die Art der Darstellung selbst. Aber die Trennung beider Berichte fördert nicht wesentlich die Erkenntniss der damaligen Vorgänge in der Natur, und wenn auch versucht worden ist, durch scharfsinnige Exegese zu zeigen, dass unter den Worten Genesis, VIII, 4 ,die Berge des Ararat' nicht der heutige Berg dieses Namens, sondern die Berge einer Landschaft zu verstehen seien, über deren Lage Sicheres nicht vorliegt, so ist auch hiedurch noch kein wesentlicher Erfolg erzielt.
A. Das Izdubar-Epos.
Aus den erhaltenen Bruchstücken der Schriften des Berosus, eines babylonischen Priesters, welcher um 330 bis 260 v. Chr. lebte, weiss man seit längerer Zeit, dass in den Niederungen des Euphrat die Ueberlieferung von einer grossen Fluth bestand, welche in mehreren Zügen auffallend mit der biblischen Erzählung übereinstimmte.
Diese grosse Fluth ereignete sich nach Berosus, welcher sich auf die heiligen Schriften beruft, unter der Regierung des Xisuthros, Sohn des Otiartes. Kronos verkündet dem Xisuthros im Traume, dass am 15. des Monates Daisios alle Menschen durch eine Fluth zu Grunde gehen würden. Er befiehlt ihm, die Schriften zu vergraben zu Sippara, der Stadt der Sonne, dann ein Fahrzeug zu bauen, dasselbe mit Nahrungsmitteln zu versehen, dann es mit seiner Familie und seinen Freunden zu besteigen, auch vierfüssige und fliegende Thiere mitzunehmen. Xisuthros befolgt die Gebote; die Fluth tritt ein und bedeckt das Land; sie nimmt wieder ab ; er lässt Vögel fliegen, um sich von dem Zustande der Dinge zu unterrichten, verlässt endlich das Fahrzeug und bereitet mit seiner Familie den Göttern ein Opfer. Xisuthros wird nun zum Lohne für seine Frömmigkeit erhoben, um unter den Göttern zu wohnen; ebenso seine Frau, seine Tochter und der Steuermann.
Dies ist der wesentliche Inhalt des Berichtes des Berosus, wie er von Alexander Polyhistor überliefert wurde. ,Von dem Schiffe des Xisuthros,' so schliesst derselbe, , welches endlich in Armenien stehen geblieben war, besteht noch ein Theil in den kordyäischen Bergen von Armenien, und die Leute scharren das Erdpech ab, mit welchem es aussen bekleidet war, und benützen dasselbe als Amulet gegen Krankheiten. Und als die Anderen zurückgekehrt waren nach Babylon und die Schriften zu Sippara wieder gefunden hatten, erbauten sie Städte und errichteten Tempel, und so wurde Babylon wieder bevölkert.(8)
Eine Reihe der wunderbarsten Entdeckungen hat nun in den letzten Jahren einen guten Theil der alten Literatur der Euphratniederung in einem alle Hoffnungen weit übersteigenden Maasse erschlossen, und es ist hiebei auch eine neue und ausführliche Darstellung der Sintfluth entdeckt worden.
Durch den von verdientem Glücke begleiteten Eifer englischer Forscher, wie Layard, Loftus, G. Smith und vor Allen durch Hormuzd Rassam sind in tausenden von mit Keilschrift bedeckten Thonscherben die Reste der königlichen Bibliothek von Ninive aus dem Trümmerhaufen von Kujundjik zu Tage gefördert und der wissenschaftlichen Welt wiedergegeben worden. Die Schriften sind nicht nur religiösen Inhaltes, sondern umfassen die verschiedensten Zweige menschlichen Wissens. Der grösste Theil der uns erhaltenen Exemplare dieser uralten Werke wurde in der Regierungszeit Asûrbânipal's (670 v. Chr.) von den in den Bibliotheken von Babylon, Kutha, Akkad, Ur, Erech, Larsa, Nipur und anderen Städten aufbewahrten Originalen copirt; dies ist insbesondere auch der Fall mit den hier zu besprechenden Tafeln.
Der Bericht über die Sintfluth ist bemerkenswerther Weise nicht in jenen Tafeln enthalten, welche von der Entstehung der Welt, dem Sündenfall der Menschen und dem Kampfe des Guten gegen das Böse handeln. Er bildet eine Episode in einem grossen Epos, welches die Thaten des Helden Izdubar meldet. Man kennt verschiedene Copien dieses Epos; sie wurden auf Befehl Asûrbânipal's von einem weit älteren, wahrscheinlich mehr als zwei Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung niedergesetzten Texte genommen, welcher damals in der Priesterbibliothek zu Erech aufbewahrt wurde. Mit Recht wird dasselbe von G. Smith als ein grosses nationales Werk bezeichnet. Es besteht aus zwölf Gesängen, welche Rawlinson nach einzelnen hervortretenden Theilen des Inhaltes in geistreicher Weise mit den zwölf Zeichen des Zodiacus verglichen hat. Der Lebenslauf des Helden Izdubar, wahrscheinlich übereinstimmend mit dem biblischen Nimrod, wird nun in diesen zwölf Gesängen auf unzweifelhaft historischer Grundlage vorgeführt und erhält durch die Vergleichung mit den Zeichen des Thierkreises eine allegorische Aehnlichkeit mit dem Laufe der Sonne. Der eilfte Gesang, der Reihe des Zodiacus nach dem Zeichen des Wassermannes entsprechend, enthält den Bericht über die Sintfluth.
Izdubar hat seinen Freund Êabânî verloren, ist krank und wandert nun weiter hinab an die Mündung der Ströme zu seinem Ahnen Hasîs-Adra, welcher, aus der Sintfluth errettet, von den Göttern dahin versetzt wurde, um, niemals alternd, dort ein unsterbliches Leben zu führen. Izdubar findet seinen Ahnen, befragt ihn um seine wunderbaren Erlebnisse, und dieser erzählt.
Hasîs-Adra's Erzählung liegt in mehreren Uebersetzungen vor; ich nenne jene von G. Smith,(9) hiezu die Bemerkungen von Fox Talbot,(10) dann jene von J. Oppert, F. Lenormant(11) und Paul Haupt.(12)
Dem Nachfolgenden ist Haupt's letzte Uebersetzung zu Grunde gelegt, welche ergänzt ist durch manche gütige Mittheilung. Für den leider sehr unvollständigen Theil Col. II, Z. 1 — 24, welcher von Haupt nicht wiedergegeben ist, habe ich Lenormant benützt.
Indem ich nun für den ausführlichen Text, so weit er hier nicht wörtlich anzuführen sein wird, auf die Schriften der genannten
Forscher verweise, beschränke ich mich auf die folgende Inhaltsangabe von Hasîs-Adra's Bericht:
- Col. I
- 8 — l0. Einleitende Ansprache an Izdubar.
- 11 — 17, a. Die grossen Götter beschliessen die Anrichtung der Sintfluth in der uralten Stadt Surippak am Euphrat.
- 17, b — 19. Der Gott Êa, der Herr der unerforschlichen Weisheit, der Gott des Meeres, war im Rathe der Götter und theilt H.-Adra den Beschluss derselben mit.
- 20 — 27. Êa's Warnung und Auftrag, ein Schiff zu bauen auf trockenem Lande.
- 28 — 31. H.-Adra sucht zu widersprechen, fürchtet den Spott des Volkes und der Aeltesten.
- 32 — 45. Êa's neuerliche und ausführliche Weisung, Vorhersage der Fluth, Auftrag Korn mitzunehmen, Hab und Gut, Familie, Knechte und Mägde, Verwandte, Vieh und Wild.
- 46 — 52. H.-Adra sagt zu, obwohl noch Niemand in dieser Weise ein Schiff gebaut (hier leider viele Lücken).
