Statuette Königin Teje, Mutter des Echnaton
Porträtkopf von einer Statuette der Königin Teje, der Mutter des Ketzerkönigs Echnaton  (Im Besitze des Herrn James Simon, Berlin)

Psychoanalytische Beiträge zum Verständnis seiner Persönlichkeit und des monotheistischen Aton-Kultes 

Von Dr. KARL ABRAHAM, Arzt in Berlin
(Quelle: Imago - Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften (I/4), 1912, S. 334 - 360)

Im Jahre 1880 wurde in der Nähe des ägyptischen Dorfes Tell-el-Amarna eine große Anzahl von Tafeln mit asiatischen Texten aufgefunden. Diese Tafeln stellten sich als wichtige historische Dokumente heraus und brachten insbesondere über König Amenhotep IV. und seine Regierungszeit die merkwürdigsten Aufschlüsse. Die aus jener Epoche erhaltenen hieroglyphischen Texte setzten in Gemeinschaft mit den »Amarna-Tafeln« die Forschung in den Stand, von der Persönlichkeit des Königs ein anschauliches Bild zu entwerfen. Wir besitzen eine Reihe von Quellenbüchern und Bearbeitungen der ägyptischen Geschichte, die eine Fülle des Interessanten über jene Epoche mitzuteilen wissen1. Sie lieferten die materiellen Grundlagen der nachfolgenden Untersuchung. Ich verweise namentlich auf die Werke von Breasted, dessen »Geschichte Ägyptens« vor kurzem in einer vorzüglichen deutschen Bearbeitung erschienen ist, sowie auf Weigalls ausgezeichnete Monographie über das Leben Amenhoteps IV. 

Die Ägyptologen haben sich des »Ketzerkönigs«, der sich selbst den später zu erklärenden Namen Echnaton beilegte, mit besonderem Interesse, ja mit einer Begeisterung angenommen, die dem Uneingeweihten seltsam und unverständlich erscheinen muß. Trennen uns doch drei Jahrtausende und einige Jahrhunderte von der Amarna-Periode! Wenn aber ein so berufener Forscher wie Breasted den König als die merkwürdigste Gestalt in der älteren orientalischen Geschichte bezeichnet, ja geneigt ist, ihm in der Weltgeschichte einen ganz besonderen Platz einzuräumen, so werden wir zu erfahren wünschen, durch welche Eigenschaften oder Taten Amenhotep IV. sich eine solche Ehrenstellung verdient hat. 

Amenhotep IV., welcher der achtzehnten Dynastie angehört, lebte im vierzehnten Jahrhundert vor Christo. Er war weder ein Eroberer noch ein staatskluger Herrscher wie so mancher seiner Vorfahren. Vielmehr ging unter seiner kurzen Regierung das von jenen gegründete Weltreich zugrunde, indessen der junge König der Katastrophe untätig zusah. Seine Größe liegt auf anderem, auf ideellem Gebiet. Man staunt, wenn man nur in einigen Andeutungen den Inhalt dieses kurzen Lebens erfährt. 

Zehn Jahre alt, besteigt Amenhotep IV. den Thron; mit achtundzwanzig Jahren stirbt er. In den wenigen Zwischenjahren führt er auf den Gebieten der Religion, der Ethik, der Weltanschauung und der Kunst eine großartige Umwälzung herbei. Alles, was wir über diese geistige Revolution erfahren, läßt uns darauf schließen, daß der König seiner Zeit weit vorausgeeilt war. Er erscheint als der Träger von Ideen, die zum Teil erst nach mehr als tausend Jahren wieder aufgenommen wurden. Waren seine Vorfahren gewaltig in der Tat, so ist der letzte direkte Sproß der achtzehnten Dynastie ganz Träumer, ganz Denker und Idealist, ganz Ethiker und Ästhet. Er ist der erste Große im Reiche des Geistes, von dem die Geschichte der Menschheit meldet. 

Wer sich gewöhnt hat, alles Seelische unter den Gesichtspunkten der Freudschen Forschungen zu betrachten, den fordert das Leben Amenhoteps IV. gleichsam dazu heraus, es psychoanalytisch zu durchdringen. Denn es läßt in einzigartiger Durchsichtigkeit erkennen, wie ein Mensch in jener weit entlegenen Kulturepoche von den gleichen »Komplexen« beherrscht wurde, wie die gleichen psychischen Mechanismen in ihm wirkten, welche die Neurosen-Forschung Freuds und seiner Schule bei Individuen unserer Tage aufgedeckt hat. 

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In die Zeit der achtzehnten Dynastie fällt die erste »Weltherrschaft« Ägyptens. Unter den direkten Vorfahren Amenhoteps IV. war es Thutmosis III. gewesen, der sie begründete. Während seiner langen Regierungszeit erweiterte er sein Reich bis zum Euphrat. Es bedurfte einer stattlichen Reihe alljährlich wiederholter Feldzüge, um die ägyptische Herrschaft zu befestigen. Aus allen diesen Unternehmungen ging der tatkräftige Thutmosis als Sieger hervor. Sein Nachfolger, Amenhotep II., hatte vollauf zu tun, um die asiatischen Völker endgiltig zu unterwerfen. An kriegerischem Geist, Wildheit und Grausamkeit übertraf er alle seine Vorgänger. Seine Körperkraft war berühmt: Kein anderer Mann — so wird erzählt — war imstande, des Königs Bogen zu spannen. Sein Sohn, Thutmosis IV., der nur kurze Zeit regierte, war von geringer Körperkraft. Er erhielt Ägyptens politische Macht auf ihrer Höhe, jedoch nicht sowohl durch kriegerische Leistungen als durch die Heirat mit der asiatischen Prinzessin Giluchipa, der Tochter des Königs Artatama von Mitanni (Mesopotamien). Bei seinem Tode hinterließ er einen minderjährigen Sohn, für den seine Mutter die Regentschaft übernahm, bis er als Amenhotep III. selbst den Thron besteigen konnte. Diese Regentschaft ebnete dem asiatischen Einfluß den Boden am ägyptischen Hofe. Unter der Regierung Amenhoteps III. wurde der Höhepunkt der ägyptischen Macht bereits überschritten. Ihm fehlte der kriegerische Sinn noch mehr als seinem Vater. Dagegen war er ein begeisterter Jäger, der die Berichte von seinen Jagderfolgen der Nachwelt in gleicher Weise überlieferte wie seine Vorfahren ihre Kriegstaten. Er entfaltete am Hofe eine früher nicht gekannte Pracht. Die Kunst konnte in einer langen Friedenszeit erblühen. In folgenschwerster Weise wurde aber den fremden Einflüssen Raum gegeben, indem auch dieser König eine Fremde heiratete, die den Namen Teje führte. Sie war die Tochter eines anscheinend aus Asien eingewanderten Priesters, der dem Hofe nahe stand. Als sie ihm keinen männlichen Thronerben gebar, nahm er sich eine zweite Gemahlin. Auch diese war keine Ägypterin, sondern eine Asiatin: Taduchipa, Prinzessin von Mitanni, eine Tochter des nunmehr dort regierenden Königs Tuschratta. Amenhotep III. wählte in ihr eine Cousine aus der mütterlichen Familie. Seine erste Gemahlin Teje gebar jedoch später noch den sehnlich erwarteten Sohn, den nachmaligen König Amenhotep IV. 

Mit den Jahren ging die Regierung immer mehr vom König auf die Königin über. Die äußere Politik des Landes erfuhr dadurch keine wesentliche Veränderung. Dagegen machte sich auf religiösem Gebiete alsbald ein Umschwung bemerkbar. Die Königin und ihr Anhang versuchten den hergebrachten Kultus des Amon bei Seite zu drängen und bevorzugten den bis dahin wenig populären Gott Aton. 

Amon war um jene Zeit unbestritten der Hauptgott Ägyptens2. Die Residenz der Pharaonen — Theben — war die wichtigste Stätte seines Kultes, und die Amonspriester von Theben besaßen sowohl am Hofe als im Volke einen außerordentlichen Einfluß. Die gleiche dominierende Rolle hatte ehedem der unterägyptische Hauptgott Ra (oder Re); innegehabt, bis innerpolitische Veränderungen den Schwerpunkt des staatlichen und religiösen Lebens nach der jüngeren Residenzstadt Theben verlegten. Der Kultus des Ra war jedoch keineswegs völlig beseitigt — ja wir finden sogar den für die religiösen Anschauungen der Ägypter sehr charakteristischen Versuch, die beiden rivalisierenden Gottheiten zu einer einzigen — »Amon-Ra« zu verschmelzen. Solcher kombinierter Gottheiten gab es viele. Die Priesterschaft eines weniger angesehenen Gottes liebte es, dem Namen des letzteren denjenigen des Ra oder Amon hinzuzufügen, um sein Ansehen dadurch zu steigern. Die Historiker weisen nun auf die bemerkenswerte, schon oben erwähnte Tatsache hin, daß der Vater der Königin Teje Priester einer solchen kombinierten Gottheit war, nämlich des Min-Ra. Min entsprach etwa dem Pan der Griechen; Min-Ra bedeutete also eine Kombination des Gottes der Fruchtbarkeit mit dem lebenspendenden Sonnengotte. Der Kultus einer solchen Gottheit, des Adonis, war nun in dem benachbarten Syrien zu Hause. Der asiatische Einfluß war in jener Zeit im Zunehmen begriffen. Und da nun der Vater der Königin ein wahrscheinlich aus Asien eingewanderter Priester war, so ergibt sich die Vermutung, daß es asiatische Einflüsse waren, die sich im Kultus des Min-Ra geltend zu machen begannen. 

Die Inschriften aus den späteren Regierungsjahren Amenhoteps III. enthalten mehrfach den Namen des Gottes Aton, der in ferner Vergangenheit neben Ra als Sonnengott im unterägyptischen Pharaonenreiche verehrt worden war. Die lautliche Ähnlichkeit der beiden Namen Aton und Adonis ist auffallend. Adonis war der Gott der untergehenden Sonne. Die Vermutung, der alte Name Aton sei zum Träger des von Asien eindringenden Adonis-Kultes geworden, ist nicht von der Hand zu weisen. Die namhaftesten Forscher tun dieser Auffassung Erwähnung. 

Nach Amenhoteps III. Tode nahm der Kultus des Aton, wie bereits bemerkt, größeren Umfang an. In eine solche Zeit des Überganges fällt der Regierungsantritt des minderjährigen Königs Amenhotep IV. (1375-1358 v. Chr.). 

