Amazonenkriegerin
Eine Amazone, geschaffen von der KI

Auch diese Geschichte hat bereits ein paar Jährchen auf dem Buckel. Sie erschien 2001 als GroschenStory Nr. 10 unter dem wenig überzeugenden Pseudonym Morris Düsterhoff. GroschenStory war ein Internetprojekt, das ich seinerzeit zusammen mit meinem Bruder betrieb: Groschenromane aus den Genres Horror, Science Fiction und Fantasy als pdf-Broschüren zum Selber-Ausdrucken, alle mit einem extra passend zur Geschichte gezeichneten Cover. Hat sich nicht durchgesetzt, sonst hätten Sie davon gehört ...

War eine interessante Erfahrung, mal auf der anderen Seite zu stehen, über die Annahme von Texten zu entscheiden und diese dann zu lektorieren. Allerdings, ein paar von den Heftchen schrieb ich damals selbst, so wie diese Fantasy-Novelle hier: Die Idee kam mir durch ein Bild, auf das ich irgendwo in den eher schmuddeligen Ecken des Internets gestoßen war. Was darauf zu sehen war, muss ein Geheimnis bleiben, sonst würde ich zu viel von der Geschichte spoilern. Ich hatte vor dem Schreiben der Novelle so einiges über Amazonen recherchiert, unter anderem über jene Episode des Trojanischen Krieges, in der Achilles einen doch eher ungünstigen Augenblick wählte, sich unsterblich zu verlieben. Passend dazu las ich die Penthesilea von Kleist (»Heute zum ersten Mal mit Vergunst: die Penthesilea, / Hundekomödie; Acteurs: Helden und Köter und Fraun.«). Das merkt man dem Text an, finde ich. 2012 hatte ich mal eine Kindle-Version bei Amazon eingestellt. Dafür wurde der Text gründlich überarbeitet, und auch jetzt konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, eine gewisse Theatralik nochmals zurechtzustutzen (mit vom Mord lüsternen Busen, also wirklich ...). Trotzdem, so ganz bekomme ich den Kleist nicht aus der Geschichte raus. Dann soll das wohl so sein. Irgendwas hat sich mein jüngeres Ich ja dabei gedacht. Viel Spaß beim Lesen.

 

Michael Böhnhardt
Eine Legende von Amazonen

Bis jen‘ ihr schüchtern naht, und sie erinnert,
Dass sie mir noch die Antwort schuldig sei.
Drauf mit der Wangen Rot, war‘s Wut, war‘s Scham,
Die Rüstung wieder bis zum Gurt sich färbend,
Verwirrt und stolz und wild zugleich: sie sei
Penthesilea, kehrt sie sich zu mir,
Der Amazonen Königin, und werde
Aus Köchern mir die Antwort übersenden.

Kleist, Penthesilea

 

Arlandera stieß mit dem Knie gegen den Schemel, der dumpf über den festgestampften Boden schrammte. Sie erstarrte und lauschte dem aufgeregten Pochen ihres Herzens, das allein die stille Dunkelheit erfüllte. Dann vernahm sie hinter den geflochtenen Matten, die die Hütte in mehrere Schlafkammern teilten, wieder das schwergewichtige Schnarchen ihres Vaters und auch die weniger aufdringlichen Atemgeräusche ihrer Mutter und ihres kleinen Bruders.

Erleichtert setzte sie weiter, nun jedoch vorsichtiger, einen Fuß vor dem anderen, bis sie zur Tür gelangt war. Sie öffnete diese, durch Gewohnheit darin geübt, vollkommen lautlos einen Spalt und schlüpfte hinaus in die kalte Nacht.

Ein funkelnder Diamantenhimmel lag hingegossen über den windschiefen Hütten des kleinen Fischerdorfes Mantena und den flachen Hügeln, die sanft bis hinunter zum Meer und zu den Ankerplätzen abfielen. Arlandera schlug genau die entgegengesetzte Richtung ein und hastete hinüber in den Wald.