- Col. II
- 1 — 24. (Leider höchst unvollständig.) Bezieht sich nach den vorhandenen Resten auf den Bau und die Ausrüstung des Fahrzeuges.
- 25 — 29. H.-Adra bringt alle Habe an Silber und Gold zusammen und allen lebendigen Samen, den er hatte; das Gesinde, das Vieh und das Wild, auch alle Verwandten lässt er einsteigen.
- 30 — 36. Letzte Warnung durch eine Stimme (?); H.-Adra's Furcht.
- 37 — 39- Er besteigt das Schiff, schliesst es ab und übergibt den grossen Bau sammt seiner Ladung dem Steuermanne Buzurkurgal.
- 40 — 50. Schilderung des Naturereignisses.
- Col. III
- 1 — 3. Fortsetzung der Schilderung (unvollständig).
- 4. Es sieht der Bruder nicht mehr nach dem Bruder.
(Das von Fox Talbot, Trans. Bibl. Arch. Soc. IV, 129, mitgetheilte Bruchstück, welches den Schrecken und die Flucht der Menschen und Thiere beschreibt, gehört nicht dem Sintfluthberichte an.) - 5 — 7. Furcht der Götter selbst; sie flüchten empor zum Himmel des Gottes Anu.
- 8 — 18. Laute Klage der Göttin Istar über den Untergang der Menschen; Klage der Götter über die Wassergeister der Tiefe.
- 19 — 23. Dauer von Sturm und Fluth; Abnahme.
- 24 — 30. H.-Adra durchschifft die Fluth ; Leichname treiben umher; erster Ausblick ; er bricht in Thränen aus.
- 31. Erstes Erscheinen von Land.
- 32 — 36. Strandung an (dem oder) einem Berge des Landes Nizir und sechstägiger Aufenthalt.
- 37 — 44. H.-Adra lässt eine Taube (?) heraus, dann eine Schwalbe, dann einen Raben.
- 45 — 48. Er verlässt mit allen Begleitern das Fahrzeug und bereitet ein Opfer.
- 49 — 50. Die Götter kommen herbei.
- 51 — 53. Istar hebt in die Höhe die grossen Bogen (?) und schwört nicht zu vergessen
- Col. IV,
- I — 5. diese Tage. Alle Götter mögen herankommen, nur Bel nicht, welcher die Fluth angerichtet.
- 6 — 9. Bels Zorn über H.-Adra's Errettung.
- 9 — 11. Der Gott Adar weist auf Ea.
- 12 — 22. Ea's Rechtfertigung. Der Schuldlose soll nicht mit dem Schuldigen leiden. Reissende Thiere, Hunger und Pest mögen den Menschen heimsuchen, aber keine Sintfluth mehr.
- 23 — 30. Der beruhigte Bel steigt in das Innere des Fahrzeuges, legt H.-Adra's Hand in die seines Weibes, hebt beide zu den Göttern und versetzt sie an die Mündung der Ströme.
1 Der Ausgangspunkt. Aus den einleitenden Bemerkungen hat sich ergeben, von wie maassgebender Bedeutung für die Beurtheilung dieses grossen Naturereignisses die Frage ist, ob der Schauplatz ein Flachland, etwa der tiefere Theil eines grossen Stromthales, oder ein Hochland war.
Der eilfte Gesang des Izdubar-Epos nennt mit Bestimmtheit zwei Orte, nämlich die Stadt Surippak als den Wohnort Hasis-Adra's und den Berg des Landes Nizir als den Ort der Strandung. Den Ausgangspunkt haben wir nun näher zu betrachten.
Die erste Stelle lautet:
- Col. I
- Die Stadt Surippak, die Stadt, welche , wie du weisst,
(am Ufer) des Euphrat liegt, - diese (Stadt) war (schon) uralt, als die Götter darin
- (zur) Anrichtung einer Sintfluth ihr Herz antrieb; . . .
- Die Stadt Surippak, die Stadt, welche , wie du weisst,
Dass in dieser Stadt Surippak eine Bevölkerung lebte, welche im Schiffbau wohlerfahren war, geht aus dem weiteren Inhalte dieses Gesanges und insbesondere aus der Furcht Hasis-Adra's vor dem Spotte derselben hervor. Alle Autoren verlegen diese Stadt an den unteren Theil des Stromes. Rawlinson sucht ihre Lage beiläufig in der Nähe des heutigen Howeiza und bezeichnet sie nur insoferne als eine Stadt des Inlandes, als man noch niemals eine Stadt an die Seeküste in unmittelbarer Nähe eines grossen Stromes wie der Euphrat gebaut habe, aus dem Grunde, weil dort die Schiffahrt durch die Verlandung gefährdet wäre.(13)
Unter der damaligen Meeresküste ist jedoch allerdings kaum die heutige zu verstehen. Es ist in hohem Grade wahrscheinlich, dass ein beträchtlicher Theil des Tieflandes in der Nähe der heutigen Mündungen erst in den letzten Jahrtausenden gebildet worden ist. Schon Plinius sagte (VI, cap. 26), dass kaum an irgend einer anderen Stelle die Bildung von Land durch einen Strom so rasch vorschreite. Beke hat bereits vor vielen Jahren versucht, aus Arrian's Nachrichten von der Reise des Nearchus und aus den Angaben des Plinius über die Lage von Charax das Maass des Vorschreitens der Küste zu ermitteln.(14) Loftus, Rawlinson und alle neueren Schilderungen stimmen in diesem Punkte überein, und es mag nach Loftus' Schilderung nur zweifelhaft bleiben, ob lediglich die schlammigen Absätze des Flusswassers das neue Land erzeugt haben, oder ob nicht auch ein geringer Rückzug des Meeres selbst hiezu beigetragen hat. Nach den Angaben dieses zuverlässigen Beobachters hat nämlich, wie junge Meeresbildungen im Lande zeigen, in verhältnissmässig später Zeit der Ufersaum des persischen Golfes gewiss um 400 Km. weiter gegen NW. gereicht als die heutige Mündung des Schatt-el-Arab, und um 240 Km. weiter landeinwärts als die Vereinigung von Euphrat und Tigris bei Korna.(15)
Jedenfalls ist die landbildende Thätigkeit der beiden grossen Ströme eine sehr beträchtliche, und ihr Gefälle ist in dem ganzen unteren Theile ein so ausserordentlich geringes, dass die Fluth am Tigris bis zu dem Dorfe Abdallah-ibn-Ali 280 Km. und am Euphrat in den Sümpfen von El-hammar 298 Km. vom Meere landeinwärts bemerkbar ist.(16)
Es hat Friedr. Delitzsch alle aus historischen Quellen sich ergebenden Nachweise für die Veränderung des Gebietes der Mündung gesammelt und sogar den Versuch einer Karte des ehemaligen Zustandes der Dinge entworfen.(17) Wenn hier aus dem Berichte über Sanherib's (705 — 681) Seeunternehmung gegen Elam gefolgert wird, dass zu jener Zeit der Euphrat eine selbständige Mündung besass, so scheint mir dies für den Tigris für eine allerdings noch ältere Zeit mit noch grösserer Bestimmtheit aus Inschriften hervorzugehen, welche G. Smith mitgetheilt hat, und nach welchen unter dem Könige Rim-sin ein Durchstich vom Tigris zum Meere, offenbar zur Erleichterung des Abflusses, hergestellt worden ist. Von Hammuragas (etwa um 1500), welcher nach Rim-sin die Herrschaft erlangte, besitzen wir ein ganzes Verzeichniss von grossen, am Tigris ausgeführten Wasserbauten ; namentlich rühmen die Inschriften einen gewaltigen, nach grossen Ueberschwemmungen längs des Stromes erbauten Damm, welcher Kara-samas genannt wurde.(18) Solche Eindeichungen mussten aber die Verlandung des vorliegenden Meeresarmes noch beschleunigen. Hiezu kommt, dass, wie bereits Friedr. Delitzsch hervorgehoben hat, den Mündungen die Insel Dilmun vorlag. Aus all' diesen Gründen lässt sich heute ein genauerer Maassstab für das Anwachsen des Landes nicht gewinnen.