Der junge König war von zartem, schwächlichem Körperbau, gelangte nie zu einer kernigen Gesundheit und starb schon im Alter von 28 Jahren. Es heißt auch, er habe an »Anfällen« (über die ich freilich nirgends nähere Angaben finden konnte) sowie an visionären Zuständen gelitten. Man hat daher die Ansicht ausgesprochen, er sei epileptisch gewesen; wohl mit dem gleichen Unrecht, wie es von anderen Großen der Geschichte behauptet worden ist. Die Epilepsie bringt stets einen fortschreitenden geistigen Verfall des Erkrankten mit sich. Hat ein Mensch sich durch besondere geistige Gaben ausgezeichnet, und ist er bis zu seinem Ende im Vollbesitz dieser Gaben geblieben, so kann die Annahme der Epilepsie schon aus diesem Grunde als ausgeschlossen gelten. Amenhotep IV. war, wie aus allen Quellmaterialien hervorgeht, ein Idealist und Träumer, der wichtigen Erfordernissen des Lebens rat- und tatlos gegenüberstand. Ihm eignete nicht epileptische Impulsivität; die weitgehende Verdrängung in seinem Triebleben und die ausgeprägten Reaktionsbildungen in seinem Charakter gemahnen uns vielmehr an das Wesen der Neurotiker. Erinnern wir uns daran, daß nach gesicherter Erfahrung die phantasiebegabten Menschen — Dichter und Künstler — stets eine Beimischung neurotischer Züge aufweisen, so werden wir Amenhotep IV. eher dieser Menschenklasse zurechnen. 

Mag der junge König nun neurotischen Zuständen in höherem oder geringerem Maße unterworfen gewesen sein — so vereinigte er mit ihnen sicher eine ungewöhnlich frühreife und vielseitige Intelligenz, ein Gefühlsleben von seltenem Reichtum. Wir erkennen in ihm einen Typus wieder, der auch in unserer Zeit existiert. Auch heute beobachten wir oft genug, wie in einer Familie Tatkraft und körperliche Leistungsfähigkeit zurückgehen, indessen der absterbende Stamm noch den einen oder anderen Sproß hervorbringt, der in geistiger Hinsicht vielleicht einen Aufstieg bedeutet, durch neurotische Veranlagung aber gehindert wird, sich an Leib und Seele harmonisch zu entwickeln. 

Ein Blick in die Geschichte so mancher Familie läßt bemerken, wie sich aus ihrer Mitte eine Persönlichkeit erhebt und sich durch ihre Aktivität Bahn bricht. Schon der Sohn eines solchen Mannes leitet oft den Abstieg der Familie ein. Häufig fehlt ihm die kraftvolle Konstitution des Vaters. Hat er sie aber auch ererbt, so wächst er doch im Schatten einer übermächtigen Persönlichkeit heran und wird dadurch in der freien Entfaltung gehindert. Er setzt das Werk des Vaters fort, ohne dessen Erfolge zu überbieten. Sein Machtbedürfnis zeigt sich mehr in seinen gesteigerten Ansprüchen an das Leben, in der Neigung zu Genuß und Luxus. Die folgende Generation pflegt dann an Energie und Tatkraft noch weiter nachzulassen, zeigt eine Tendenz zur intellektuellen Überfeinerung und zur Sentimentalität. Den Anforderungen der Realität nicht gewachsen, treibt sie der Neurose zu. 

Viel Entsprechendes findet sich in dem Entwicklungsgang der achtzehnten ägyptischen Dynastie von ihren älteren machtvollen Vertretern über Amenhotep III. bis zu dessen Sohne, dem Träumer und Philosophen, dessen Persönlichkeit nunmehr in psychoanalytische Beleuchtung gerückt werden soll. 

Bringen wir bei einem Neurotiker das psychoanalytische Verfahren zur Anwendung, so begnügen wir uns nicht mit der Kenntnis seiner Lebensschicksale und der Feststellung des Krankheitsbildes, sondern wir dringen in das Unbewußte des Patienten ein und decken dessen Beziehungen zu den Erscheinungen der Neurose auf. Wir rekonstruieren in gemeinsamer Arbeit mit dem Patienten die Geschichte seiner Libido, d. h. ihren Zustand in der Kindheit, das Wirken der Sexualverdrängung und die Rückkehr verdrängter Wunschregungen in das Bewußtsein. Jeder Krankheitsfall, den wir in dieser Weise untersuchen, lehrt uns von neuem die Bedeutung erkennen, welche der Einstellung des Kindes den Eltern gegenüber zukommt. 

Wir haben aber erfahren, daß auch der Gesunde in seinem Unbewußten die gleichen Triebkräfte birgt wie der Neurotiker, daß auch bei ihm die unbewußte Einstellung zu den Eltern den »Kernkomplex« bildet. Daß die Libido des Knaben zuerst der Mutter zustrebt, daß seine ersten feindselig-eifersüchtigen Regungen dem Vater gelten, können wir bei jedem Individuum von neuem beobachten. Nur gelingt es dem gesunden Individuum, diejenigen Triebkräfte, deren Verdrängung aus sozialen Gründen erforderlich ist, zu sublimieren und zwischen Trieb und Verdrängung einen Ausgleich zu schaffen, während der Neurotiker zwischen den Extremen hin und her geworfen wird. 

Amenhotep IV. zum Objekt einer psychoanalytischen Untersuchung zu machen, müßte als ein gänzlich phantastisches und aussichtsloses Unternehmen erscheinen, würden wir nicht gerade über den »Elternkomplex« des jungen Königs aus seiner Geschichte in einer nicht mißzuverstehenden Weise unterrichtet. Die Tatsachen aber, von welchen bald die Rede sein soll, frappieren durch ihre weitgehende Analogie mit den Erfahrungen der Psychoanalyse. 

In der Ehe seiner Eltern, des Königs Amenhotep III. und der Königin Teje, hatte die letztere ohne Zweifel das Übergewicht. Eine Frau von großer Intelligenz und Regsamkeit, nahm sie mehr und mehr die Zügel der Regierung in die Hand. An Tatkraft, Initiative und praktischer Klugheit war sie ihrem Gemahl weitaus überlegen, der in seinen letzten Lebensjahren wenig Interesse für die Regierungsgeschäfte an den Tag gelegt zu haben scheint. Im Leben ihres Sohnes ist ihr Einfluß überall aufs deutlichste zu erkennen. Er muß ihr von Kindheit an besonders nahe gestanden haben. Seine Libido hatte sich in ungewöhnlichem Maße an die Mutter fixiert, während im Verhältnis zum Vater eine ebenso ausgesprochene negative Einstellung hervortritt. 

Für die nachhaltige Fixierung des jungen Königs an seine Mutter vermögen wir neben ihrer geistigen Bedeutung noch eine andere Ursache namhaft zu machen: das ist Tejes Schönheit. Wir sind in der Lage, uns eine lebendige Vorstellung von dem Äußeren dieser merkwürdigen Frau zu bilden. Eine kleine, in privatem Besitz befindliche Porträtbüste (von der das Berliner Museum eine Nachbildung enthält) zeigt in ihren Zügen eine seltene Vereinigung von Schönheit, Klugheit und Energie. Sie ist von so packender Lebendigkeit, daß sie ihren Eindruck auf den Beschauer auch heute nicht leicht verfehlen wird. Schon die Betrachtung einer Reproduktion3 — siehe die beigeheftete Tafel — läßt es dem Kundigen begreiflich erscheinen, daß der feinsinnige, sensible Sohn sich in besonderem Grade an diese Mutter fixierte. 

Eine derartig starke und nachhaltige Bindung der Libido an die Person der Mutter entfaltet in späterer Zeit ganz bestimmte Wirkungen auf die Erotik des reifenden oder erwachsenen Sohnes. Sie erschwert es ihm — wie ich dies in einem früheren Aufsatz4 ausgeführt habe — zur Zeit der Pubertät seine Libido von der Mutter abzulösen und sie auf neue Liebesobjekte zu übertragen; nicht selten mißlingt die Ablösung sogar völlig. Meist gelingt sie in einem unvollkommenen Grade; alsdann tritt die Neigung hervor, sich monogamisch an eine Person zu binden, die zum Ersatz der Mutter wird. Die einmal erfolgte Übertragung der Libido pflegt die endgiltige, unwiderrufliche zu sein. 

Eben dieser monogamische Zug findet sich nun bei dem jungen König in ausgesprochener Weise. Die Schicksale seines Liebeslebens sind einfach erzählt. Bald nach dem Tode seines Vaters wurde er, noch nicht zehn Jahre alt, vermählt. Zur Gemahlin erhielt er eine ebenfalls noch kindliche asiatische Prinzessin. Es ist bemerkenswert, daß jetzt zum dritten Male eine Asiatin zur künftigen Königin erhoben wurde. Zur künftigen — denn einstweilen blieb die Herrschaft in den Händen der Königin-Mutter Teje und ihrer Berater. Als sie herangereift war, gebar die junge Königin eine Reihe von Töchtern, während der ersehnte männliche Thronerbe ausblieb. Amenhotep IV. unterließ es jedoch, wie sein Vater eine zweite Gemahlin zu nehmen,- er beschränkte sich auf die von ihm über alles geliebte Nefer-Nefru-Aton. Diese Tatsache wird umso auffälliger, wenn man in Betracht zieht, daß die früheren Könige nach orientalischer Sitte einen Harem unterhalten hatten. Amenhotep IV. ist, wie Weigall richtig hervorhebt, der erste der Pharaonen, der in streng monogamischer Ehe lebte. Er beschränkte sich auf eine einzige Frau, die ihm überdies angetraut war, als er noch im Kindesalter stand. Er verzichtete also zeitlebens auf eine eigene Objektwahl. An seine Gemahlin fixierte er sich mit ähnlicher Intensität, wie an seine Mutter. Auch nachdem er großjährig geworden war, zeigte er sich in der Öffentlichkeit mit Vorliebe in Begleitung der beiden Frauen, die denn auch einen bedeutenden Einfluß auf die Regierung ausübten5

Unmittelbar nach dem Tode Amenhoteps III. gab die Königin-Witwe deutlich zu erkennen, wie sehr sie dem Kult des Aton zuneigte und wie wichtig es ihr war, ihren unmündigen Sohn zum Werkzeug ihrer Reformpläne zu machen. Amenhotep IV. erhielt beim Regierungsantritt einen höchst bezeichnenden Titel. Seinem Namen Amenhotep, der etwa bedeutete »von Amon geliebt« wurde hinzugefügt: »Hoher Priester des Ra-Horakhti, welcher sich am Horizont erfreut seines Namens: »Glut, die in Aton ist«. So zeichnete die Mutter dem Sohne gleichsam den Weg vor, den er nach ihrem Willen gehen sollte. 