Mit schlafwandlerischer Sicherheit fand sie ihren Weg durch das Unterholz. Sie bemühte sich, nicht auf die Geräusche des Waldes zu achten und vor allem nicht an all die grausigen Geschichten zu denken, die man ihr an den abendlichen Lagerfeuern erzählt hatte, solange sie sich zurückerinnern konnte.

Schließlich gelangte sie auf eine Lichtung, mit weichem Grase, mondbeschienen. Am Rande wartete Khateros, nur mit einer derben Hose bekleidet. Sein muskulöser Oberkörper glänzte im matten Licht und langes glattes Haar umwehte sein Haupt. Seine Augen blitzten, als er sie bemerkte.

»Hallo, Arlandera«, begrüßte er sie. »Ich dachte schon, du hättest es dir anders überlegt.«

»Also bitte«, erwiderte sie. »Aber du wirkst irgendwie nicht besonders glücklich.«

»Ich habe zwar nicht unbedingt Angst vor deinem Vater ... Aber was wir tun, ist falsch.«

Arlandera lächelte. Selbstverständlich fürchtete er sich vor ihrem Vater. Altazaros sah nicht nur so aus, als könne er jeden, der sich seiner Tochter näherte, ungespitzt in den Boden hämmern. Sie schüttelte mit einer ungeduldigen Bewegung den Umhang ab. In ihrem dünnen Kleide stand sie da, vom Mondlicht umschmeichelt. Sie wusste genau, wie dies Bild auf Khateros wirkte, ihr geschmeidiger, straffer Körper, die kleinen, festen Brüste, die sich darunter abzeichneten. Sie legte den Kopf schief, mit einem schelmischen Grinsen, und entgegnete:

»Rede nicht so viel, komm lieber herüber. Wir sollten die knapp bemessene Zeit besser nutzen.«

 

***

 

Direkt vor ihren Augen schwebte Khateros’ Gesicht. Auf seiner Stirn glänzte der Schweiß, die Anstrengung verzerrte seine Züge. Heiß und schwer blies sein Atem, alle Kraft lag in seinem Stoß, und mit ebensolcher Leidenschaft hielt Arlandera dagegen.

»Ich weiß zwar nicht warum, aber ich muss die ganze Zeit an deinen Vater denken«, stieß Khateros hervor und gewann wider Erwarten einige Zoll an Boden.

»Wieso denn das?« Arlandera fühlte sich am Ende ihrer Kraft. Sie spürte wohlige Erschöpfung in ihren Gliedern und erwartete, dass sie jeden Moment hilflos zu zittern begänne. Die Frage war nur, welcher Muskel zuerst aufgab.

»Er würde nicht glauben, dass wir hier heimlich den Schwertkampf proben«, keuchte er, »sondern etwas anderes vermuten. Und er würde mich entweder umbringen, oder aber zu dem zwingen, was deine und meine Ehre gebietet.«

»Etwas anderes vermuten?«, stichelte Arlandera. »Was denn?«

Khateros schwieg, doch umso redseliger war sein Blick, der sich zu den angespannten Gliedern ihres Leibes verirrte.

»Ich kann deine Gedanken lesen«, presste sie hervor, während sie weiterhin ihr Schwert gegen seine Waffe stemmte. Die Schneide seines Schwertes glitzerte inzwischen ihrem Gesicht bedrohlich nahe. 

»Sei froh, dass mich diese Gedanken ablenken«, sagte Khateros. »In einem echten Kampf wärst du längst tot.«

»Schwätzer.«

Er ließ sich in sein Knie fallen und es schrammte schmerzhaft seitlich an ihren Rippen vorbei, bevor es auf den Boden krachte. Arlandera keuchte auf. Er ließ zu, dass sie zur Seite wegrollte. Rasch kam sie auf die Beine und hob ihr Schwert.

»Das ist kein Spiel«, sagte sie.

»Schön, dass du das verstanden hast.«

 

***

 

Erst lange Zeit später, als sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnten, hielten sie endlich inne.