Wenn nun diese Angaben dahin führen möchten, eine gänzliche Trennung beider Flüsse zu jener Zeit anzunehmen, so wird doch mit vollem Rechte von F.Delitzsch erinnert an Hasis-Adra's späteren Wohnort, an welchem ihn Izdubar aufsucht.
- Col. IV
- Da nahmen sie mich und in die Ferne, an die Mündung der Ströme versetzten sie mich.
'Die Mündung der Ströme' aber deutet sicherlich an, dass, wenn die Ströme noch getrennt waren, sie doch nicht weit von einander sich in's Meer ergossen.
Oberhalb dieses in Verlandung begriffenen Gebietes, am Euphrat, also an einer heute weit landeinwärts gelegenen Stelle des Flachlandes, lag die schon zur Zeit der Sintfluth uralte Stadt Surippak.
2 Die Verwendung von Asphalt. Hier, bei der Betrachtung der Oertlichkeit, ist ein positives Merkmal zu erwähnen, welches sich in der Erzählung Hasis-Adra's, in dem Bruchstücke des Berosus und in dem elohistischen Berichte der Genesis wiederholt, und welches, wie Ainsworth und Andere schon lange erkannt haben, auf ein bestimmtes Merkmal der geologischen Beschaffenheit des unteren Euphrat- Gebietes hinweist.(19) Es ist dies die, wie mir scheinen will, noch immer nicht mit dem verdienten Nachdrucke betonte Verwendung von Asphalt bei dem Baue des rettenden Fahrzeuges.
In dem leider nur mangelhaft erhaltenen ersten Theile von Col. II, in welchem die Erbauung des Schiffes und seine Eintheilung geschildert werden, lauten die Verse 9, 10, 11:
- Col. II
- Ich sahe Spalten und fügte das Fehlende hinzu
- Drei Saren Erdpech goss ich über die Aussenseite
- Drei Saren Erdpech goss ich über die Innenseite.(20)
Berosus erzählt, dass das Erdpech noch in späten Zeiten von der Aussenseite des Fahrzeuges abgescharrt und als Heilmittel verwendet worden sei.
Gen. VI, 14 lautet: Fac tibi arcam de lignis laevigatis: mansinuculas in arca facies, et bitumine linies intrinsecus, et extrinsecus.(21) —
(Bibel Einheitsübersetzung: Mach dir eine Arche aus Zypressenholz! Statte sie mit Kammern aus, und dichte sie innen und außen mit Pech ab!)
Ein kleines Bruchstück einer Thontafel erzählt die Kindheit des grossen Königs Sargon I.; es beginnt:
Sargon der mächtige König, der König von Agade, bin ich. Meine Mutter war eine Prinzessin, meinen Vater habe ich nie gekannt. Der Bruder meines Vaters wohnte auf dem Berge der Stadt Azupiranu, welche an dem Ufer des Euphrates liegt. Meine Mutter die Prinzessin empfing mich; heimlich gebar sie mich. Sie setzte mich in ein Körbchen von Binsen, mit Erdpech verschloss sie meine Thüre. Sie setzte mich in den Fluss, welcher mich nicht ertränkte."
In ähnlicher Weise wird Exod. II, 3 gesagt, dass das Kästlein von Rohr, in welchem Moses ausgesetzt wurde, mit Erdpech verschlossen worden sei.
Die Niederung des Euphrat und des Tigris ist von asphaltreichen miocänen Höhen umgeben. Loftus hat eine Reihe von Asphaltvorkommnissen aufgezählt.
Setzen wir nun neben den Bericht von der Uebergiessung des Sintfluthschiffes mit Asphalt von aussen und von innen, wie sowohl Izdubar-Epos wie Genesis ausdrücklich sagen , eine Darstellung heutiger Gebräuche am Euphrat von dem unbefangenen Eisenbahn-Ingenieur Cernik, welcher zur Ermittlung einer Bahnlinie durch Mesopotamien vor einigen Jahren das Land bereist hat.
Cernik schreibt über den Transport der bei Hit am Euphrat gewonnenen Naphtha: ,Man begnügt sich, ein rohes Korbgeflecht zu erzeugen, ohne Kiel und mit Tamariskenknüppeln als Rippen, die Zwischenräume mit Stroh und Rohrgeflecht ausgefüllt und der ganze Bau sodann über Gebühr, sowohl aussen als innen, mit einer Lage Asphalt verputzt. Nichtsdestoweniger besitzen diese Fahrzeuge ein bedeutendes relatives Tragvermögen . . .(23)
Es ist also in Hit am Euphrat zur raschen Herstellung wasserdichter und tragfähiger Fahrzeuge heute noch derselbe Vorgang in Gebrauch, welchen vor Jahrtausenden Hasis-Adra befolgte.
Das Erdpech ist in uralter Zeit in diesem Landstriche in gar vielfaltiger Weise verwendet worden. Bei dem Mangel an Bruchstein und Kalk führte man grosse Bauten aus Backstein auf und verwendete Erdpech als das Bindemittel.
So lautet die bekannte Stelle über den Thurmbau zu Babel Gen. XI, 3: Dixitque alter ad proximum suum: Venite, faciamus lateres, et coquamus eos igni. Habueruntque lateres pro saxis et bitumen pro caemento.
(Bibel Einheitsübersetzung: Sie sagten zueinander: Auf, formen wir Lehmziegel und brennen wir sie zu Backsteinen. So dienten ihnen gebrannte Ziegel als Steine und Erdpech als Mörtel.)
Herodot erzählt ausführlich, wie der Lehm aus dem die Stadt Babylon umgebenden Graben ausgehoben, in Ziegel geformt und gebrannt wurde, und wie dann aus diesen Ziegeln die Mauer erbaut und Asphalt statt Mörtel verwendet wurde. Der Asphalt aber wurde von Is gebracht, einer Stadt am Euphrat, acht Tagereisen von Babylon. Dies ist das heutige Hit.(24)
Solches Mauerwerk wird aber unter den Trümmern da und dort reichlich angetroffen, und Cernik erzählt, dass heute in den asphaltreichen Gebieten ganze Blöcke dieses Stoffes bei Bauten verwendet werden.
Ebenso dürfte die Verwendung von Erdpech zur Herstellung brennender, vielleicht sogar explodirender Wurfgeschosse, welche in späteren Jahren durch ganz Asien in Uebung standen, bereits in den allerältesten Zeiten bekannt gewesen sein, bis zu welchen die
keilinschriftlichen Berichte zurückreichen. Dies ergibt sich aus der Erzählung von dem Kampfe des Gottes Merodach mit dem Drachen Tiâmat, welche einen Theil der babylonischen Legende vom Sündenfalle zu bilden scheint, und noch deutlicher aus der biblischen Darstellung in der apokryphen Historie vom Drachen zu Babel, v. 26. Dies ist auch die Bedeutung der Donnerkeile, mit welchen Merodach im Kampfe mit dem Drachen in den Basreliefs abgebildet wird.(25)
Kehren wir jedoch zum Schiffbaue zurück.