Aton war nun ganz offiziell zum Rivalen Amons geworden. Noch wies nichts darauf hin, daß er wenige Jahre später zum alleinigen, einzigen Gotte erhoben werden sollte, wie es geschah, als der König die Großjährigkeit erreicht hatte. Noch ahnte niemand die neue Weltanschauung, in deren Mittelpunkt Aton treten sollte. Teje war klug und besonnen genug, einen zu raschen Übergang zu dem neuen Kult zu verhüten oder gar die Anhänger des alten Kultes anzufeinden. Es wäre auch zu jener Zeit ein aussichtsloses Unternehmen gewesen, sogleich den Kampf mit der Priesterschaft des Amon aufzunehmen. Doch ließen schon die ersten Maßregeln ihrer Regentschaft klar erkennen, wohin sie strebe. 

Das erste Bauwerk, welches unter der (nominellen) Regierung Amenhotep's IV. errichtet wurde, war der Tempel des Ra-Horakhti-Aton zu Karnak. Ein hier aufgestelltes Bildwerk zeigt den König — wie es ja seinem Namen durchaus entsprach — den Gott Amon verehrend. Das gleiche Bildwerk aber enthält auch das Symbol des Aton: die am Himmel stehende Sonnenscheibe mit Strahlen, die in Hände auslaufen und den König umgeben. Wir dürfen wohl eine Art von vorsichtiger Rücksichtnahme auf die Amons-Priester darin erkennen, daß der König hier in Beziehung zu beiden Gottheiten gesetzt wurde. Theben aber, die Hauptstadt und Zentrale des Amonsdienstes, erhielt einen neuen Namen: Stadt des Glanzes Atons. 

Mit etwa 15 Jahren übernahm Amenhotep IV. selbst die Regierung. Er befand sich jetzt in dem Lebensalter, das sich der körperlichen Reifung anschließt. Wohl zeigte sich bald, welch starke Individualität in dem Jüngling steckte. Wohl mußte jeder mit der Zeit erkennen, daß Amenhotep seine eigenen Wege gehen werde. Dennoch blieb der Einfluß der Mutter, so lange sie lebte, unverkennbar. Der Sohn setzte das von ihr begonnene Werk mit seiner ganzen jugendlichen Begeisterung fort. In ihrer vollen Stärke tritt diese seine Fixierung an die Mutter erst hervor, wenn man seine Bestrebungen, sich vom Vater zu lösen, zum Vergleich heranzieht. 

Das gesamte Verhalten des jungen Königs in den nun folgenden Jahren steht im Zeichen der Auflehnung gegen seinen schon seit geraumer Zeit verstorbenen Vater. Leider sind wir gänzlich ununterrichtet darüber, in welchem Verhältnis er als Knabe zu diesem stand, aber seine Einstellung in der Pubertät und in den späteren Jahren deckt sich völlig mit derjenigen, wie wir sie heute bei vielen Individuen beobachten können: Sie hangen unbewußt dem Vater an wie in der Kindheit. Herangewachsen, suchen sie sich von dieser inneren Abhängigkeit zu befreien. Äußerlich ensteht dann der Anschein, als kämpften sie gegen den Vater in Person. In Wirklichkeit ist es die in ihrem Unbewußten herrschende Fixierung an den Vater, gegen die sie sich auflehnen, ist es die Imago des Vaters, deren Herrschaft sie abschütteln wollen. Nur so erklärt es sich, daß der Neurotiker oft einen Kampf führt, der sich — seiner äußeren Erscheinung nach — gegen einen Verstorbenen richtet. 

In dem jungen König bestand also ein Gegensatz zweier Parteien, einer konservativen und einer revolutionären. Die Erfahrung lehrt, daß es unter solchen Umständen zu psychischen Kompromißbildungen kommt. 

Nach allem, was bisher über den Jüngling berichtet wurde, wird man erwarten, daß seine Auflehnung gegen den Vaterkomplex nicht in einer stürmisch-gewaltsamen Form vor sich gegangen sei. Und tatsächlich wird sich zeigen, wie er seine Auflehnung gegen die väterliche Macht und Autorität in idealen Bestrebungen sublimierte, die freilich in entschiedenster Weise gegen die durch den Vater vermittelte Tradition gerichtet waren. Wenn aber trotzdem später in gewisser Hinsicht die gewalttätige, revolutionäre Tendenz offener zum Durchbruch gelangte, so werden wir gerade daraus auf die Heftigkeit des inneren Kampfes schließen, der sich in Amenhotep abspielte. Der revolutionären Tendenz wirkte, wie erwähnt, eine Konservative entgegen. Wir beobachten bei Amenhotep IV. einen Vorgang, der uns von den Neurotikern wohlbekannt ist. Sie lehnen die Autorität des Vaters in religiöser, politischer oder sonstiger Beziehung ab, ersetzen sie aber durch eine andere und zeigen dem Kundigen gerade dadurch, daß sie das Bedürfnis nach einer väterlichen Autorität tatsächlich nicht verloren haben. 

Für Kompromißbildungen dieser Art gibt es kaum prägnantere Beispiele, als sie die Geschichte Amenhoteps IV. bietet. Bald nach seinem Regierungsantritt bricht er vollends mit der religiösen Tradition, bricht mit Amon, dem Gotte seines Vaters, und geht zu Aton über, den er mit einer Macht und Autorität ausstattet, die kein Gott zuvor besessen hatte. Er läßt damit den uralten unterägyptischen Sonnenkultus in neuer Form wieder aufleben. Indem er aber auf den Kultus des Ra-Horakhti-Aton zurückgreift, knüpft er an das Vorbild der ältesten Könige an, die ihre Herkunft unmittelbar von Ra ableiteten. Um noch deutlicher zu dokumentieren, wie nahe er sich ihnen, wie fern seinem Vater fühlt, trägt er stets die Krone von Unterägypten, d. h. des um Vieles älteren Reiches, wie er denn überhaupt von Anfang an nach Unterägypten tendiert. Andere bemerkenswerte Symptome treten hinzu. 

Wir begegnen um diese Zeit den ersten Veränderungen des Kunststiles; gerade diese sind besonders charakteristisch. Dem Kenner ägyptischer Kunst fallen an den Bildern des Königs gewisse Eigentümlichkeiten auf, durch die sie sich von den Werken der vorhergehenden Zeit auf den ersten Blick unterscheiden: der in die Länge gezogene Schädel und Hals, der vorstehende Leib und die überlangen Hüften und Schenkel. Die Forscher haben diese Abweichungen auf verschiedene Art zu erklären versucht. Besonders war man zu der Annahme geneigt, bei dem Könige habe eine körperliche Deformität im Sinne jener Abbildungen und Skulpturen bestanden. Aber diese Hypothese mußte verlassen werden, als man die Mumie des Königs aufgefunden hatte. Denn Deformitäten, wie sie in den bildlichen Darstellungen Amenhoteps IV. erscheinen, fand man an den Knochen der Mumie nicht. Weigall hat nun in höchst geistreicher und überzeugender Weise den Nachweis geführt, daß die seltsamen Formen in der Kunst dieser Zeit auf archaische Vorbilder zurückgehen, und zwar auf solche aus der Zeit der ältesten unterägyptischen Könige. Weigall gibt auf einer Tafel eine sehr instruktive Gegenüberstellung von Darstellungen aus der Urzeit ägyptischer Kunst und aus der uns beschäftigenden Epoche. Die Anlehnung des Stiles dieser letzteren Zeit an den der archaischen ist ganz evident6. Der junge König stellt durch Wiederaufnahme des ältesten Stiles eine besonders innige Verbindung zwischen sich selbst und den ältesten Königen her. 

Der Sinn dieser ersten von Amenhotep IV. selbst durchgeführten Veränderungen in Kultus und Kunst liegt klar zutage: der König will nicht Sohn und Nachfolger seines Vaters sein, sondern Sohn des Gottes Ra. Er will nicht den Gott seines wirklichen Vaters verehren, sondern seinen imaginären Vater Ra (Aton). 

Wir werden hierdurch an geläufige Erscheinungen erinnert, die durch die psychoanalytische Erforschung der Neurosen ihre Aufklärung gefunden haben. Es sind die sogenannten Abkunftsphantasien, die sich aber auch bei nicht neurotischen Personen finden. 

Der Vater ist für das Kind ursprünglich das Vorbild aller Macht und Größe. Treten feindselige Regungen gegen ihn auf, so entthront der Knabe häufig in seiner Phantasie den Vater, indem er sich selbst etwa zum Sohne eines imaginären Königs erhebt, seinem tatsächlichen Vater dagegen nur die Rolle eines Pflegevaters zuerteilt. Ein Prinz zu sein, ist eine der gebräuchlichsten Knabenphantasien. Bei Geisteskranken gehen aus solcher Ablehnung des Vaters Wahnideen hervor, welche die hohe Abkunft des Kranken zum Inhalt haben. Bekannt sind uns die gleichen Ideengänge aus den Mythen und Märchen, in denen oftmals der Held als Sohn niederer Eltern auferzogen wird, bis er später der Herrscherwürde teilhaftig wird, die ihm seiner wirklichen Abkunft gemäß zukommt. Es sind dies Mythen, die den uralten Konflikt zwischen Sohn und Vater in allerhand Verhüllungen zum Ausdruck bringen.7 

Amenhotep IV. verfährt ganz in diesem Sinne: er verschmäht die Abkunft von seinem wirklichen Vater und setzt einen Höheren an dessen Stelle. Da er aber in Wirklichkeit ein Königssohn war, so konnte er sich durch die bei anderen übliche Phantasie von königlicher Abkunft nicht über seinen Vater erheben. Er mußte schon eine Stufe höher hinaufsteigen: zu den Göttern. Man muß in Betracht ziehen, daß zu damaliger Zeit der ägyptische König der Beherrscher eines Weltreiches war. Einen Sterblichen, der ihn an Macht übertroffen hätte, gab es nicht. Da blieb der Phantasie nur die einzige Möglichkeit, die eigene Existenz mit einem außerirdischen Wesen in Verbindung zu bringen. Dem Amon konnte die Vaterrolle nicht Zufällen; er war ja der von Amenhotep III. verehrte Gott! Der Einfluß der Mutter wies auf Aton, resp. Ra hin, der überdies in der Vorzeit als Stammvater der ersten Könige gegolten hatte. 