»Dein schlechtes Gewissen in allen Ehren«, sagte Arlandera. »Mir bereiten unsere Übungsstunden großen Spaß. Lass meinen Vater ruhig falsche Schlüsse ziehen.«

»Selbst wenn er die Wahrheit wüsste, würde er mich in der Luft zerreißen. Und das ganze Dorf würde ihm dabei helfen. Eine junge Frau im Schwertkampf zu unterweisen ... Was habe ich mir bloß dabei gedacht?«

»Du tust es, weil ich dich darum gebeten habe. Und weil du dir von alten, verknöcherten Regeln nichts vorschreiben lässt. Das ist das, was ich an dir so mag. Und natürlich die Tatsache, dass du der beste Schwertkämpfer bist, der mir je begegnet ist oder von dem ich auch nur gehört habe.«

»Eine Frau sollte nicht kämpfen«, erklärte Khateros. Er senkte sein Schwert und starrte Arlandera trotzig an.

Sie seufzte innerlich. Es gab Augenblicke, da zeigte sich, dass Khateros eben bloß ein Mann war. In solchen Momenten klammerte er sich gern an den Halt der Tradition. Also wiederholte sie, womit sie ihn zu diesen nächtlichen Übungsstunden überredet hatte: »Du weißt genau, es wird der Tag kommen, an dem ich mich verteidigen können muss. Vor den Toren Troias lagern die Truppen der Mykener, unzählige Schiffe ankern vor den Ufern. Noch ist dieser Krieg uns fern, doch eines Tages werden auch bei uns feindliche Segel auftauchen. Jeder Krieger soll es bitter bereuen, falls er auf die Idee kommt, Hand an mich zu legen.«

Khateros schwieg. Er schritt hinüber zu seinen Sachen. Unschlüssig hielt er inne und winkte endlich Arlandera heran.

»Ich hatte es fast vergessen, aber ich wollte dir noch etwas zeigen.«

Gespannt trat Arlandera näher.

Khateros hob ein Bündel auf und begann die Schnur, die es zusammenhielt, zu lösen. »Das Wertvollste, das ich auf meinen Reisen erobern konnte.«

Fasziniert starrte Arlandera die glänzende Waffe an, die ihr Khateros sorgsam, als einen kostbaren Schatz, in dem Fell präsentierte, in das sie eingewickelt gewesen war. Zaghaft streckte sie die Hand aus, erfasste das Schwert und schwang es probeweise durch die Luft. Neugierig betrachtete sie das seltsame Metall.

»Woraus ist es gefertigt?«

»Es handelt sich um ein geheimes Material. Das Schwert stammt von den Hethitern, aus dem Reiche Chatti. Sie nennen es Eisen. Niemand weiß, wie sie es erschaffen, doch die Legende erzählt, dass sie das Geheimnis in einem Gebirge zwischen zwei Meeren entdeckt haben, in einem Land voller kriegslüsterner Weiber.«

»Du meinst die Amazonen?«

Khateros lächelte. »Das wäre ein Land nach deinem Geschmack, nicht wahr? Wenn ich dich so ansehe, ich glaube gar, du könntest ihnen eine Königin sein.«

Arlandera spürte seinen bewundernden Blick, und der glühende Hauch einer Vorahnung ihres Schicksals wehte durch ihre Brust.

»Allerdings müsstest du dort auf meine Gesellschaft verzichten«, fuhr er schließlich fort. »Die Amazonen leben ganz ohne Männer. Sie sind die Töchter des Krieges. Man erzählt sich, sie waren die Ersten, die auf Pferden ritten, und sie fertigen ihre Waffen aus einem magischen Metall, an dem unsere Schwerter zerspellen. Dieser Teil auf jeden Fall ist wahr. Irgendwie ist es den Hethitern gelungen, ihnen ihre Geheimnisse zu entlocken. Vielleicht gab es auch einige Amazonen, die die Nase voll davon hatten, wider die Natur zu leben, und sie zogen gen Süden und teilten ihr Geheimnis mit den Stämmen, mit denen sie sich vermischten.«

Arlandera hätte ihm gern ausgiebig auf sein »wider die Natur« geantwortet, doch sie wollte mehr über seine Wunderwaffe erfahren, und so biss sie sich auf die Lippen.