So wie die Entwicklung der einzelnen Richtungen der Baukunst beeinflusst worden ist durch die Beschaffenheit der dem Künstler zur Verfügung stehenden Steingattungen, so sind auch durch die Besonderheiten der von der Natur zur Verfügung gestellten Hilfsmittel örtliche Eigenthümlichkeiten des Schiffbaues entstanden, welche sich unter Benützung der gleichen Hilfsmittel durch sehr lange Zeit erhalten haben. Es hat Lane Fox in einer lehrreichen Zusammenstellung gezeigt, wie sich langsam der Fortschritt von dem gehöhlten Baume zu dem gehefteten Fahrzeuge und von diesem zu der Anwendung von Stiften vollzogen hat, wie aber daneben örtliche Besonderheiten sich aus der ältesten Zeit erhalten haben. Ein Beispiel geben die Bewohner der Insel Ke, westlich von Neu-Guinea, welche wegen ihrer Fertigkeit im Schiffbaue grossen Ruf besitzen. Sie bauen ihre Fahrzeuge nach alter Weise, indem sie die Rippen anbinden, und erst wenn die so nach alter Sitte hergestellten Rippen unbrauchbar geworden sind, werden neue Rippen nach europäischem Gebrauche mit Nägeln befestigt. Der Bewohner der Samoa-, wie jener der Fidji-Inseln dichtet sein Fahrzeug mit Harz vom Brodfrucht-Baume, jener der Kingsmill-Inseln mit Streifen von Pandanusblättern; in gewissen Theilen von Siam soll man dazu ein poröses Holz verwenden, welches im Wasser anschwillt.(25)
Am Euphrat verwendet man heute noch wie vor so langer Zeit das Erdpech. Aber neben diesen verpichten Fahrzeugen haben sich auf dem Euphrat selbst auch jene mit Luft gefüllten Schläuche und die von Schläuchen getragenen Flösse in Gebrauch
erhalten, welche auf assyrischen Sculpturen dargestellt sind und welche Herodot I, 194 so ausführlich beschreibt. Diese Fahrzeuge konnten nach Herodot nur zur Thalfahrt benützt werden, und ihre hauptsächliche Fracht war Dattelwein. Schon im vorigen Jahrhundert wurde Renell durch die Uebereinstimmung dieser Schilderung mit den heutigen Fahrzeugen in Erstaunen versetzt.
Das Fahrzeug Hasis-Adra's ist von schwarzer Farbe gewesen; es war wahrscheinlich geheftet; die reichliche Verwendung von Erdpech beim Schiffbaue ist eine im strengsten Sinne des Wortes vorsintfluthliche Sitte, die sich bis zum heutigen Tage erhalten hat.
3 Die Warnungen. Was uns über die physischen Vorgänge bei der Sintfluth mitgetheilt wird, kann in drei Gruppen gebracht werden, nämlich die Warnungen, das Ereigniss selbst und der Abschluss., Die Schwierigkeit einer schärferen Erfassung liegt hauptsächlich in der weitgehenden Personificirung aller Naturkräfte, doch ist diese, wie ich meine, nicht nach allen Richtungen unüberwindbar.
Alle Warnungen kommen, was wohl zu beachten ist, von Ea, dem weisen Gotte des Meeres und der Tiefe. Er sass mit zu Rathe, als die Götter die Anrichtung der Sintfluth beschlossen, und sagte seinem treuen Diener Hasis-Adra das drohende Strafgericht voraus:
- Col. I
- . . . Höre . . . und merke auf . . .
- Mann von Surippak, Sohn des Ubara-Tutu (Otiartes),
- verlasse das Haus, baue ein Schiff; rette, was du von lebenden Wesen finden kannst;
- sie wollen vernichten den Samen des Lebens; erhalte du am Leben
- und bringe hinauf Samen des Lebens von jeglicher Art in das Innere des Schiffes.(27)
Von welcher Art können diese Warnungen des Meeresgottes gewesen sein? Ich meine, es können dies nur kleinere, wahrscheinlich seismisch erregte Fluthen gewesen sein, ein sich wiederholendes Hinausspülen des Meeres über seine Ufer, welches zugleich den Euphrat staute und in der nicht weit vom Meere gelegenen Stadt Surippak Furcht erweckte und diese Vorsichtsmassregel veranlasste.
Die letzte Warnung, welche der Besteigung des Schiffes unmittelbar vorangeht, ist allerdings von etwas anderer Art:
- Col. II
- Als nun die Sonne die bestimmte Zeit machte,
- da sprach eine Stimme (?): am Abend werden die Himmel Verderben regnen,
- Die bestimmte Zeit ist herangekommen,
- sprach die Stimme (?), am Abend werden die Himmel Verderben regnen.
Auffallend ist, dass die sonst so allgemeine Personificirung der Naturkräfte hier nicht durchgeführt, sondern eine , Stimme' als redend eingeführt ist, als würde es sich um eine ganz ungewohnte Erscheinung, vielleicht um ein seismisches Dröhnen, einen Rombo, handeln. Weitere Vermuthungen müssen aber hier unterbleiben. Die vorstehenden Zeilen sind leider nur auf einem Exemplare der Sintfluth-Tafeln erhalten, und der Text ist an beiden Stellen, an welchen das hier durch ,Stimme' übersetzte Wort kukru vorkommt, sehr verwischt. In anderen Texten aber wurde dieses Wort noch nicht angetroffen.
4 Die Katastrophe. Der wichtigste Theil der Schilderung betrifft das Ereigniss selbst; er fällt in den Schluss von Col. II und die leider sehr verstümmelten ersten Zeilen von Col. III, welche auch durch ein neuerdings gefundenes Bruchstück nur wenig vervollständigt worden sind. Nachdem dem Steuermanne Buzurkurgal das Schiff übergeben ist (II, 39), folgt ein Theilstrich; hierauf:
- Col. II
- Da erhob sich Mu-seri-ina-namâri
- vom Grunde des Himmels, schwarzes Gewölk,
- in dessen Mitte Rammän seinen Donner krachen liess,
- während Nebo und Sarru auf einander losgehen,
- die ,Thronträger' über Berg und Land schreiten.
- Die Wirbelwinde (?) entfesseli der gewaltige Pestgott.
- Adar lässt unaufhörlich die Canäle(?) überströmen,
- die Anunnaki bringen Fluthen herauf,
- die Erde machen sie erzittern durch ihre Macht,
- Rammän's Wogenschwall steigt bis zum Himmel empor:
- Alles Licht verfällt der (Finsterniss).
- Col. III
- In einem Tage . . . der Erde ver(wüsten) sie wie . . .
- rasend wehte (hantis izîqá-ma) . . . Berg(?) . . .
- die . . . führen sie herbei (zum) Kampfe gegen die Menschen.
- Es sieht der Bruder nicht mehr nach dem Bruder, die Menschen kümmern sich nicht mehr um einander. Im Himmel
- fürchten sich die Götter vor der Sintfluth und
- suchen Zuflucht, steigen empor zum Himmel des Gottes Ana.
- Wie ein Hund auf seinem Lager, kauern sich die Götter an dem Gitter des Himmels zusammen.
Diese Verse lassen sich in folgende Gruppen theilen: a) Col. II, 40 — 45 betreffen Vorgänge in der Atmosphäre; b) 46 — 48 beziehen sich auf die Erde; c) 49, 50 beziehen sich auf beide; d) Col. III, 1 — 3 sind leider in ihrer heutigen Unvollständigkeit unverwendbar; e) 4 — 7 schildern den Eindruck auf Menschen und Götter. Aus der pragmatischen Anordnung des Stoffes ergibt sich zugleich die gewaltige und ergreifende Steigerung, welche von dem ersten Erscheinen einer Wolke am Horizont bis zu der Flucht der erschreckten Götter führt.
a) Die Atmosphäre. (Col. II, 40 — 45.) Delitzsch deutet den Ausdruck in Z. 40 mit: ' Wasser der Morgenröthe bei Tagesanbruch.' Rammân ist der gewaltige Wettergott. Auf schweres Gewölk ist Gewitter gefolgt, dann Wirbelwind. Welche Naturerscheinung aber sind die über Berg und Land schreitenden 'Thronträger' ?
