Milton stellte den Kapiteln seines Epos jeweils eine Zusammenfassung voran, was den Leser in den folgenden Versen erwartet. In der Übersetzung von Bernhard Schuhmann wurden diese Einleitungen in die Gesänge übernommen. Hier die zum ersten Gesang:
Dieser erste Gesang legt zunächst kurz den ganzen Gegenstand dar: den Ungehorsam des Menschen und den deswegen erfolgten Verlust des Paradieses, in welches er versetzt worden war. Dann berührt er die Grundursache seines Falls, die Schlange, oder richtiger Satan in der Schlange, welcher, weil er von Gott abfiel und viele Legionen Engel zu sich herüberzog, auf das Geheiß Gottes mit seiner Schar aus dem Himmel vertrieben und in die große Tiefe geschleudert wurde. Darauf eilt das Gedicht in die Mitte der Begebenheiten und führt Satan mit seinen Engeln nach ihrem Sturze in der Hölle vor, von welcher letzteren eine Beschreibung gegeben wird. Diese Hölle ist nicht im Mittelpunkte zu suchen (denn Himmel und Hölle werden als noch nicht erschaffen, jedenfalls als noch nicht verflucht angenommen), sondern an einem Orte von äußerster Dunkelheit, am passendsten Chaos genannt. Hier liegt Satan mit seinen Engeln auf dem brennenden Pfuhl, vom Donner getroffen und betäubt. Nach einiger Zeit kommt er aber, wie aus völliger Bewusstlosigkeit wieder zu sich und ruft den nach Rang und Würde nächsten, der an seiner Seite liegt, auf, und beide bereden sich über ihren kläglichen Fall. Satan ermuntert alle seine Scharen, die bis dahin gleich besinnungslos dalagen. Sie erheben sich; ihre Zahl und Aufstellung, ihre Hauptanführer, welche den später in Kanaan und den angrenzenden Ländern bekannten Abgöttern entsprechende Namen führen. An sie wendet sich Satan in einer Rede, ermutigt sie durch die Hoffnung, den Himmel doch noch wiederzuerobern. … Pandämonium, der Palast Satans, ersteht plötzlich aus der Tiefe. In ihm sitzen die höllischen Fürsten zur Beratung versammelt.
Gönnen wir uns bei diesem Kapitel, bei dem nicht besonders viel passiert, sondern viele große Töne gespuckt werden, einfach mal einen Vergleich des Klangs der Übersetzungen, die ich mir angesehen habe. Zunächst der Einstieg in das Epos im Original.
Of Mans First Disobedience, and the Fruit
Of that Forbidden Tree, whose mortal tast
Brought Death into the World, and all our woe,
With loss of Eden, till one greater Man
Restore us, and regain the blissful Seat,
Bei Adolf Böttger klingt der Einstieg so:
Des Menschen erste Schuld und jene Frucht
Des strengverbotnen Baums, die durch Genuß
Tod in die Welt gebracht und jeglich Weh,
Die Eden raubte, bis ein größrer Mensch
Des Heiles Sitz uns wiederum errang:
Zum Vergleich Dr. Kottenkamp 1841, die Version finde ich persönlich einen Tick schöner:
Vom ersten Ungehorsam, von der Frucht
Des untersagten Baumes, von dem Genuß,
Der uns den Tod und jeglich Weh beschied
Und Eden raubte, bis ein höhrer Mensch
Den Sitz des Segens wiedrum uns gewinnt,
Und hier Bernhard Schuhmann 1855, weniger elegant:
Des Menschen erste Sünde, den Genuß
Von des verbotnen Baumes Frucht, die Tod
Und alles Weh erzeugt hat und die Menschheit
Aus Eden bannte, bis ein Größrer einst
Sie wieder einführt in den Sitz des Heils -
Hier dasselbe deutlich altertümlicher und ungelenker von Friedrich Wilhelm Zachariä 1762:
Von dem ersten Vergehn des ungehorsamen Menschen,
Und dem verderblichen Essen der Frucht des verbotenen Baumes,
Welches den Tod auf die Erde gebracht, und alles ihr Elend,
Mit dem Verlust von Eden; bis jener größere Mensch uns
Die verlohrnen Rechte von neuem erwarb, und von neuen
Uns den seligen Sitz der Unschuld wieder gewonnen:
Der erste Gesang beginnt nach der entscheidenden Schlacht und dem Höllensturz von Luzifer und seinen Anhängern. Sie liegen zerschmettert am Fuße des Abgrundes, dann rappeln sie sich auf, um zu beschließen, wie sie nach dieser Niederlage weitermachen wollen. Dabei hält Luzifer - der nach seinem Rauswurf aus dem Himmel nun auch namentlich degradiert wurde, nämlich zu Satan - seinen berühmten Monolog über das Herrschen in der Hölle (hier in der Übersetzung Böttgers):
Dann sprach der Mund des tiefgefallnen Engels:
»Ist dies die Gegend, dies das Land und Klima,
Der Sitz, den mit dem Himmel wir vertauschen,
Das trübe Dunkel für das Himmelslicht?