So begann die Regierung Amenhoteps IV. nicht mit kriegerischen Taten oder sonstigen Ereignissen der äußeren Politik, sondern mit Neuerungen auf ideellem Gebiet. Zunächst allerdings handelte es sich noch nicht um Neuerungen im eigentlichen Sinne, sondern eher um eine Rückkehr zu Ältestem, Vorgeschichtlichem. Je mehr der König aber zum erwachsenen Manne wurde, um so mehr Neues und Eigenes fügte er dem Alten, an das er angeknüpft hatte, hinzu. Daß die nun einsetzende Umwälzung in der Kunst auf die persönliche Initiative des Königs zurückging, dafür besitzen wir wertvolle Zeugnisse in ein paar Grabschriften von Künstlern, welche die Bauten des Königs ausgeführt hatten. Es war in Ägypten allgemein Sitte, daß in der Grabschrift der Verstorbene gewissermaßen persönlich seinen Lebenslauf erzählte. Bekanntlich verdanken wir diesen in großer Zahl erhaltenen Inschriften einen nicht geringen Teil unserer Kenntnis der ägyptischen Geschichte. Der königliche Baumeister Bek, dessen Werk die sogleich zu erwähnende neue Hauptstadt war, berichtet nun in seiner Grabschrift, daß seine Majestät ihn selbst unterwiesen habe. Man könnte darin eine an die Adresse des Königs gerichtete, höfische Schmeichelei erblicken; doch sicher mit Unrecht! Wir sind auch ohne solche Zeugnisse in der Lage, in der bildenden Kunst jener Epoche den Geist des Königs zu erkennen. Denn die Malerei und Plastik seiner Zeit sind eine Verkörperung der Ideale, deren Pflege sich der jugendliche Schwärmer mit ganzer Hingabe gewidmet hatte. Von der beständigen Betonung der Wahrheit in seinen ethischen Lehren und von dem ihr entsprechenden, ganz modern anmutenden Realismus in der Kunst seiner Epoche wird später noch die Rede sein. 

Hatten seine Vorfahren nach einer Erweiterung und Sicherung ihrer politischen Machtsphäre getrachtet, so strebte der Nachkomme nach einer stetigen Erweiterung seines geistigen Gesichtskreises. Er wandte sein Interesse der ausländischen Kunst, den fremden Religionen und Mythen zu; allem Anschein nach gelang es ihm auch, die maßgebenden Kreise der Hauptstadt für die ihn bewegenden Fragen zu interessieren. 

Zwei Jahre nach seinem Regierungsantritt tat der erst Siebzehnjährige einen Schritt von größter prinzipieller Tragweite; er gründete eine neue Residenz, die den Namen »Achet-Aton« (»Horizont des Aton«) erhielt. Er ließ diese Stadt etwa 450 km nördlich von der bisherigen Hauptstadt Theben erbauen. Damit entfernte er sich demonstrativ von der alten Amonsstadt und näherte sich dem Nildelta (d. h. dem ältesten Reiche). Die neue Aton-Stadt lag an der Stelle des heutigen Tell-el-Amarna; hier wurden auch die eingangs erwähnten Tafeln aufgefunden. Bald erhoben sich Paläste und Tempel von großer Pracht. Außerdem wurde auch in Nubien und in Syrien je eine neue Stadt gegründet, deren Namen ausdrückten, daß sie dem Gotte Aton geweiht seien. Zwei Jahre später — 19 Jahre alt — verließ Amenhotep IV. endgiltig Theben und verlegte seine Residenz nach Achet-Aton. Zu gleicher Zeit änderte er seinen Namen und nannte sich fortan Echnaton, »dem Aton angenehm«8

Inzwischen war es zu schweren Konflikten mit der Amonspriesterschaft gekommen, die sich den Neuerungen widersetzte. Echnaton führte aber sein Vorhaben mit eiserner Konsequenz durch. Er vertrieb die dem Aton feindlichen Priesterschaften aus ihrem Besitz, und indem er die Verehrung aller anderen Götter bekämpfte, erhob er Aton zum einzigen Gotte des Landes. Besonders erklärte er dem Amon den Krieg. Er richtete sein Streben darauf, die Spuren des Gottes, nach dem sein Vater und er selbst benannt waren, überall auszutilgen. Der verhaßte Name sollte nicht mehr laut werden. Und so ließ er in gleicher Weise den Namen Amon und den Namen seines Vaters Amenhotep aus allen Inschriften und Denkmälern beseitigen. In dieser seltsamen Reinigungsaktion kommt die alte, lange zurückgehaltene oder sublimierte Feindschaft des Sohnes in aggressiver Weise zum Durchbruch. Das Vorgehen des Königs erscheint wie die Verwirklichung eines uralten, orientalischen Fluches gegen einen schlimmen Widersacher, dem man zu wünschen pflegte, daß seiner nicht gedacht werden sollte. Echnaton suchte Amons, und damit zugleich seines Vaters Gedächtnis auszutilgen. Er hat später, als seine Mutter Teje starb, die letzten Konsequenzen nach dieser Richtung gezogen. Tejes Mumie wurde nicht neben der ihres Gemahls bestattet, sondern nahe der Atonstadt in einer neuen Gruft, in der Echnaton selbst einst ruhen wollte. In der Grabschrift wird sie als die Gemahlin »Nebmaaras« bezeichnet. Nebmaara war ein persönlicher Name Amenhoteps III., den er aber als König nicht offiziell geführt hatte. Noch bemerkenswerter ist, daß das Wort »Mutter« nicht mit dem in der Hieroglyphenschrift üblichen Zeichen des Geiers, sondern buchstabenweise geschrieben ist. Das Geierzeichen bedeutete nicht nur »Mutter«, sondern noch speziell die Göttin Mut, die aber Amons Gemahlin war. Das Zeichen würde also einen zwar indirekten, aber deutlichtn Hinweis auf Amon enthalten haben, und aus diesem Grunde mußte es vermieden werden. Echnaton wollte also im Tode neben seiner Mutter ruhen, die er von ihrem Gatten getrennt hatte. Bis über das Grab hinaus sollte seine Rivalität mit dem Vater um den Besitz der Mutter sich äußern! So vollzog er an den Toten, was er an den Lebenden zu tun nicht vermocht hatte. Er erinnert uns durch diesen Charakterzug ganz besonders an das Verhalten neurotischer Individuen. 

Ebenso ostentativ, wie er die Nennung seines Vaters mied, benutzte der König fortan jede Gelegenheit, sich als Atons Sohn zu bezeichnen. Die Inschriften von Achet-Aton zeigen es mit größter Deutlichkeit. Da heißt es z. B. mit Bezug auf den Bezirk, welcher dem Gotte geweiht wurde: »Dieses Gebiet von ... bis ... soll meinem Vater Aton gehören«. 

Mit der Errichtung der neuen Residenz und ihrer Heiligtümer ging die weitere Ausgestaltung der neuen Religion und ihres Kultes Hand in Hand. 

Aton ist Echnatons Vater, doch nicht im gleichen Sinne, wie einst Ra als Vater der ersten Könige gegolten hatte. Der neue Gott ist ein idealisierter Vater, und er ist nicht nur des Königs Vater im strengen Sinne des Wortes, sondern ein Vater aller Geschöpfe, der Ursprung des Alls. Er ist nicht — wie Ra oder Amon — ein Gott neben andern oder über andern, sondern ein einziger Gott, nicht ein Nationalgott, sondern ein Universalgott, dem alle Wesen gleich nahe stehen. 

Es ist besonders hervorzuheben, daß Echnaton nicht die Sonne als Gottheit verehrte, sondern daß er die Wärme der Sonne, als lebenspendende Kraft, in Aton personifizierte. Breasted (Deutsche Ausgabe S. 296) betont mit Recht: »Wenn Echnaton auch keinen Versuch machte, die Identität seiner neuen Gottheit mit dem alten Gott Re zu verbergen, so war es doch nicht bloß Sonnenverehrung, was er erstrebte. Das Wort Aton wurde an Stelle des alten Wortes »Gott« (neter); verwendet, und der Gott selbst deutlich von dem Sonnengestirn unterschieden. Dem alten Namen des Sonnengottes fügte man den erklärenden Satz hinzu: »das heißt: die Glut, welche in der Sonne (Aton) ist«, und man nannte ihn gelegentlich auch den »Herrn der Sonne (Aton)«. 

Wenn Flinders Petrie in Echnaton einen Vorläufer des Monotheismus erblickt, so darf man über dieses Urteil sehr wohl noch um ein Beträchtliches hinausgehen. Echnatons Lehre enthält nicht nur wesentliche Bestandteile des alttestamentarischen jüdischen Monotheismus, sondern eilt ihm in mancher Beziehung voraus. Ja, ganz das Gleiche ergibt sich, wenn man Echnatons Ideen neben diejenigen des um dreizehn Jahrhunderte jüngeren Christentums hält. Und nicht Weniges gemahnt uns an moderne, unter dem Einfluß der Naturwissenschaften entstandene Anschauungen! 

Die uns erhaltenen Gebete und Hymnen, deren bedeutendster später mitgeteilt werden soll, lassen Echnatons Auffassung vom Wesen des einzigen Gottes klar erkennen. Aton ist das liebende, allgütige Wesen, das durch Raum und Zeit hindurchgeht. Den früheren ägyptischen Gottheiten war solche Güte und Milde gänzlich fremd gewesen, ganz wie den Menschen, von denen sie verehrt wurden. Aton kennt nicht Haß, nicht Eifersucht noch Strafe, wie der Gott des alten Testamentes. Er ist der Herr des Friedens, nicht des Krieges. Er ist frei von allen menschlichen Leidenschaften. Echnaton stellt sich ihn nicht körperlich vor — wie die alten Götter — sondern geistig und unpersönlich. Er verbietet daher jede bildliche Darstellung des Gottes, darin ein Vorläufer der mosaischen Gesetzgebung! Aton ist die lebenspendende Kraft, der alles Lebende seine Existenz verdankt. 

Weigall weist darauf hin, daß Echnatons Gottesauffassung der christlichen mehr ähnele als der mosaischen. Besonders treffend bemerkt er: »The faith of the patriarchs is the lineal ancestor of the Christian faith; but the creed of Akhnaton is its isolated prototype«. (p. 117.) 