Werfen wir einen Blick auf das untere Mesopotamien. ,So selten,' schreibt Schläfli, ,eigentliche Stürme sind, um so häufiger erscheinen Wirbelwinde. Der Form nach die überraschendste Aehnlichkeit mit einer Wasserhose darbietend und nur scheinbar in der weisslichen Färbung von ihr unterschieden, schwebt die Colonne aufgewirbelten Sandes und Staubes majestätisch und leicht die Wüste einher, sich mit ihrem oberen Theile in dem blauen, wolkenlosen Aether verlierend Ich erinnere mich, während meiner Fahrt von Mossul nach Bagdad Mitte Juni vorigen Jahres (1861?) in einem Moment eilf solcher Staubsäulen gezählt zu haben.'(28)
Diese Säulen schweben allerdings wie Stützen des Himmels dahin. Der staubtragende Sturm mag aber gar gewaltige Macht erreichen. Ein Beispiel trat in Bagdad am 20. Mai 1857 ein, als bei SW.-Wind zuerst die Sonne getrübt wurde und das Aussehen des Mondes annahm. Dann, um 5 Uhr Nachmittags, erschien, nach der Schilderung des Dr. Duthieul, eine dunkle Staubwolke; sie hüllt in einem Augenblicke die ganze Stadt ein und dringt in Höfe und Zimmer. In weniger als einer Viertelminute tritt man vom Tage in die finsterste Nacht. Die Wirkung war erschreckend; man konnte sich nicht mehr zurecht finden, nicht einmal in den Häusern. Diese Finsterniss, stärker als jene der finstersten Nächte, dauerte fünf Minuten. . . . Die erschreckten Einwohner glaubten, das Ende der Welt breche herein. In der That liess der Lärm der erhobenen Winde und das ganze Schauspiel selbst die ruhigsten Geister irgend ein grosses Kataklysma befürchten. Der Staub war ziegelroth. Der Sturm wurde in sehr entfernten Theilen des Landes verspürt. Schläfli nennt ihn eine Staubtrombe; Duthieul meint, dass dieser heftige Sturm nicht die Gestalt einer Trombe gehabt, sondern dass die Staubmasse weithin gleichmässig über das Land sich bewegt habe.(29)
b) Die Erde. (Col. II, 46 — 49.) Das Ueberströmen der Canäle ist eine Erscheinung, welche bei heftigeren Erschütterungen des Bodens selbstverständlich ist, hier aber durch Sturm und Rückstau vermehrt sein mag.
Von grosser Bedeutung scheint mir Z. 47. Die Anunnaki sind, wie namentlich Haupt gezeigt hat, die Geister der Tiefe, die Geister der grossen unterirdischen Wasser. Sie sind es, welche die Erde erschüttern und welche aus der Tiefe ,Fluthen bringen'. Dieses Herauftreten von Wässern aus der Tiefe entspricht den oft genannten Stellen des elohistischen Berichtes Gen. VII, 11:
Rupti sunt omnes fontes abyssi magni et cataractae caeli apertae sunt (da aufbrachen alle Brunnen der Tiefe und thaten sich auf die Fenster des Himmels; Luth.) — und VIII, 2, nach dem Ereignisse: Et clausi sunt fontes abyssi et prohibitae sunt pluviae de caelo (Und die Brunnen der Tiefe wurden verstopfet, und dem Regen vom Himmel ward gewehret; Luth.).
Das Izdubar-Epos meldet also wirklich, dass Wasser aus der Tiefe gekommen sei, und in der biblischen Darstellung ist an zwei Orten das Wasser aus der Tiefe im Gegensatze zum Regen vom Himmel genannt. Dieses Hervortreten grosser Wassermengen aus der Tiefe ist aber ein Phänomen, welches in bezeichnender Weise die Erderschütterungen in den Alluvialgebieten grosser Flüsse begleitet. Es breitet sich in diesen grossen Flächen zu beiden Seiten des Stromes weithin das Grundwasser in den jungen Ablagerungen aus, und seine obere Grenze steigt allmälig gegen rechts und gegen links mit der Entfernung vom Strome mehr und mehr über den Stand des Mittelwassers. Was unter dieser Grenze liegt, ist durchfeuchtet und beweglich; der Boden über derselben ist trocken und brüchig. Treten nun seismische Undulationen in solches Gebiet, so bricht der spröde obere Theil des Bodens in langen Spalten auf, und aus den Brüchen tritt gewaltsam bald in grossen Massen, bald in vereinzelten, selbst mehrere Meter hohen Strahlen das Grundwasser rein oder als schlammige Masse hervor.
So ist es in kleinerem Maassstabe eingetreten, als am 9. November 1880 die Alluvien der Save bei Agram erbebten; ebenso in etwas grösserem Maassstabe, als am 10. October 1879 die Auen der Donau bei Moldova erschüttert wurden; so in noch weit grösserem Maassstabe an der unteren Donau bei dem wallachischen Erdbeben vom 11. (23.) Januar 1838, bei welchem das junge Schwemmland von der Dimbowitza bis über den Sereth-Fluss hinaus von zahlreichen Spalten durchschnitten wurde, aus welchen das Wasser an vielen Orten ,klafterhoch' emporsprudelte.(30)
Dasselbe ist in den Alluvien des Mississippi eingetreten, als sein Flussgebiet am 6. Januar 1812 in der Nähe der Stadt New-Madrid, nicht weit unterhalb des Einflusses des Ohio, erschüttert wurde. Wir besitzen einen drastischen und lesenswerthen Bericht über das Schwanken und Aufbrechen des Bodens von dem Augenzeugen Bringier. Indem die unterirdischen Wassermengen sich den Durchweg erzwangen, wurde die Erde mit lauten Explosionen in die Höhe getrieben. Sie stürzte allerorten hervor, eine ungeheure Menge verkohlten Holzes mitbringend, welches meist in Staub verwandelt war, der 10 bis 15 Fuss hoch emporgeschleudert wurde. Unterdessen sank die Oberfläche und eine schwarze Flüssigkeit erhob sich bis zum Unterleibe des Pferdes.(31) Es widerspricht diesen Angaben nicht, dass durch dieselbe Erderschütterung ein kleiner bestehender See, Lake Eulalie bei New-Madrid, plötzlich durch Spalten entwässert wurde.(32) In diesem Falle lag der See, wie dies so oft vorkommt, in einem gedichteten Bette und er entleerte sich in das tiefer liegende Grundwasser.
Am 12. Januar 1862 wurde die ganze südliche Umgebung des Baikal-Sees von einem heftigen Schlage getroffen, und zwar insbesondere das Delta des in denselben mündenden Flusses Selenga. Die Steppe östlich vom Selenga, auf welcher sich eine Burjäten-Niederlassung befand, senkte sich auf eine Länge von etwa 21 Km. und eine Breite von 9,5 — 15 Km. zur Tiefe. Wässer brachen allenthalben hervor, wurden auch aus den Brunnen hervorgestossen, endlich trat das Wasser des Baikal in die grosse Senkung und füllte sie ganz mit Wasser an. Springquellen entstanden an vielen Orten, so zwischen dem Dorfe Dubinin und der Steppe Sagansk. In der Ortschaft Kudara wurden die Holzdeckel der Brunnen wie Stöpsel aus Flaschen in die Höhe geschleudert, und es erhoben sich Quellen von lauem Wasser stellenweise bis zur Höhe von drei Sagenen (6,4 M.). Die Erschütterung erstreckte sich südwärts über Kjachta bis gegen Urga und die Mongolen wurden durch dieselbe so erschreckt, dass sie die Lama's zu religiösen Ceremonien veranlassten, um die bösen Geister zu beruhigen, welche nach ihrer Meinung die Erde bewegten.(33)
Die Erdbeben in dem Unterlaufe des Indus, Ganges und Brahmaputra haben zahlreiche Beispiele des mächtigen Emporschleuderns von Grundwasser aus dem gesprengten Alluvialboden gegeben, von welchen einige an späterer Stelle angeführt werden sollen. —
Das sind die Fluthen, welche die Anunnaki heraufbringen, die aufgebrochenen Brunnen der Tiefe, welche die Genesis anführt, für den Geologen meines Erachtens der Beweis, dass es sich hier um eine seismische Erschütterung in einem breiten Flussthale handelt. Nie hat man solche Erscheinungen in grösserem Maassstabe ausserhalb der grossen Grundwasserniederungen wahrgenommen, und sie wären auch ausserhalb derselben ganz unverständlich.