So sei's, weil er, der jetzt Gebieter ist,
Verfügen kann, was er als Recht gebeut:
Am besten ist's, recht fern von ihm zu sein,
Den, an Vernunft uns gleich, nur die Gewalt
Erhoben über Gleiche! Fahre wohl
Glückselig Feld, der ew'gen Freude Sitz!
Heil Schreckniß Dir! Heil Dir o Unterwelt!
Und Du o tiefste Hölle huldige jetzt
Dem neuen Herrn, der einen Geist besitzt,
Der unverändert bleibt durch Raum und Zeit.
Es ist der Geist sein eigner Raum, er kann
In sich selbst einen Himmel aus der Hölle,
Und aus dem Himmel eine Hölle schaffen.
Was gilt das Wo, bin ich nur immer ich,
Und was ich sein soll, doch nur größer nicht,
Als er, der durch den Donner mächt'ger ward!
Hier sind wir frei; hier baute nicht der Herr,
Um Neid zu wecken, wird uns nicht von hier
Vertreiben; sicher können hier wir herrschen,
Und wie mich dünkt, ist Herrschen würd'ger Lohn
Und wär's auch in der Hölle; besser ist
Der Hölle Herr sein, als des Himmels Sclave.
Damit widerspricht Satan übrigens sowohl Achilles in der Odyssee (Elfter Gesang, 488-491):
Preise mir jetzt nicht tröstend den Tod, ruhmvoller Odysseus.
Lieber möcht' ich fürwahr dem unbegüterten Meier,
Der nur kümmerlich lebt, als Tagelöhner das Feld baun,
Als die ganze Schar vermoderter Toten beherrschen.
als auch der Bibel, denn dort heißt es in Psalm 84,11:
Denn ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser als sonst tausend. Ich will lieber die Tür hüten in meines Gottes Hause als wohnen in den Zelten der Frevler.
Nachdem sie sich alle aufgerappelt und genügend Mut zugesprochen haben, entsteht der Palast Pandämonium aus der Tiefe und sie alle treffen sich dort, um das weitere Vorgehen zu beraten.
Dann aus der Erde stieg ein Riesenbau
Gleich einem schnellen Dunst empor, beim Klang
Der zartsten Melodien und reinsten Stimmen,
In Tempelform, mit Pfeilern ringsumbaut,
Und dorischen Säulen, deren Architrav
Von Golde war; auch fehlte weder Fries,
Kranzleisten, noch erhabene Sculptur,
Das Dach war ächtes Gold. Nicht Babylon
Noch Alcairo reicht' an diese Pracht,
Wenn sie im größten Flor für ihre Götter
Belus, Serapis Tempel bauten oder
Paläste für die Fürsten, als an Reichthum
Und Pomp Egypten mit Assyrien stritt.
Die Säulen standen stattlich und vollendet,
Die ehernen Flügel öffnet schon das Thor,
Enthüllt den weithin ausgedehnten Raum
Auf glattem Estrich; vom gewölbten Dach
Hängt durch Magie so manche Reihe Leuchter
Und Sternenlampen, von Asphalt und Naphta
Genährt und voller Glanz wie Himmelslicht.