Zitate
Mystische Einsichten und tiefgründige Wahrheiten
Jedes Dogma, das Religionen bisher hervorgebracht haben, ist wahrscheinlich falsch. Dennoch könnte der religiöse oder mystische Geist der einzige Weg sein, um bestimmte tiefgründige Wahrheiten zu erfassen, die von großer Bedeutung sind. Es ist möglich, dass die Inhalte solcher mystischen Einsichten nicht in Worte gefasst werden können, ohne dabei verzerrt oder verfälscht zu werden. Stattdessen müssen sie vielleicht eher empfunden und gelebt werden, anstatt ausgesprochen oder intellektuell analysiert. Trotzdem besitzen sie eine gewisse Wahrheit und sind essenziell für das Leben.
im Original:
Every dogma religion has hitherto produced is probably false, but for all that the religious or mystical spirit may be the only way of apprehending some things, and these of enormous importance. It may also be that the contents of this mystical apprehension cannot be put into language without being falsified and misstated, that they have rather to be felt and lived than uttered and intellectually analyzed; yet they are somehow true and necessary to life.
Harrison, Jane Ellen (1915): The Influence of Darwinism on the Study of Religion, in: Alpha and Omega, London, Sidgwick & Jackson, S. 176.
Wittgenstein über The Golden Bough
Schon die Idee, den Gebrauch – etwa die Tötung des Priesterkönigs – erklären zu wollen, scheint mir verfehlt. Alles was Frazer tut ist, sie Menschen, die so ähnlich denken wie er, plausibel zu machen.
(...)
Und die Erklärung ist es hier gar nicht, die befriedigt. Wenn Frazer anfängt und uns die Geschichte von dem Waldkönig von Nemi erzählt, so tut er dies in einem Ton, der zeigt, dass er fühlt und uns fühlen lassen will, dass hier etwas Merkwürdiges und Furchtbares geschieht. Die Frage aber »warum geschieht dies?« wird eigentlich dadurch beantwortet: Weil es furchtbar ist. Das heißt, dasselbe, was uns bei diesem Vorgang furchtbar, großartig, schaurig, tragisch, etc., nichts weniger als trivial und bedeutungslos vorkommt, das hat diesen Vorgang ins Leben gerufen.
(...)
Man möchte sagen: Dieser und dieser Vorgang hat stattgefunden; lach', wenn Du kannst.
Ludwig Wittgenstein
Bemerkungen über Frazers The Golden Bough
Allegorien und Absurditäten
... Eine Religion hingegen, für die Unzähligen bestimmt, welche, der Prüfung und des Denkens unfähig, die tiefsten und schwierigsten Wahrheiten sensu proprio nimmermehr fassen würden, hat auch nur die Verpflichtung, sensu allegorico wahr zu sein. Nackt kann die Wahrheit vor dem Volke nicht erscheinen.
Ein Symptom dieser allegorischen Natur der Religionen sind die vielleicht in jeder anzutreffenden Mysterien, nämlich gewisse Dogmen, die sich nicht ein Mal deutlich denken lassen, geschweige wörtlich wahr sein können. Ja, vielleicht ließe sich behaupten, dass einige völlige Widersinnigkeiten, einige wirkliche Absurditäten, ein wesentliches Ingredienz einer vollkommenen Religion seien: denn diese sind eben der Stempel ihrer allegorischen Natur und die allein passende Art, dem gemeinen Sinn und rohen Verstand fühlbar zu machen, was ihm unbegreiflich wäre, nämlich dass die Religion im Grunde von einer ganz andern, von einer Ordnung der Dinge an sich handelt, vor welcher die Gesetze dieser Erscheinungswelt, denen gemäß sie sprechen muss, verschwinden, und dass daher nicht bloß die widersinnigen Dogmen, sondern auch die begreiflichen, eigentlich nur Allegorien und Akkomodationen zur menschlichen Fassungskraft sind. In diesem Geiste scheint mir Augustinus und selbst Luther die Mysterien des Christentums festgehalten zu haben, im Gegensatz des Pelagianismus, der alles zur platten Verständlichkeit herabziehen möchte.
Von diesem Gesichtspunkte aus wird auch begreiflich, wie Tertullian, ohne zu spotten, sagen konnte:
Prorsus credibile est, quia ineptum est: - - certum est, quia impossibile ...
(Es ist völlig glaubwürdig, weil es absurd ist: - - es ist sicher, weil es unmöglich ist)
Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung Bd. 2, Kapitel 17, Über das metayphysische Bedürfnis des Menschen