Col. II, 46 — 49 bedeuten daher: Schwankungen des Wassers in den offenen Gerinnen, Hervorbrechen des Grundwassers des Euphrat unter gleichzeitigem Erzittern des Bodens.
c) Dritte Gruppe. (Col. II, 49, 50.) Es ist wohl zu bemerken, dass bis hieher noch keine Rede von der Hochfluth ist, ja das Schwanken des Wassers in den Canälen und die Erscheinungen des Grundwassers lassen sich überhaupt nur vor einer ausgebreiteten Ueberfluthung beobachten. Erst mit Z. 49 tritt uns diese entgegen. Sie lautet:
- Rammâns Wogenschwall steigt zum Himmel empor.
In den ersten Worten, in welchen die Fluth erwähnt wird, steigt sie schon zum Himmel, und nicht Ea, der Meeresgott, welcher vielmehr der wohlwollende Warner gewesen ist, sondern Rammân, der Wettergott, wird genannt. Das sind wohl nicht nur sturmgepeitschte Wogen einer seismisch erregten Ueberfluthung. Vor solchen Wogen wären die Götter nicht in den Himmel Anu's oder, wie einzelne Keilschriftforscher diese Stelle deuten wollten, aus der Sphäre der Planeten in jene der Fixsterne geflohen.
Plötzlich und furchtbar sind die Ueberschwemmungen, welche durch Cyklonen herbeigeführt werden. Sie kommen nur in der Nähe des Meeres vor, entweder auf Inseln, oder in den Niederungen des Unterlaufes grosser Ströme. In einer Breite von hunderten von Seemeilen nähert sich die Cyklonenwelle dem Festlande, und wird sie durch den sich verengenden Umriss des Meeres gestaut, so erhebt sie sich mehr und mehr und stürzt endlich über das Flachland verwüstend hin. Geradezu grauenvoll sind die Folgen, welche man auf den westindischen Inseln und an den ostindischen Flussmündungen erlebt hat: ich werde Beispiele aus unseren Tagen anzuführen haben, in welchen der Verlust an Menschenleben, welcher in einer einzigen Nacht eintrat, auf ein- bis zweimalhunderttausend Seelen geschätzt wird. In der Regel fallen überaus heftige, von den heutigen Beobachtern oft geradezu als ,sintfluthartig' bezeichnete Regenmassen, namentlich an der Vorderseite des vorschreitenden Wirbelsturmes vom Himmel; häufig treten zugleich starke Gewitter auf.
In einzelnen Fällen sind auch Erderschütterungen zugleich mit Cyklonen beobachtet worden, so in der noch weiter zu erwähnenden verhängnissvollen Nacht vom 11. — 12. October 1737 bei Calcutta. Als der sogenannte , grosse Orkan' vom 10. October 1780 über die westindischen Inseln hin gerast, in S. Pierre auf Martinique das Meer 25 Fuss hoch erhoben und auf dieser Insel 9000, auf S. Lucia 6000 Menschen ertränkt und unermessliche Verheerungen angerichtet hatte, drückte Sir. G. Rodney seine feste Ueberzeugung aus, dass so gewaltige Zerstörung der festesten Gebäude nur durch ein Erdbeben möglich sei, und dass nur die Heftigkeit des Sturmes die Einwohner verhindert habe, dasselbe zu bemerken.(34) —
Wir kehren zum Texte des Izdubar-Epos zurück.
Es meldet nun Z. 50 den Eintritt der Finsterniss.
Am 2. September 1860 gerieth die preussische Kriegscorvette ,Arkona' an der japanesischen Ostküste in einen Wirbelsturm, welchen sie in ruhmvoller Weise bestanden hat. ,Um acht Uhr (Morgens),' heisst es in dem Berichte, , wurde es so dunkel, dass man das Ende des Schiffes nicht mehr sehen konnte; Meer und Wolken schienen sich zu verschlingen. Die Wogen standen Mauern gleich, und der Sturm peitschte den Wasserschaum wie dichten Nadelregen durch die Luft. See-und Regenwasser ergoss sich in Strömen über das Deck und durch alle Oeffnungen in die Batterie hinunter; Wind und Wellen rauschten nicht mehr; Alles bebte und donnerte. . . .(35)
Das ist Rammân, der die Wogen zum Himmel hebt, bis die zitternden Götter selbst nach höheren Sphären entfliehen, und welcher alles Licht verfallen lässt der Finsterniss. Und die Worte, in welchen unmittelbar nach der Thätigkeit der Anunnaki sein Eingreifen geschildert wird, legen die Vermuthung nahe, dass mit dem Erdbeben eine Cyklone aus dem persischen Meerbusen in die mesopotamische Ebene getreten ist. In ähnlicher Weise ist am 1. Mai 1769 ein heftiges Erdbeben in Bagdad, welches tausende von Häusern niederwarf, von einem furchtbaren Sturme und von einem ,sintfluthartigen' Regen und Hagel begleitet gewesen.(36)
Die verheerendste Naturerscheinung der Gegenwart, die von einer Erschütterung der Erde begleitete Cyklone, ist zugleich jene, welche der Darstellung Hasis-Adra's von dem grössten Naturereignisse des Alterthums am Genauesten entspricht.
Die drei nachfolgenden Verse, Col. III, Z. 1,2, 3, sind, wie gesagt; leider zu unvollständig, um eine nähere Deutung zuzulassen. Man erkennt aus den losen und von den verschiedenen Uebersetzern in abweichender Weise wiedergegebenen Worten nur, dass hier eine Fortsetzung der Schilderung des Naturereignisses gegeben war.
Col. III, 4 schildert den Eindruck auf die erschreckten Menschen, 5 — 7 jenen auf die Götter; ich habe dem über die letzteren Zeilen bereits Gesagten nichts mehr hinzuzufügen.
5 Weiterer Verlauf und Ende der Katastrophe. Es folgt die Klage der hehren Menschenmutter Istar über den Vernichtungskampf gegen die Menschen, und die Götter klagen mit ihr über die Anunnaki; hierauf:
- Col. III
- Sechs Tage und sieben Nächte
- behält Wind, Sintfluth (Wirbelsturm) und Sturm die Oberhand,
- beim Anbruche des 7. Tages (aber) liess der Sturm nach, die Sintfluth (Wirbelsturm), die einen Kampf
- geführt wie ein (gewaltiges) Kriegsheer,
- beruhigte sich; das Meer nahm ab und Sturm und Sintfluth (Wirbelsturm) hörten auf.
- Ich durchschiffte das Meer jammernd,
- dass die Wohnstätten der Menschen in Schlamm verwandelt waren;
- wie Baumstämme trieben die Leichen umher.