Die ganze Anschauungswelt und das gesamte religiöse System Echnatons zeigen eine einzig dastehende Tendenz zur Vergeistigung. Nicht nur der Bilderdienst wird abgeschafft, sondern ebenso alles, was früher Beiwerk und Ballast der Religion gewesen war. Das Zeremoniell der Aton-Religion war äußerst einfach; alles war auf möglichste Verinnerlichung gerichtet. Da gab es keine verdunkelnden Mysterien, sondern der Sinn des neuen Glaubens wurde in den vom König gedichteten Hymnen in zugleich verständlicher und packender Form dargestellt. Es fehlte ferner alles, was an Weltflucht oder Askese hätte erinnern können. Abgeschafft wurden auch die Toten- und Unterweltsgötter; auch Osiris verlor seine Bedeutung. Die Höllenstrafen, die einen wesentlichen Bestandteil des alten Glaubens gebildet hatten, finden keine Erwähnung mehr. Dem Verstorbenen wurde nur ein einziger Wunsch zugeschrieben: die Sonne, d. h. Atons Glanz wiederzusehen; und lediglich darauf bezogen sich nunmehr die in den Grabmälern eingemeißelten Gebete des Toten, daß seine Seele das Licht sehen möge. 

Besser als jede Beschreibung veranschaulicht der schon erwähnte große Hymnus die religiösen Ideen Echnatons. Er möge deswegen hier unverkürzt folgen. Die Übersetzung entnehme ich der deutschen Ausgabe von Breasteds Geschichte. Er lautet wie folgt: 

Der Glanz des Aton.
Dein Aufleuchten ist schön am Rande des Himmels, 
Du lebender Aton, der zuerst lebte! 
Wenn du dich erhebst am östlichen Rande des Himmels, 
So erfüllst du jedes Land mit deiner Schönheit. 
Denn du bist schön, groß und funkelnd, du bist hoch über der Erde; 
Deine Strahlen umarmen die Länder, ja alles, was du gemacht hast. 
Du bist Ra, und du hast sie alle gefangen genommen;  
Du fesselst sie durch deine Liebe. 
Obwohl du fern bist, sind deine Strahlen doch auf Erden; 
Obwohl du hoch droben bist, sind deine Fußstapfen der Tag! 

Nacht. 
Wenn du untergehst am westlichen Rande des Himmels, 
So liegt die Welt im Dunkel, als wäre sie tot. 
Sie schlafen in ihren Kammern, 
Ihre Häupter sind verhüllt, 
Ihre Nasen sind verstopft, und keiner sieht den andern. 
Gestohlen wird alle ihre Habe, die unter ihren Häuptern liegt, 
Ohne daß sie es wissen. 
Jeder Löwe kommt aus seiner Höhle, 
Alle Schlangen stechen. 
Dunkel herrscht, es schweigt die Welt; 
Denn der sie schuf, ist am Himmelsrande zur Ruhe gegangen. 

Der Tag und der Mensch. 
Hell ist die Erde, 
Wenn du aufgehst am Himmelsrand, 
Wenn du als Aton bei Tage scheinst. 
Das Dunkel wird verbannt, wenn du deine Strahlen aussendest. 
Die beiden Länder9 feiern täglich ein Fest, 
Wachend und auf ihren Füßen stehend. 
Denn du hast sie aufgerichtet. 
Sie waschen sich und nehmen ihre Kleider; 
Ihre Arme erheben sich in Anbetung, wenn du erscheinst. 
Alle Menschen tun ihre Arbeit. 

Der Tag und die Tiere und Pflanzen. 
Alles Vieh ist zufrieden mit seiner Weide, 
Alle Bäume und Pflanzen blühen. 
Die Vögel flattern über ihren Sümpfen, 
Und ihre Flügel erheben sich in Anbetung zu dir. 
Alle Schafe hüpfen auf ihren Füßen, 
Alle Vögel, alles, was flattert — 
Sie leben, wenn du über ihnen aufgegangen bist. 

Der Tag und das Wasser. 
Die Schiffe fahren stromauf und stromab. 
Jede Straße ist offen, weil du leuchtest. 
Die Fische im Strom springen vor dir. 
Und deine Strahlen sind mitten im großen Meer. 

Die Erschaffung des Menschen. 
Du bist es, der den Knaben in den Frauen schafft. 
Der Samen in den Männern gemacht hat; 
Der dem Sohn Leben gibt im Leibe seiner Mutter, 
Der ihn beruhigt, damit er nicht weine. 
Du Amme im Mutterleibe. 
Der Atem gibt, um alles zu beleben, was er gemacht hat! 
Kommt er heraus aus dem Leibe, 
.... am Tage seiner Geburt, 
So öffnest du seinen Mund zum Reden, 
Du schaffst ihm, wessen er bedarf. 

Erschaffung der Tiere. 
Das Küchlein piept schon in der Schale, 
Du gibst ihm Atem darin, um es zu beleben. 
Wenn du es vollkommen gemacht hast. 
So daß es die Schale durchbrechen kann. 
So kommt es heraus aus dem Ei, 
Um zu piepen, so viel es kann; 
Es läuft herum auf seinen Füßen, 
Wenn es aus dem Ei herauskommt. 

Die ganze Schöpfung. 
Wie mannigfaltig sind alle deine Werke, 
Sie sind vor uns verborgen, 
O du einziger Gott, dessen Macht kein anderer hat. 
Du schufst die Erde nach deinem Begehren, 
Während du allein warst: 
Menschen, alles Vieh, groß und klein. 
Alles, was auf der Erde ist, 
Was einhergeht auf seinen Füßen; 
Alles, was hoch droben ist, was mit seinen Flügeln fliegt. 
Die Länder Syrien und Nubien 
Und das Land Egypten; du setzest jedermann auf seinen Platz 
Und gibst ihnen, was sie bedürfen. 
Ein jeder hat seinen Besitz, 
Und ihre Tage sind gezählt. 
Ihre Zungen reden mancherlei Sprache, 
Auch ihre Gestalt und Farbe sind verschieden. 
Ja, du unterschiedest die Menschen. 

Bewässerung der Erde. 
Du schufst den Nil in der Unterwelt, 
Du führtest ihn herauf nach deinem Belieben, 
Um die Menschen am Leben zu erhalten. 
Wie du sie dir gemacht hast. 
Du, ihrer aller Herr! 
Du Tagessonne, die Furcht jedes fernen Landes, 
Du schaffst auch ihr Leben. 
Du hast einen Nil an den Himmel gesetzt. 
Damit er für sie herabfalle 
Und Wellen schlage auf den Bergen wie das Meer 
Und ihre Felder bewässere in ihren Städten. 
Wie herrlich sind deine Pläne, du Herr der Ewigkeit! 
Der Nil am Himmel ist für die Fremdländer 
Und für das Wild der Wüste, das auf seinen Füßen geht; 
Der (wirkliche) Nil aber quillt aus der Unterwelt hervor für Egypten. 
So ernähren deine Strahlen jeden Garten, 
Wenn du dich erhebst, so leben sie und wachsen für dich. 

Die Jahreszeiten. 
Du machtest die Jahreszeiten, um alle deine Werke zu schaffen. 
Den Winter, um sie zu kühlen, und ebenso auch die Hitze (des Sommers) 
Du hast den fernen Himmel gemacht, um an ihm aufzugehen. 
Um alles zu schauen, was du gemacht hast, 
Während du allein warst. 
Erstrahlend in deiner Gestalt als lebender Aton, 
Aufdämmernd, strahlend, dich entfernend und wiederkehrend. 

Schönheit durch das Licht. 
Du hast Millionen von Gestalten gemacht aus dir allein. 
In Städten, Dörfern und Ansiedlungen, 
Auf der Landstraße oder am Fluß — 
Alle Augen sehen dich vor sich. 
Wenn du die Tagessonne über der Erde bist. 

Aton und der König. 
Du bist in meinem Herzen, 
Kein and'rer ist, der dich kennt. 
Außer deinem Sohne Echnaton. 
Du hast ihn eingeweiht in deine Pläne 
Und in deine Kraft. 
Die Welt ist in deiner Hand, 
Wie du sie gemacht hast. 
Wenn du aufgegangen bist, so leben sie (die Menschen) 
Gehst du unter, so sterben sie. 
Denn du selbst bist die Lebenszeit 
Und man lebt durch dich. 
Alle Augen schauen auf deine Schönheit, 
Bis du untergehst. 
Alle Arbeit wird bei Seite gelegt. 
Wenn du im Westen untergehst. 
Wenn du dich erhebst, so werden sie gemacht. 
Zu wachsen für den König. 
Seit du die Erde gründetest, hast du sie aufgerichtet 
Hast du sie aufgerichtet für deinen Sohn, 
Der aus dir selbst hervorging. 
Den König, der von der Wahrheit lebt, 
Den Herrn der beiden Länder Nefer-cheperu-Re, Ua-en-Re 
Den Sohn des Re, der von der Wahrheit lebt. 
Den Herrn der Kronen Echnaton, dessen Leben lang ist; 
(Und für) die große königliche Gemahlin, die von ihm geliebte. 
Die Herrin der beiden Länder, Nefer-nefru-Aton. 
Die lebt und blüht für immer und ewig. 

***

Die Sprache dieser Dichtung ist so klar, daß sie keiner Erläuterung bedarf. Nur auf einige besonders charakteristische Partien mag noch hingewiesen werden. 

Die einleitende Strophe weist auf Atons Liebe hin, durch die er alle Länder und alle Wesen gefangen nehme. Wohl zum erstenmale im Geistesleben der Menschheit wird hier die Liebe als welterobernde Macht gepriesen. Hierauf wird zurückzukommen sein, wenn von Echnatons Ethik gehandelt wird. 

Die Schilderung der göttlichen Güte, die allen Wesen ohne Unterschied zu teil wird, erinnert in hohem Maße an die hebräische Psalmenpoesie. Breasted und andere Autoren machen speziell auf die überraschende Ähnlichkeit aufmerksam, welche zwischen gewissen Stellen des Aton-Hymnus und dem 104. Psalm besteht. Namentlich Vers 20 bis 24 und 27 bis 30 zeigen bemerkenswerte Anklänge: 

»Wirkst du Finsternis, so ist es Nacht; in ihr regen sich alle Tiere des Waldes. Die jungen Löwen brüllen nach Fraß, indem sie von Gott ihre Nahrung verlangen. Wenn die Sonne aufgeht, ziehen sie sich zurück und lagern in ihrer Behausung. Der Mensch geht an sein Werk und an seine Arbeit bis zum Abend. Wie sind deiner Werke so viel, Jahwe ! Du hast sie alle in Weisheit geschaffen; die Erde ist voll von deinen Geschöpfen.« 

»Sie alle warten auf dich, daß du ihnen zu seiner Zeit ihre Speise gebest. Du gibst ihnen, sie lesen auf; du tust deine Hand auf, sie sättigen sich mit Gutem. Du verbirgst dein Antlitz, sie werden bestürzt; du ziehst ihren Odem ein und sie werden wieder zu Erde. Du entsendest deinen Odem, sie werden geschaffen; und du erneust das Angesicht der Erde.« 

Es ist anzunehmen, daß der 104. Psalm unter dem direkten Einfluß der Poesie Echnatons entstanden ist10

Flinders Petrie hebt in seiner Besprechung des Aton-Hymnus hervor, daß dieser nicht nur von allem, was an den Polytheismus erinnern könnte, völlig frei sei, sondern auch alles Anthropomorphe in der Auffassung des einzigen Gottes vermissen lasse. Das trifft nun freilich nicht ganz ohne Einschränkung zu, sicherlich aber in einem höheren Maße als für irgend eine andere monotheistische Auffassung. Man muß in Betracht ziehen, daß der Aton-Kultus seinem tiefsten Sinne nach die Verehrung einer Naturkraft, eines unpersönlichen Prinzips bedeutet. 