»Die Kunde von dem geheimnisvollen Metall ist bis hinunter zu dem Nilreich gedrungen, das vom Gotte Pharao regiert wird. Pharao schickte Boten nach Chatti und bat höflich um Waffen aus Eisen. Ein solches Geschenk sei schließlich eines Gottes würdig. Die Hethiter lehnten ebenso höflich ab. Sie hüten das Eisen wie ihr Augenlicht.«

»Und wie hast du dann dies Schwert erhalten?«

Khateros räusperte sich. »Nun ja, es war das Geschenk einer Witwe, in deren Haus ich verkehrte. Sie fand wohl auch, es sei eines Gottes würdig.«

»Du bist wirklich ein ekelhafter Mistkerl.«

»Hoffen wir, dass du niemals üblere Mistkerle als mich treffen wirst.«

 

***

 

Kurz vor Mittag entdeckte Jakoros, der auf dem Möwenhügel Ausschau hielt, ein Schiff, das sich die Küste entlang schob, und gab das übliche Signal. Die Bewohner von Mantena wandten sich von ihrem Tagewerk ab und strömten hinunter zum Anlegeplatz. Sie waren vorsichtig und bereit, aber nicht wirklich besorgt. Schließlich handelte es sich nur um ein einzelnes Schiff, dass sich zudem nicht zu verbergen trachtete. Auch Arlandera schritt zum Hafen hinab. Sie suchte und entdeckte Khateros, der sie sorgsam übersah, außerdem die hünenhafte Gestalt ihres Vaters und direkt bei ihm Malturin, ihren kleinen Bruder, der sich stets irgendwo in der Nähe seines Vaters herumdrückte.

Das Schiff kam näher. Neugierig starrte Arlandera ihm entgegen. Dann schrie plötzlich jemand: »Feuer!«, und im nächsten Moment überschlugen sich die Ereignisse.

Sirrend schossen Pfeile durch die Luft und bohrten sich in die überraschten Körper der Dorfbewohner. Arlandera ließ sich beim ersten Schrei zu Boden fallen. Vorsichtig hob sie den Kopf. Zwischen den taumelnden, schreienden Menschen erblickte sie Khateros, der geduckt in Richtung seiner Hütte lief. Ihren Vater sah sie am Boden, er schützte Malturin mit seinem Leib, umklammerte den Griff seines Schwertes und spähte nach dem Gegner.

Als die Angreifer sich auf ihre Opfer stürzten, gingen gerade die ersten Hütten in Flammen auf. Es waren wilde, zerlumpte Kerle, in zerfetzten Kleidern, die schreiend über die Dörfler herfielen.

Arlandera fluchte. Da hatte sie in aller Heimlichkeit den Schwertkampf erlernt, und nun, da die Stunde des Kampfes gekommen war, hockte sie hier hilflos und unbewaffnet am Boden.

Einige Schritte von ihr entfernt lag reglos der alte Serinos. In seiner ausgestreckten Hand hielt er noch immer sein Schwert. Arlandera sprang auf und spurtete zu ihm hinüber, bemerkte rechts hinter sich den Schatten eines Räubers. Sie wich seinem Schlag aus, rollte sich ab, ergriff das Schwert des alten Mannes im Aufspringen, wandte sich um und richtete es auf den Halunken. Für diesen gab es keine Möglichkeit mehr anzuhalten, er rannte genau in die Klinge hinein. Seine brechenden Augen glühten direkt vor ihrem Gesicht. Er versuchte noch etwas zu sagen, doch von seinen Lippen sprühte nur Schaum, bevor er zur Seite sackte.

Der erste Mensch, der von ihrer Hand gestorben war. Ein Moment, der sich sofort im Tumult verlor. Um sie herum tobte das Gemetzel. Sie riss ihr Schwert aus dem Leib ihres Gegners und stürzte sich auf die Piraten.

Ihr Herz raste und in ihren Ohren toste die Brandung des Meeres. Sie schwebte durch die Reihen ihrer Gegner, ihr Schwert hieb herab und schnitt in schreiendes Fleisch. Sie stapfte durch blutenden Nebel, nur kurz tauchten überraschte Gesichter daraus hervor, denen Zeit für ein letztes Bedauern blieb.