- Eine Luke hatte ich geöffnet, und als das Tageslicht auf mein Antlitz fiel,
- da zuckte ich zusammen und setzte mich weinend nieder,
- über mein Antlitz flossen meine Thränen,
Die Zeilen 19 — 23 besprechen Dauer und endliche Abnahme des grossen Ereignisses. Die Zeit von 6 Tagen und 7 Nächten ist weit kürzer als die biblischen Zeitangaben und nähert sich mehr den ähnlichen Erfahrungen der Gegenwart.
In Z. 20 nennt der Urtext drei Substantiva: saru, abûbu und mehû. Das erste Wort wird übereinstimmend mit ,Wind' übersetzt; das dritte bedeutet nach Paul Haupt sicher ,Sturm'; Lenormant sagt ,la pluie diluvienne' . Das zweite Wort abûbu hat mehrfache Deutungen erfahren. So wie im hebräischen Texte das Wort mabbûl als der bezeichnende Gesammtausdruck für die Katastrophe der Sintfluth gebraucht wird, ist dies hier z. B. I, 13; III, 20, 21, 23, und IV, 14, 17 und folg. der Fall mit dem Worte abûbu. G. Smith übersetzt dasselbe ,deluge', Lenormant ,la trombe diluvienne'; Paul Haupt hatte ,Sturmfluth' oder ,Fluth' gebraucht, doch ist nach dessen gütigen Mittheilungen auch die Uebersetzung durch , Trombe' nicht ausgeschlossen.(37)
Ein ähnlicher Zweifel herrscht in Z. 22 über das nur hier vorkommende Wort haltu, welches von den früheren Uebersetzern mit , Erdbeben', von Haupt besonders des Zeitwortes ,kämpft' wegen mit ,Kriegsheer' wiedergegeben wurde (Haupt, Exc. S. 73, 74). Haupt übersetzt: . . . die Fluth, die einen Kampf geführt, wie ein (gewaltiges) Kriegsheer, beruhigte sich. Die von Lenormant gegebene Uebersetzung lautet dagegen: La trombe terrible, qui avait assailli comme un tremblement de terre, s'apaisa.
Z. 23 b: Das Meer nahm ab; nach Haupt, Exc. S. 74, wörtlich: ,er machte das Meer sich in sein Becken zurückziehen'. Diese wörtliche Uebersetzung wird nach Dr. Haupt, welchem ich so viele gütige Unterstützung bei diesen Studien verdanke, bestätigt durch zwei Stellen der ersten Tafel des Izdubar-Epos. Dies würde abermals zeigen, dass die Fluth vom Meere gekommen sei, wofür sich bald ein weiteres Anzeichen ergeben wird.
In Z. 24 — 29 hat offenbar das Tosen des Sturmes bereits aufgehört. Höchst anschaulich zeigen diese Stellen den Zustand nach der grossen Fluth, die Verschlammung der Wohnstätten, das Treiben der Leichen und den tiefen Eindruck auf das Gemüth der Ueberlebenden. Wir gelangen nun zu der Strandung des Fahrzeuges.
6 Die Strandung. Die auf diesen Theil bezüglichen Zeilen lauten nach einigen wesentlichen Veränderungen, welche Dr. Haupt mir mitzutheilen die Güte hatte:
- Col. III
- Ich schaute die Himmelsrichtungen (oder: wohin ich auch blickte) ein furchtbares Meer
- nach den zwölf Himmelshäusern (d. i. nach allen Richtungen der Windrose) kein Land.
- (Willenlos) trieb das Schiff nach der Gegend von Nizir,
- da fasste ein Berg der Gegend von Nizir das Schiff und liess es nicht nach der Höhe zu weiter.
- Am 1. und am 2. Tage hielt der Berg von Nizir das Schiff und liess es nicht u. s. w.
- (auch) am 3. und 4. Tage hielt der Berg u. s. w.
- (ebenso) am 5. und 6. Tage hielt der Berg u. s. w.
Beim Anbruch des 7. Tages lässt nun Hasis-Adra eine Taube heraus.
Für Z. 31 schliesst sich hiemit Dr. Haupt einer früher von J. Oppert gegebenen Deutung an.
Ueber die Lage der Gegend von Nizir gibt eine Inschrift Aufschluss, welche von einem Kriegszuge des Königes Asûr-nâcir-pal berichtet. Sie ist östlich vom Tigris, jenseits vom unteren Zab etwa zwischen dem 35. und 36. Breitengrade zu suchen. Es scheint mir aber nach dem mitgetheilten Texte keine Nöthigung oder gar irgend ein Beweis für die Annahme vorhanden zu sein, dass die Strandung tief im Gebirge oder gar auf einem der Hochgipfel erfolgt sei.(38)
Das Hochgebirge, welches Persien von der mesopotamischen Niederung trennt, besteht aus einer einseitigen Kette, deren älteste Glieder gegen Nordost den Elwend bilden. Diesen folgen gefaltete Züge von mesozoischem und nummulitenführendem Kalkstein; gefaltete, auch überfaltete miocäne Thonmassen, welche Gyps, Salz und Asphalt führen, setzen im Südwesten die äussere Zone des grossen Gebirgszuges zusammen.
Der ganze untere Lauf des unteren Zab fällt nach Loftus in die Zone dieser mioeänen Vorhügel.
Die Inschrift Asûr-nâcir-pal's lautet an der betreffenden Stelle:
,Im Monate Tischrit, den fünfzehnten Tag, verliess ich die Stadt Kalzu und trat ich ein in das Gebiet der Stadt Babitê. Ich verliess Babitê und näherte mich dem Lande Nizir welches man auch Lullu-Kinipa nennt. Ich nahm die Stadt Bunasi, ihre feste Stadt und 3o geschlossene Städte ihrer Grenze. Die Männer hatten Furcht und zogen sich zurück in das unzugängliche Gebirge. Aber Asûr-nâcir-pal, welcher als der Erste in ihrer Verfolgung marschirte, ging sie aufzusuchen wie Vögel. Er zerstreute ihre Leichname in den Bergen des Landes Nizir. Er hieb in Stücke 326 ihrer Krieger; er nahm ihre Pferde. Er tödtete den Rest in den Schluchten und Einrissen des Berges. …' So bei Lenormant, Orig. IIa, p. 10, 11. Nach Oppert, Exped. Mesop., folgen die Worte: ,Die majestätischen Spitzen dieser Berge sind gerade wie ein Dolch. Verborgen vor meinen Kriegern erstieg ich ihre Zufluchtsstätten . . . ' Und eine spätere Stelle lautet: ,Ich verliess die Stadt Kalzu; ich kreuzte den unteren Zab und ich trat ein in das Land der unmittelbaren Nähe der Stadt Babite.'
Kalzu (Kakzi bei Oppert) wird mit Schamâmek bei Erbil (Arbela) identificirt, d. i. die Landschaft Schemamlik am Fusse des Dehir Dagh.
Vergleicht man diese Angaben mit Cernik's Darstellung, so lässt sich Folgendes erkennen:
Der assyrische König trat seinen Marsch an derselben Stelle an, über welche mehr als fünfhundert Jahre später nach der unglücklichen Schlacht bei Gaugamela das grosse Heer des Darius Codomanus vor dem siegreichen Alexander gegen Arbela floh. Die Seehöhe beträgt hier etwa 290 — 325 M. Die Stadt Babite war am selben Tage zu erreichen und muss in unmittelbarer Nähe des unteren Zab gelegen sein. Der Zug ging gegen OSO. Es waren Kriegswagen dabei; der Fluss wird in der Nähe des heutigen Strassenzuges, d. i. nicht weit von Altyn-Kjöprü gekreuzt worden sein. Unter dem Lande Nizir wird man das Land zu verstehen haben, welches durch die miocänen Höhenzüge des Karatschok Dagh, Baruwân Dagh und weiter gegen Süd durch den nördlichen Theil des Djebel Hamrin von der Ebene des Tigris abgetrennt ist. Mehrere Flüsse, unter ihnen auch der untere Zab, durchbrechen in engen Schluchten diese Höhenzüge, und die tertiären Conglomeratbänke bilden häufig wild zerrissene Felswände von beträchtlicher Höhe.(39)
Die Seehöhe dieser dem Lande Nizir vorliegenden Berge beträgt im Durchschnitt etwa 3000 M. ; die eingerissenen Flüsse liegen viel tiefer. Ich finde aber keine Veranlassung zu der Annahme, dass diese Berge überfluthet worden seien.