Wie schon erwähnt, wurde Aton nicht bildlich dargestellt. Ein Symbol vertritt ihn: die Sonnenscheibe, von deren Strahlen jeder in eine Hand ausläuft. Die Hände aber umgeben auf den bildlichen Darstellungen den König, und mit ihm seine Gemahlin oder auch seine Kinder. 

Wenn der König in Aton seinen Vater erblickte, so leitete er damit, streng genommen, seine Herkunft von einer unpersönlichen Kraft ab. Wir werden dadurch an die Zeugung Christi durch den Heiligen Geist erinnert. Nur ist Echnaton nicht von Aton mit einem menschlichen Weibe gezeugt — wenigstens finden sich keine Hinweise auf eine solche Vorstellung — sondern Aton ist ihm Vater und Mutter zugleich. 

Echnatons Religion darf nicht für sich allein betrachtet werden. Sie wird in vollem Umfange erst verständlich, wenn man seine Ethik berücksichtigt, die recht eigentlich im Brennpunkt seiner gesamten Interessen, seines religiösen Empfindens und seiner Lebensführung steht. 

Echnaton verwirft in seiner Ethik — ähnlich wie viele Jahrhunderte nach ihm Christus — jede Äußerung des Hasses, jede Gewalttat. Er möchte, ganz wie es im Hymnus von Aton heißt, durch Liebe herrschen. Er ist ein Gegner des Blutvergießens in jeder Form. Er läßt überall die Abbildungen von Menschenopfern austilgen. Kriegerische Gelüste sind im fremd. So wie er Aton als Herrn des Friedens verehrt, so will er auch in seinem eigenen Reiche nichts vom Kriege wissen. Es ist besonders interessant, Echnaton in dieser Hinsicht mit seinen Vorgängern zu vergleichen. Man denke nur an den kriegerischen und grausamen Amenhotep II. Von ihm heißt es, daß er die syrischen Fürsten, die er auf einem seiner Feldzüge gefangen genommen hatte, an seinem Schiff aufhängen ließ, und so sein Schiff im Triumph den Nil hinaufführte. Und Echnatons Vater, unkriegerischer als seine Vorfahren, hatte seinen aggressiven Gelüsten noch in einem gewissen Maße Raum gegeben, indem er leidenschaftlich der Jagd frönte. Der Sohn unterdrückte nahezu jede Äußerung aggressiver oder grausamer Tendenzen. Seine Ethik beruht in erster Linie auf einer ungewöhnlich weitgehenden Sublimierung der sadistischen Triebkomponente. Für ihn selbst und sein Reich sollten aus der starren Befolgung dieser ethischen Prinzipien die schwersten Folgen hervorgehen. 

Besonders seit dem Tode seiner Mutter suchte Echnaton seine Ideale in die Wirklichkeit umzusetzen, ohne mit den Hindernissen zu rechnen, die ihm entgegentreten mußten. Er wollte sein Reich — d. h. im Sinne der damaligen Zeit: die ganze Welt — mit Frieden beglücken. Dabei übersah er völlig, daß seine Zeit für solche ideale Bestrebungen nicht reif war, übersah ganz und gar die Rolle, welche Haß, Habsucht usw. im Leben der einzelnen Menschen und der Völker spielen. Er stand an der Spitze eines gewaltigen Reiches, das zerfallen mußte, wenn nicht eine starke Hand es zusammenhielt. Er aber versuchte, wie er es dem Aton zuschrieb, die Welt durch seine Liebe in Fesseln zu legen. 

Echnaton verschmähte es nicht nur, durch Gewalt sein Reich zu erweitern oder zu erhalten, sondern er wollte auch in Friedenszeiten von der Herrschergewalt keinen Gebrauch machen. Er bestrebte sich, dem Volke als Mensch näher zu treten. Das bedeutete einen Bruch mit aller höfischen Tradition. Die Pharaonen hatten von altersher eine fast göttliche Verehrung im Lande genossen. Echnaton tritt schlicht und einfach, ohne Herrscherpose auf. In allen bildlichen Darstellungen erscheint er in menschlich-natürlicher Attitüde. Da findet sich nichts von der heroischen Geste der alten Pharaonenbilder. Er zeigt sich — wie das auf verschiedenen Bildwerken zur Darstellung kommt — mit seiner Familie dem Volke. Er gibt dem Volke immer von Neuem kund, daß er nicht der unnahbare und strenge Herrscher sei, wie ihn das Volk gewohnt war, daß er sich nicht am Herrschen und an der königlichen Machtfülle freue, sondern daß er nur ästhetische Freude kenne. Er nennt sich mit Vorliebe den König, »der in der Wahrheit lebt«. 

Gerade dieses Streben nach Wahrheit bedarf einer besonderen Würdigung. Nach Echnatons Auftreten vergingen noch Jahrhunderte, ehe die bedeutendsten Kulturvölker zu einer Verurteilung der Lüge gelangten! Echnaton aber ging über die ethische Hochschätzung der Wahrheit hinaus, indem er sie sogar zum Prinzip in der Kunst erhob. 

Wie Breasted sich ausdrückt, lehrte Echnaton die Künstler seines Hofes, »den Meissel und den Pinsel das erzählen zu lassen, was sie wirklich sahen«. »Der Erfolg« — so heißt es weiter — »war ein einfacher und schöner Realismus, der klarer und richtiger sah, als irgend eine Kunst es früher getan hatte. Man hielt, wie in einem Momentbilde, die Stellungen der Tiere fest: den jagenden Hund, das fliehende Wild, den springenden Wildstier; denn alles dies gehörte zu der Wahrheit, von der Echnaton lebte.« 

Echnatons sexuelle Ethik bedarf noch einer besonderen Erwähnung, obwohl schon einige hierher gehörige Züge zur Sprache gekommen sind. Seine monogamische Fixierung wurde bereits erwähnt. Alle uns zugänglichen Quellen zeigen, mit welch inniger Liebe Echnaton an seiner Gattin hing. Er unterließ es, eine zweite Frau zu heiraten, als der männliche Thronerbe ausblieb. Er benutzte vielmehr jede Gelegenheit, sich dem Volke im Kreise seiner Familie zu zeigen. Nefer-nefru-Aton hatte ihm vier Töchter geboren, die er zärtlich liebte. Das Glück, welches Echnaton in seinem Familienleben fand, brachte er vor allem dadurch zum Ausdruck, daß er in allen öffentlichen Kundgebungen, Inschriften usw. seine Verehrung für die Königin besonders hervorhob. Er belegte sie mit mancherlei Beinamen, wie »Herrin seines Glückes« und ähnlichen. So suchte er im Volke für eine neue Auffassung der Ehe, für eine veränderte Stellung des Mannes zum Weibe Propaganda zu machen. Schon früher wurde darauf hingewiesen, daß unter Echnatons Regierung die Frauen am Hofe einen früher nicht gekannten Einfluß erhielten. 

Die Zartheit der Beziehungen zwischen König und Königin läßt am schönsten ein Relief erkennen, welches sich im Berliner Museum befindet. Es zeigt den König in jugendlicher, fast mädchenhafter Gestalt auf einen Stab gelehnt, und ihm gegenüber die Königin, die ihn an einem Blumenstrauß riechen läßt. Nirgends in der früheren ägyptischen Kunst findet man eine Darstellung, welche dieser bezüglich des Inhaltes oder der Auffassung an die Seite gestellt werden könnte. (Vgl. die Reproduktion in der deutschen Ausgabe von Breasted, Geschichte Ägyptens.) 

Bezeichnend für die innigen Gefühle, die den König mit den Seinigen verbanden, ist auch eine Darstellung im Grabmale einer seiner Töchter, die früh verstarb. Nie zuvor hatte die Trauer einer Familie um ein totes Kind solchen Ausdruck gefunden. 

Und welche Zartheit des Empfindens zeigt der Aton-Hymnus! Es sei nur an die Schilderung vom Ausschlüpfen des Küchleins erinnert. 

In enger Verbindung mit dem Vermeiden alles Rohen steht bei Echnaton die Scheu vor dem Häßlichen, das Bedürfnis nach Schönheit. Der Aton-Hymnus setzt mit einer Schilderung der Schönheit des Gottes ein. Echnaton pflegte nicht nur die bildenden Künste. Er legte prächtige Gärten an und ergötzte sich an der Schönheit der Blumen und Tiere darinnen. Er wandte der Musik sein besonderes Interesse zu. So äußerte sich sein Verlangen nach veredelten Genüssen, sein Drang zur Sublimierung in mannigfachster Form. 

Echnatons Religion, Weltanschauung und Ethik bilden in ihrer Gesamtheit ein Bauwerk, das uns nicht nur durch die Großartigkeit seiner Konzeption staunen macht, sondern auch durch die Konsequenz seiner inneren Ausgestaltung. Wollte der König aber solch umfassende, in das Volksleben tief eingreifende Reformpläne zur Durchführung bringen, so bedurfte er dazu der größten Tatkraft, nicht minder aber des praktischen Blickes, um bei seinem Vorgehen diejenigen Mächte zu würdigen, die ihm hindernd in den Weg treten mußten. Der Jüngling, der ein Weltreich ererbt hatte, plante ja nichts Geringeres, als die Einführung einer Weltreligion mit einem einzigen Weltgott. Während er aber des Gottes Herrschaft aufzurichten begann, verlor er die eigene. 