Irgendwann kehrte sie weit genug in die Wirklichkeit zurück, um ihren Vater zu erkennen, wie er das Schwert gegen drei Angreifer schwang. Einem Felsen gleich stand er dort und zu seinen Füßen kauerte Malturin. Dann durchschlug ein Pfeil seinen Hals. Noch während er entsetzt zurücktaumelte, schmetterte eine feindliche Klinge gegen den Schädel des Jungen.

Arlandera sah ihren Vater hilflos torkeln, dann stürzen; kreischend stürzte sie auf ihn zu. Ein Hieb gegen ihren Arm stoppte sie. Der Schmerz entriss ihr das Schwert. Schon rempelte ein massiger Körper gegen sie und trieb sie von ihrer Waffe fort. Sie wich einem Schlag aus, warf sich zu Boden und tauchte ihrem Gegner im Getümmel davon.

Die Dorfbewohner kämpften tapfer, aber sie waren den Angreifern an Zahl und auch an Kampferfahrung unterlegen. Nur noch vereinzelt sah Arlandera verzweifelte Kämpfer. Inzwischen standen einige Hütten vollkommen in Flammen. Aus dem Rauch klang hilfloses Schreien. Arlandera suchte nach ihrem Vater, hoffte auf einen Ruf von ihrem Bruder, doch das Gerangel um sie herum verdeckte den Blick auf die beiden Gefallenen.

Arlandera sprang auf die Füße, schlüpfte zwischen den Kämpfern hindurch und rannte zu den brennenden Hütten. Wo blieb Khateros? Nur sein Wunderschwert konnte das Dorf jetzt noch retten.

Aus dem Eingang zu seiner Behausung züngelten erste Flammen. Arlandera schrie seinen Namen und stürzte hustend hinein. Beißender Qualm wallte durch das Innere der Hütte. Fast wäre sie über Khateros gestolpert. Er lag ausgestreckt am Boden, auf dem Bauch, vor seiner Lagerstatt.

»He, Täubchen, du kommst da lieber raus«, vernahm sie in ihrem Rücken eine Stimme. Sie wandte sich um. Im Eingang standen drei Männer, blutbeschmiert, mit wilden Mähnen. Ihre Augen glühten, sie schnaubten vor Mordlust und Gier. »Du schmeckst roh bestimmt besser als gegrillt!«

Arlandera wich zurück, und jetzt stolperte sie tatsächlich über Khateros. Sie fiel auf ihr Gesäß und blickte genau in sein überraschtes Gesicht. Eine entsetzliche Wunde am Hals verriet, dass ihn der tödliche Schlag hinterrücks getroffen hatte. Wie hatte das geschehen können?

»Dein Mann?«, fragte einer der Mörder, ein riesiger, muskelbepackter Söldner mit einer wahren Lockenmähne, die um sein Haupt und seine mächtigen Schultern wallte. »Kein Verlust, glaub mir, Täubchen. Ein elender Feigling, wollte sich scheinbar gerade unter seiner Decke verkriechen, als ich ihn erwischt habe.«

Unter seiner Decke ...

Draußen erklang fröhliches Gejohle.

»Kommt mit, lasst uns den Spaß draußen beenden, dann haben wir die nötige Ruhe für ...« Er grinste Arlandera an.

»Einer muss auf das Vögelchen aufpassen«, entgegnete einer seiner Kumpane, sein lüsternes Grinsen raubte seinem vernarbten Gesicht jeglichen Anschein von Menschlichkeit. »Sonst fliegt sie uns davon.«

Die beiden anderen verharrten unschlüssig.

»Lass uns was übrig«, knurrte dann der Lockenkopf, bevor er und sein anderer Kumpan die Hütte verließen.

Arlandera wich zurück und setzte sich auf Khateros’ Lager. Möglichst unauffällig tastete sie darauf herum.

»Jetzt spiel mir nicht die Spröde«, sagte ihr Gegenüber. »Lieber das Leben als die Ehre. Blödsinn. Los, verschwinden wir, hier drin wird es zu ungemütlich.«

Tatsächlich brannte inzwischen die Rückwand der Hütte lichterloh, und das Feuer fraß sich langsam in das Dach. Arlandera spürte die Hitze auf ihrer Haut, doch dies war nichts im Vergleich zu dem Hass, der in ihrem Herzen glühte. Sie blieb ruhig sitzen.