Das Fahrzeug treibt über die grosse Niederung dahin, geräth in das Gebiet des tiefer liegenden Tigris und strandet an dem Gehänge eines dieser gegen Nordost und Nord die Niederung begrenzenden miocänen Vorberge. Es erreicht nicht den Gipfel des Berges, aber die Geretteten verlassen dann das Schiff und ersteigen den Berg, denn es heisst an späterer Stelle:
- Col. III
- Ich richtete her einen Altar auf dem Gipfel des Berges
Entscheidend für das Wesen der ganzen Katastrophe aber scheint mir, dass das Fahrzeug entgegen dem Gefalle der Flüsse vom Meere hinweg landeinwärts getrieben worden ist. Jede nach der verbreiteten Auffassung des Ereignisses vornehmlich durch Regen veranlasste Fluth hätte dasselbe sicherlich vom unteren Euphrat in's Meer hinausgetragen.
Es ist aber diese allgemein verbreitete Auffassung des biblischen Berichtes durch diesen selbst kaum sicher zu begründen. Schon im vorigen Jahrhunderte haben hervorragende Exegeten behauptet, dass (den hebräischen Texten fehlte bekanntlich ursprünglich die Vocalisirung) in Gen. VI, 17 und VII, 6 anstatt ,majim', aquae, Wässer, — ,mijam', a mari, vom Meere, gelesen werden solle. So übersetzte schon vor mehr als hundert Jahren J. D. Michaelis, welchen Bunsen einen der Begründer der neueren Bibelforschung nennt, die betreffenden Stellen:
VI, 17: Ich aber will von der See her eine Ueberschwemmung über die Erde bringen, um alle beseelten Leiber unter dem ganzen Himmel zu vertilgen.
Und ferner;
VII, 6: Noach war damals sechshundert Jahre alt, als die Ueberschwemmung von der See her über die Erde einbrach, und er ging selbst nebst seinen Söhnen, seiner Frau und seiner Söhne Frauen in das Schiff, um dem Wasser der Sündfluth zu entkommen.
Hiezu wird die sehr vernünftige Bemerkung gemacht: ,In der That muss die Sündfluth hauptsächlich aus der See entstanden seyn, denn die Luft kann bey weitem so viel Wasser nicht halten, als zu ihr erfordert wird, folglich auch nicht im Regen herabschütten. '(40)
Gegen diese Auslegung, welche mehrere hervorragende Bibelforscher des vergangenen Jahrhunderts theilten, wird eingewendet: ,Die Aenderung von majim in mijam sei unnöthig und unzulässig, weil ja auch der Regen besonders stark mitwirkte.'(41) Wie ausserordentlich aber durch dieselbe die biblische Erzählung den heutigen Erfahrungen über ähnliche Ereignisse genähert wird, bedarf keiner Erläuterung.
7 Abschluss, Zeit des Ereignisses. Die noch folgenden Theile der Erzählung Hasis-Adra's sind namentlich in ihren engen Beziehungen zu dem biblischen Texte von äusserstem Interesse, aber sie bieten keinen wesentlichen Aufschluss über die hier berührten Fragen.
Die Episode der Aussendung der Vögel wurde behandelt von Delitzsch und Eb. Schrader, welche die grössere Ursprünglichkeit des chaldäischen Berichtes und die überraschende Gleichartigkeit einzelner Zeilen des biblischen Textes hervorheben. Die grossen Bogen Anu's, welche die Göttin Istar in die Höhe hebt vor ihrem Gelübde, der Regenbogen der Genesis, sie bestätigen den Regen. Ea, der Gott des Meeres, tritt besänftigend auf, und er ist es, welcher den streitbaren Bel auffordert, keine Sintfluth mehr zu veranstalten.(42) —
Nach dem bisher Gesagten haben wir als den Schauplatz dieser Vorgänge das untere Stromgebiet Mesopotamiens von der nahe dem Meere am Euphrat liegenden Stadt Surippak bis zu den Abdachungen der Berge von Nizir jenseits des Tigris zu betrachten. Es ist jedoch gegen diese Auffassung vor Kurzem von hochachtbarer Seite eingewendet worden, dass die ganze Färbung des chaldäischen Berichtes eine specifisch babylonische sei; dieser Bericht sei ,babylonisch localisirt'. Trotz dieser Localisirung zeige derselbe doch keine einleuchtende Anknüpfung an die klimatischen Verhältnisse des Landes, und zwar wird bemerkt, erstens: dass die Ueberfluthung nicht in Bezug stehe mit den periodischen Hochwässern der Flüsse im November und im Frühjahre, und zweitens: dass gar nicht einzusehen sei, warum das von einem Steuermanne geleitete Schiff so weit gegen Nord gefahren sei. Verständlich werde die Sache nur, wenn auch in der babylonischen Sage die Abkunft der neuen Menschheit vom Norden her noch ein feststehender Zug war. Dann aber sei sicher, dass Babylonien nicht die ursprüngliche Heimat der Flutherzählung war.(43)
Diese Einwürfe scheinen mir nur aus jener, wenn ich so sagen darf, binnenländischen Auffassung dieses grossen Naturereignisses hervorzugehen, welche in dem Regen die Hauptquelle der Ueberfluthung zu sehen geneigt ist, obwohl, wie bereits erwähnt worden ist, bei so grossen Fluthen der Regen nur als eine Nebenerscheinung auftritt. Die Fluth kam, wie alle grossen Fluthen der heutigen Tage, vom Meere her; Erdbeben und Cyklone stehen in keinen Beziehungen zu den periodischen Anschwellungen der Flüsse, und sie sind auch die Ursache gewesen, dass das Schiff so weit gegen Nord getrieben wurde.
Die Untersuchungen über die genaueren Angaben von Tag und Monat des Beginnes der Sintfluth, welche sich bei Berosus und in Gen. VII, 11 finden, sowie über Rawlinson's merkwürdigen Vergleich der Gesänge des Izdubar-Epos mit den Zeichen des Thierkreises fallen nicht in den Bereich meiner Aufgabe. Das genauere Datum der Sintfluth hat Bosanquet in London geglaubt auf Grund der Beobachtungen über Sonnenfinsternisse im Alterthume feststellen zu können. Dieser Versuch führte auf das Jahr 2379 v. Chr.; ich erwähne diese Ziffer nur der Vollständigkeit halber. Allen Anzeichen nach fällt die Katastrophe in eine viel frühere Zeit.(44)
Hiemit breche ich vorläufig die Betrachtung des Izdubar-Epos ab, um der Sintfluth ähnliche Ereignisse aus unseren Tagen zu besprechen. Diese sind, wie die Berichte aus den letzten Jahrzehnten lehren, weit häufiger, als man im mittleren Europa vorauszusetzen gewöhnt ist. Als Beispiele wurden die Vorkommnisse an den Mündungen des Indus und des mit dem Brahmaputra vereinigten Ganges gewählt. Dann erst soll zu abermaliger Erörterung der von Hasis-Adra geschilderten Katastrophe und zu einer kurzen Prüfung jener Sintfluth-Sagen anderer Völker geschritten werden, aus welchen man die Ausbreitung der Katastrophe über die ganze Oberfläche des Planeten zu erweisen versucht hat.