Es ist klar, daß Echnaton das Reich Atons nur dann befestigen konnte, wenn er sein eigenes Ansehen als König wahrte. Aber je mehr er, seinem Idealismus folgend, den Unterschied zwischen sich und dem Volke verwischte, je mehr er sich die Priester der alten Gottheit zu Feinden machte, je radikaler er seine Reformen zur Durchführung bringen wollte, um so mehr mußte sein Einfluß beim Volke abnehmen. Für seine Religion war außer ihm selbst allenfalls ein kleiner Teil von Auserwählten reif, während sie den Bedürfnissen der Massen in keiner Weise Rechnung trug. Weigall zieht einen Vergleich zwischen der Einführung des Aton-Kultes und derjenigen des Christentums. Er gelangt zu der Auffassung, daß das Christentum nur deswegen eine rasche und umfassende Verbreitung finden konnte, weil es dem Bedürfnis der Massen nach sinnlich greifbaren und anthropomorphen Objekten der Verehrung einen gewissen Spielraum gewährte. Da gab es neben dem einzigen Gotte die den Menschen viel nähere Gestalt Christi, da gab es den Teufel, gab es Engel, Heilige, Geister usw. Der Glaube an ein einziges, göttliches Wesen, das den Menschen unsichtbar blieb, wäre sicherlich beim Volke nicht durchgedrungen. Aus diesem von Weigall richtig erkannten Umstand erklärt sich wohl auch die geringe Werbekraft des mosaischen Monotheismus, der zeitlich dem Aton-Kultus bald folgte. 

So vieles wir aus den Quellen über die inneren Umwälzungen erfahren, welche sich unter Echnatons Regierung vollzogen, so wenig erfahren wir von Ereignissen der äußeren Politik. Es geschah nichts. Und eben weil nichts geschah, begannen räuberische Stämme, die Grenzen des Reiches unsicher zu machen. Gleichzeitig lehnte ein Teil der syrischen Vasallenfürsten sich auf und griff die treu gebliebenen an. Diese wandten sich um Hilfe nach Ägypten. Aber alle ihre Bitten um Beistand blieben unerhört. Im sechzehnten Regierungsjahre Echnatons erfolgte dann der Einfall der Hethiter in Syrien. Der König litt um diese Zeit bereits an der Krankheit, die ihn zwei Jahre später dahinraffen sollte. Jedem gewaltsamen Eingreifen abgeneigt, überließ er die schwer bedrohten asiatischen Provinzen sich selbst. Um diese Zeit setzt nun jene merkwürdige Korrespondenz ein, die uns durch den Tafelfund von El-Amarna beinahe vollständig bekannt geworden ist. Es handelt sich um eine große Anzahl von Keilschrifttafeln, die im Laufe der nun folgenden Zeit aus Asien einliefen. Sie enthalten die immer dringlicheren Klagen der asiatischen Vasallen, die sich der aufrührerischen Gegner und der eindringenden Barbaren nicht mehr zu erwehren vermochten. Aus einem dieser Hilfegesuche, welches Breasted nach Knudtzons »Amarna-Briefen« zitiert, sei ein charakteristischer Passus hier wiedergegeben. Die Ältesten der bedrohten Stadt Tunip bitten um Hilfe gegen den abtrünnigen Fürsten Aziru mit folgenden Worten: »Wenn Aziru in Simyra eindringt, so wird er uns tun, was ihm gefällt auf dem Gebiete unseres Herrn, des Königs, und trotz alledem hält unser Herr sich von uns zurück. Und nun weint deine Stadt Tunip und ihre Tränen fließen, und es gibt keine Hilfe für uns. Seit zwanzig Jahren haben wir an unseren Herrn, den König von Ägypten, Boten gesandt, aber keine Antwort ist uns gekommen, nicht ein einziges Wort«. 

Die Wirren in den Provinzen nahmen immer mehr zu, und nacheinander gingen die wichtigsten Städte und Stützpunkte ägyptischer Macht verloren, so die Städte, resp. Bezirke von Askalon, Tyrus, Sidon, Simyra, Byblos, Aschdod, Jerusalem, Kadesch, Tunip, ferner die Täler des Jordan und Orontes und viele andere Gebietsteile. Echnaton aber blieb durch das alles ungerührt, lebte weiter in seinen Idealen, und ließ sein ganzes außerägyptisches Reich, das seine Vorfahren unter den größten Opfern aufgerichtet hatten, zugrunde gehen. 

Wie ungerührt der Träumer auf dem Throne angesichts aller dieser Nöte seines Reiches blieb, das hat er noch in den letzten Monaten seines Lebens gezeigt. Anstatt der Gefahr zu wehren, die von außen kam, war er auf nichts anderes bedacht, als auf die Beseitigung aller Spuren des früheren Polytheismus. Die letzte wichtige Maßnahme seiner Regierung, von der wir Kunde haben, war, daß er die Namen der alten Götter, soweit dies nicht schon früher geschehen war, überall austilgen ließ. Sogar die Bezeichnung »Götter« wurde ausgemerzt. Eine solche Handlung war in diesem Zeitpunkt am wenigsten angebracht. Denn da das Ansehen des Königs im Sinken war, so durfte man dem Volke oder vielmehr den Priestern, die es beeinflußten, keinen direkten Anlaß zur Empörung geben. Echnaton beging diesen Fehler gleichwohl, und es scheint, daß nur sein Tod, der kurz darnach eintrat, ihn davor bewahrte, das gewaltsame Ende seiner Herrschaft: zu erleben. 

Kaum war Echnaton gestorben, da setzte die Gegenreformation der Amonspriester ein. Sie erlangten ihre Macht auch äußerlich bald wieder. Denn Echnatons Schwiegersohn Smenkhara war nicht der Mann, das Werk seines Vorgängers zu schützen; auch war ihm nur eine kurze Regierungszeit beschieden. Echnaton aber wurde zum Ketzer gestempelt, und man zerstörte sein Werk mit der gleichen Gründlichkeit, mit der er selbst das Überlieferte ausgemerzt hatte. Sein Name verfiel dem gleichen Schicksal, das er selbst dem Namen seines Vaters und demjenigen des Gottes Amon bereitet hatte. Man hämmerte seinen Namen aus und drang selbst in das Grabgewölbe ein, um auch hier das verhaßte Wort, das an Aton erinnerte, zu vertilgen. Nicht zufrieden damit, entfernte man auch die Mumie der Königin Teje, die in der Nähe von Echnatons Resten ruhte, und bestattete sie an der Seite Amenhoteps III. Und wie Echnaton einst den Namen Amenhotep abgelegt hatte, so wurde einer seiner Nachfolger, die einander schnell ablösten, gezwungen, seinen Namen Tut-anch-Aton in Tut-anch-Amon zu verwandeln. 

Echnaton war ein Revolutionär — nicht freilich im gewöhnlichen Sinne des Wortes. Denn seine aggressiven Triebregungen hatte er in erstaunlichem Maße sublimiert und sie in eine zu allen Wesen überströmende Liebe verwandelt, so daß er selbst den Feinden seines Reiches nicht mit Gewalt entgegentrat. Seine stärkste Feindschaft richtete sich gegen den Vater, den sie doch in Wirklichkeit nicht treffen konnte, weil dieser eben nicht mehr zu den Lebenden zählte. Wir werden hier in frappanter Weise an das Verhalten gewisser Neurotiker erinnert, die, zu schwach, um gegen Lebende aktiv vorzugehen, ihren Haß und ihre Rachsucht an Toten auslassen, meistens freilich nur in Phantasien oder in Form neurotischer Symptome. 

Wie schon erwähnt, konnte Echnaton — trotz aller Auflehnung gegen die Macht des Vaters — einer diese Macht vertretenden Autorität nicht entraten. Und so schuf er sich eine neue, auf seine persönlichen Bedürfnisse zugeschnittene Religion mit einem väterlichen Gott als Mittelpunkt. Ihn stattete er mit einer unbeschränkten Macht aus — mit der Allmacht, die jedes Kind ursprünglich seinem Vater zumißt. Er machte ihn zum einzigen Gotte, in durchsichtiger Anlehnung an die Einzigkeit des Vaters. Er wurde damit zum Vorläufer des mosaischen Monotheismus, in welchem der einzige Gott unverkennbar die Züge des Patriarchen, des Alleinherrschers in der Familie, an sich trug. Überdies aber schrieb er dem neuen Gotte die grenzenlose Liebe und Güte zu, die ihn selbst auszeichneten. So schuf er sich einen Gott nach seinem eigenen Bilde, um hernach — wie es die Menschen so oft getan haben — seine Herkunft von ihm abzuleiten. In Aton spiegelt sich also Echnaton selbst mit allen seinen Eigenschaften wieder. Und wenn er den Aton, der doch tatsächlich ein Kind seiner Phantasie, der doch Geist von seinem Geiste war, als seinen Vater bezeichnet, so lesen wir darin nichts anderes als Echnatons Wunsch: von einem Vater zu stammen, der die gleichen persönlichen Eigenschaften hätte wie er selbst. 

Auch in unserer Zeit bilden sich viele Individuen — wie wir es besonders von den Neurotikern wissen — eine private Religion, manche unter ihnen auch einen privaten Kultus. Sie sind, wie die Psychoanalyse oftmals darzutun vermag, Menschen, die sich in der Tiefe ihres Unbewußten gegen den Vater empören, ihr Bedürfnis nach Abhängigkeit aber auf ein göttliches — d. h. auch dem Vater übergeordnetes — Wesen übertragen. Nicht selten fühlen sie sich berufen, die in ihrem Vaterkomplex wurzelnden Ideen zu propagieren; dann werden sie zu Religionsstiftern oder Sektenführern. 

In anderen Fällen sucht der Sohn an die Stelle des wirklichen Vaters einen von seiner Phantasie geschaffenen Ideal-Vater zu setzen. Dieser trägt dann, wie nicht anders zu erwarten, alle diejenigen Eigenschaften und Charakterzüge an sich, durch welche der Sohn seinen Vater zu überragen meint. Als Kern dieser Phantasieprodukte ergibt sich der Wunsch, sich selbst erzeugt zu haben, der eigene Vater zu sein. Von Aton aber, der für uns nur ein mit väterlicher Allmacht versehenes, zum Gotte erhobenes Abbild Echnatons ist, heißt es in dem mitgeteilten Hymnus, daß er sich selbst erzeugt habe! 