 »Na los!«, rief der Pirat und stürmte zu ihr. Seine Hand krallte sich in ihren Arm. Im nächsten Augenblick spürte er die Spitze des Schwertes an seinem Hals. »Was ...«

»Halt endlich dein widerwärtiges Maul!«, schrie Arlandera. Sie bemerkte den verwunderten Blick, mit dem er den glänzenden Stahl ihres Schwertes musterte. »Ich sehe, dir gefällt mein Schwert. Ein mächtiges, geheimnisvolles Metall. Wahrscheinlich Zauberei. Es stammt aus einem fernen Reich, dem Lande der Amazonen. Sie sind die Töchter des Krieges, geboren aus den Strömen von Blut, die auf den Schlachtfeldern dieser Welt vergossen wurden. Du verdienst die Ehre, durch eine solch edle Waffe getötet zu werden, eigentlich gar nicht!«

Sie blickte in sein schmieriges Grinsen, das narbige Gesicht, in dem verwirrte Hoffnung aufkeimte, und zuckte die Achseln.

»Andererseits: Was soll’s ...«

In diesem Moment brach das brennende Dach über ihnen zusammen.

 

***

 

Soljahin zerrte an den Zügeln und brachte so sein Gefährt zum Stehen. Mit gerunzelter Stirn musterte er die rauchenden Ruinen des Dorfes. Ein Bild, das sich ihm auf seinen Handelsreisen in den letzten Jahren allzu oft geboten hatte. Die Gefahr schien jedoch vorüber zu sein. Von den Meuchelmördern, die Mantena geplündert hatten, war nichts mehr zu entdecken. Wahrscheinlich waren sie mit Schiffen herangezogen, so wie ja auch Troias Unheil über das Meer gekommen war.

Er trieb die Pferde an und lenkte sie ins Dorf. Hier und da verstreut lagen Leichen von Gefallenen, allerdings schien es Soljahin, als handele es sich dabei nur um die getöteten Plünderer. Er entdeckte keine Frauen und Kinder, und von den Männern erkannte er niemanden.

Offenbar hatte jemand aus Mantena das Gemetzel überlebt und seinen Leuten ein würdiges Begräbnis verschafft. Soljahin hielt an und stieg von seinem Wagen. Langsam ging er hinauf zum Begräbnisplatz.

Eine einsame Gestalt verharrte dort zwischen den Hügeln, in einen dunklen Umhang mit Kapuze gehüllt. Sie stand mit dem Rücken zu Soljahin, den Blick auf den Eingang zur Totenhöhle gerichtet.

Soljahin trat vorsichtig näher.

»Was ist geschehen?«, fragte er.

»Wonach sieht es aus?«, knurrte die Gestalt dumpf.

Soljahin schwieg. Die Gestalt wandte sich ihm zu, doch die Kapuze hing tief in das Gesicht, und so erkannte er nicht, mit wem er sprach.

»Du bist Soljahin, der Händler«, stellte die Gestalt fest.

Er nickte.

»Dann kennst du dich aus. Wenn du ein Schiff hättest, und Beute zu verprassen, wohin würdest du dich von hier aus wenden?«

»Bei den Winden um diese Jahreszeit ... Jantanar.«

»Jantanar.« Der Schatten lauschte dem Klang des Namens nach. »Kannst du mir den Weg weisen? Oder bist du vielleicht sogar selbst auf dem Weg dorthin?«

»Doch. Es gibt jetzt zurzeit keinen besseren Ort für jedweden Handel. Du allerdings solltest diese Stadt meiden, oder wenigstens warten, bis dein Herz sich etwas abgekühlt hat. Oder hast du wirklich vor, dich allein mit einer Piratenhorde anzulegen? Das klingt ganz nach Altazaros, meinem alten Freund, aber der ist sehr viel größer als du.«

»Ich bin seine Tochter«, entgegnete die Gestalt.

»Die schöne Arlandera«, murmelte Soljahin.