Erklärt es sich somit aus seiner Einstellung zum Vater, daß Echnaton zum Stifter eines monotheistischen Kultus wurde und daß er eine Religion der Liebe begründete, so bleibt noch zu beantworten, warum er gerade den Aton, und nicht einen anderen Gott in den Mittelpunkt des neuen Kultus stellte. Zwar wurden schon oben verschiedene Gründe angeführt, wie das Eindringen des asiatischen Adonis-Dienstes, die Bevorzugung Atons durch die Königin-Mutter und ihr Einfluß auf den minderjährigen Sohn. Allein mit diesen äußeren Gründen erklärt man weder die Inbrunst, wie sie z. B. aus dem großen Hymnus hervortritt, noch die Tatsache, daß Echnaton sein ganzes Denken, seine beste Kraft, ja sein Leben in den Dienst Atons stellte. Teils von psychoanalytischen Erfahrungen, teils von Tatsachen der Völkerpsychologie ausgehend werde ich versuchen, dem Verhalten des Königs eine innere Begründung zu geben. 

Durch neueste Forschungen11 sind wir auf die besondere Bedeutung der Sonne als Vatersymbol hingewiesen worden. Belege für diese Bedeutung finden sich nicht nur in der Psychologie der Neurosen und Geistesstörungen, sondern ebenso in den Vorstellungen der verschiedensten Völker. Als Symbol eines einzigen Gottes aber eignet sich die Sonne vor allem deshalb, weil sie, im Gegensatz zu den anderen Gestirnen, einsam am Himmel ihre Bahn zieht. 

Echnaton verehrt nun, wie oben ausgeführt wurde, nicht eigentlich das Gestirn selbst, sondern die Glut der Sonne. Der Sonnenwärme kommt im Vorstellungsleben der Völker die Bedeutung einer zeugenden, lebenspendenden Kraft zu. So auch in Echnatons Auffassung. Aber hier tritt — zum Zeichen seiner ungewöhnlich starken Tendenz zur Sublimierung — eine zweite Bedeutung der Sonnenwärme hinzu: sie wird zum Symbol der allumfassenden Liebe Atons. Die ersten Verse des Hymnus lassen es deutlich erkennen. Die Strahlen der Sonne, welche alle Länder umarmen, werden mit Atons Liebe identifiziert, durch die er alle Länder gefangen nimmt. Diese Symbolik ist uns aus den Träumen gesunder und neurotischer Personen wohl bekannt. Ferner treten im Krankheitsbild der Neurosen abnorme Hitze- und Kältegefühle sehr häufig hervor. Sie stehen mit der Erotik der Kranken in einem meist durchsichtigen Zusammenhang, auf den an dieser Stelle nur im Vorübergehen hingewiesen werden kann. 

Es wird gestattet sein, noch einen weiteren Schritt zu tun, der freilich auf das Gebiet der reinen Hypothese hinüberführt. Es wurde schon eingangs auf die Beziehungen zwischen Aton und dem syrischen Gotte Adonis hingewiesen. Adonis wurde in der Gestalt eines schönen Jünglings verehrt, der eines frühen Todes stirbt12. Bedenkt man nun, daß der junge König in dem von ihm verehrten Gotte nur ein Ebenbild seiner selbst geschaffen hatte, so mag die Vermutung ausgesprochen werden, er habe sich in seiner Vorstellung zunächst mit Adonis identifiziert. Schwach und kränklich von Kindheit an, das Schicksal eines frühen Todes vor Augen tragend, durfte er sich wohl mit Adonis vergleichen. Und was er erstrebte, war ja nicht mannhafte Tat, sondern ein Leben in Schönheit. 

Mit seinem Gotte Aton stimmt Echnaton in einem besonderen Zuge seines Wesens überein : auch er ist ein Einsamer. Wohl hatte er um sich einen kleinen Anhang von Verehrern gesammelt. aber in lebendigem Kontakt mit seinem Volke stand er nicht, trotz aller Versuche der Annäherung. Eine übermäßige Sexualverdrängung stört die Gefühlsbeziehungen jedes Menschen zu den andern und beraubt ihn der Fühlung mit der Wirklichkeit. Es kommt zu der bei den Neurotikern, und oft gerade bei den Begabtesten, so häufigen autoerotischen Einengung: die eigenen Wunschphantasien werden zum ausschließlichen Gegenstand des Interesses. Der Neurotiker lebt dann nicht mehr in der Welt der wirklichen Geschehnisse, sondern in einer anderen, von seiner Phantasie geschaffenen. Er wird teilnahmslos gegenüber den realen Begebenheiten, als existierten sie für ihn überhaupt nicht. Echnatons Verhalten ist dem geschilderten völlig entsprechend. Ganz in der Welt seiner Träume und Ideale lebend, in der es nur Liebe und Schönheit gibt, hat er kein Auge für alles das, was an Haß und Feindschaft, an Unrecht und Unglück in Wirklichkeit unter den Menschen herrscht. Auch in der Natur — der Hymnus läßt es deutlich erkennen — ignoriert er die Herrschaft des Stärkeren und die Not des Schwachen; er sieht alle Kreaturen nur voll fröhlichen Dankes hüpfen und springen, hört sie jubeln zur Ehre ihres Schöpfers. 

So verschloß er denn auch sein Ohr den Hilferufen seiner asiatischen Untertanen, so war er blind für die Greuel, die sich in seinen Provinzen abspielten. Sein Auge sah nur Schönheit und Harmonie, während sein Königreich in Trümmer ging. »In Achet-Aton, der neuen und glänzenden Hauptstadt, hallte der prächtige Tempel des Aton wider von den Lobgesängen, die dem neuen Gotte des Reiches gesungen wurden, — aber dieses Reich selbst existierte nicht mehr.« (Breasted) 

Die griechische Mythologie erzählt uns von dem Jüngling Phaeton, dem Sohne des Helios, der sich vermaß, an seines Vaters Stelle den Sonnenwagen über den Himmel zu führen. Er verlor die Gewalt über seine Rosse, und aus dem Wagen stürzend, büßte er sein Leben ein. Das Schicksal dieses Sohnes der Sonne berührt uns wie ein Gleichnis zur Geschichte Echnatons. Mit kühnem Gedankenfluge trat auch dieser seine Fahrt an. Zu Sonnenhöhen strebend ließ er die Zügel fallen, die seine Väter mit starker Hand gehalten hatten, und es erfüllte sich an ihm das Schicksal so mancher Idealisten: während sie in einer Welt der Träume leben, gehen sie an der Wirklichkeit zugrunde. 

 

1) Breasted, Ancient Records of Egypt., Vol. 2, Chicago 1906. — Breasted, History of Egypt, Chicago 1905. Deutsche Ausgabe: Geschichte Ägyptens. Deutsch von Dr. H. Ranke. Berlin 1911. — Weigall, The Life and Times of Akhnaton Pharao of Egypt. Edinborough und London 1910. — Niebuhr, Die Amarna-Zeit. In: Der alte Orient. Jahrgang 1, Heft 2. Leipzig 1899. — Sethe, Urkunden der 18. Dynastie. Bd 4 der Urkunden des ägyptischen Altertums, Leipzig 1906. — Flinders Petrie, A History of Egypt., Vol. 2, London 1896. 

2) Die Griechen identifizierten ihn daher mit ihrem Zeus. 

3) Die Abbildung ist der im Verlag Curtius erschienenen reich illustrierten deutschen Ausgabe von Breasteds Geschichte Ägyptens entnommen. 

4) »Die Stellung der Verwandtenehe in der Psychologie der Neurosen.« Jahrbuch für psychoanalytische Forschungen, Bd. I, 1909. — Ich habe dort besonders die häufigen Cousinen-Ehen berücksichtigt. Ich verweise daher auf die zweite Ehe Amenhoteps III. mit einer Cousine aus der mütterlichen Familie. 

5) Noch eine scheinbar geringfügige Tatsache mag hier Erwähnung finden. Unter den Liebesobjekten der Kindheit, an die der neurotisch Veranlagte sich mit Zähigkeit zu fixieren pflegt, genießt sehr häufig die Amme einen besonderen Vorzug. Es ist sehr gewöhnlich, daß die Amme nach der Entwöhnung des Kindes in dessen Nähe bleibt. Die lustvollen Erinnerungen des Kindes an das Saugen an der Ammenbrust werden dadurch vor der Vergessenheit bewahrt, daß die Amme das Kind auch weiter mit besonderer Liebe hegt. In den Psychoanalysen neurotischer Personen habe ich oft genug die Nachwirkungen dieser Ammenliebe nachweisen können. Welche Bedeutung der Amme in den Träumen Erwachsener zukommt, hat neuerdings Stekel (Die Sprache des Traumes, Bergmann, Wiesbaden 1911) ausführlich dargetan. Wir erfahren nun, daß am Hofe Amenhoteps IV. seine Amme und ihr Mann eine erhebliche Rolle spielten. Ein Reliefbild z. B. stellt den König und die Königin dar, wie sie von einem Balkon aus dem Priester Eje, eben dem Manne der Amme, und dieser selbst, Geschenke zuwerfen. Vielleicht ist es auch nicht ohne Belang, daß sie den gleichen Namen — Teje — wie des Königs Mutter führte. 

6) Die neuere Kunstgeschichte bietet in den Praerafaeliten ein ganz analoges Beispiel für das Zurückgreifen auf primitive Vorbilder. 

7) Vgl. hierzu meine Schrift »Traum und Mythus« (p. 40). sowie Rank, »Der Mythus von der Geburt des Helden«. Beide in »Schriften zur angewandten Seelenkunde« (Heft 4, resp. 5.) 

8) Die Töchter des Königs erhielten schon bei ihrer Geburt Namen, wie »Merit-Aton« (die von Aton geliebte) oder»Beket-Aton« (Dienerin Atons). 

9) Ober- und Unterägypten. 

10) Weigall vermutet, daß auch der 19. Psalm sein eigentümliches Gepräge diesem Einfluß verdankt. In V. 6 bis 7 heißt es dort von der Sonne (deren Geschlecht in der hebräischen Sprache männlich ist) : 

»Und er gehet hinaus wie ein Bräutigam aus seiner Kammer, und freuet sich wie ein Held, zu laufen seine Bahn. Er gehet auf an einem Ende des Himmels und läuft bis an sein and'res Ende, und nichts bleibt vor seiner Glut verborgen.« 

Sicherlich dürfte es sich hier um Reste eines Hymnus auf den Sonnengott handeln; ob sie ägyptischen Ursprungs sind, mag dahingestellt bleiben. 

11) Ich nenne hier besonders : Freud, Psychoanalytische Bemerkungen über einen autobiographisch beschriebenen Fall von Paranoia, sowie den Nachtrag zu dieser Arbeit. (»Jahrbuch für psychoanalytische Forschungen«, Bd. III.)

12) Vgl. hierzu die ähnliche Gestalt des Baldur in der germanischen Göttersage.