Sie ergriff die Kapuze und schlug sie zurück. Soljahin stieß bestürzt die Luft aus. Ihre gesamte linke Gesichtshälfte war ein Geflecht aus frischen Narben, aus dem ihr Auge wie aus einem Krater hervorfunkelte.

»So schön bin ich nicht mehr.«

 

***

 

Soljahin sollte recht behalten. Als die beiden Jantanar erreichten, lange Tage später, während denen der Händler all seine Überredungskunst, der er ja immerhin seine florierenden Geschäfte verdankte, vergeblich darauf verschwendet hatte, das Mädchen von ihrem wahnwitzigen Vorhaben abzubringen, entdeckte Arlandera das Schiff der Piraten in der Bucht.

»Ich würde sie in einer Schankstube am Hafen suchen, im ‚Halbmondschild‘«, sagte Soljahin.

»Ein seltsamer Name«, fand Arlandera.

»So ein Schild hängt über dem Eingang«, erläuterte er. »Der Legende nach gehört sowas zur Ausrüstung der Amazonen. Der Besitzer des Wirtshauses, Samikanes, war früher ein fahrender Händler wie ich. Allerdings hat er sich viel weiter in den Osten und nach Norden vorgewagt. Wenn du ihn danach fragst, wird er dir von seinen Abenteuern bei den Kriegerfrauen erzählen.« Er räusperte sich, bevor er weitersprach. »Der Kerl ist allerdings ein wahrer Schwerenöter ... Er wird dir vor allem von ihren ausschweifenden Riten erzählen. Einmal im Jahr treffen sich die Amazonen zu einem Fest mit den Männern der angrenzenden Stämme. Etwas wird an den Geschichten schon dran sein, irgendwoher müssen ja die Kinder der Amazonen kommen.«

»Und warum sollten sich die Piraten gerade in diesem Schuppen herumtreiben?«

»Alle Seeleute treffen sich dort.« Er musterte sie traurig. »Ich vermute, es hat wenig Sinn, noch weiter auf dich einzureden?«

Arlandera verlor die Geduld. »Was, glaubst du, sollte ich jetzt tun? Alles vergessen? Mich ohne Umschweife unter den ach so kostbaren Schutz des nächstbesten unbeweibten Mannes begeben? Mir rasch jemanden suchen, den diese Narben nicht stören?«

»So furchtbar ist deine Entstellung gar nicht ...«, begann er und wich vor dem Zorn zurück, der ihm bei diesen Worten aus ihren Augen entgegenblitzte. Er runzelte die Stirn und musterte sie schweigend, als sähe er sie zum ersten Mal. Sie hatte alles Weibliche geschickt unter ihrem Umhang verborgen. Plötzlich, wie durch Zauberei, erblickte er in ihr den wilden Krieger, der nach Rache dürstend hinauszieht, seine Feinde zu zerschmettern. 

Vielleicht hatten sie die Götter tatsächlich auserwählt, ihr ein besonderes Schicksal auserkoren. Auf seinen Reisen war er zwar nicht oft, aber doch ein paarmal schon herausragenden Helden begegnet. Irgendwie spürte man es in ihrer Gegenwart sofort, dieses Besondere, Erhabene; etwas Unbeschreibliches, das sie aus der grauen Masse hervorhob, das ihnen anhaftete, ob sie wollten oder nicht. Arlandera verfügte über diesen tragischen Hauch von Göttlichkeit, wurde ihm in diesem Moment klar. Er hatte es bisher übersehen, weil er nicht damit gerechnet hatte, es in einem Mädchen zu erkennen.

»Nun gut«, erklärte er und lächelte. »Dann trennen sich hier unsere Wege. Ich wünsche dir viel Glück. Du wirst es brauchen.«

 

***

 

Sie entdeckte den Lockenkopf sofort, als sie die Schankstube betrat. Ihre Zähne knirschten. Nur mit Mühe konnte sie sich davon abhalten, auf der Stelle das Schwert aus seinem Fell herauszureißen und sich damit auf den Kerl zu stürzen.

Niemand beachtete sie, als sie durch das lärmende Gedränge hindurch auf einen klobigen Tisch im Hintergrund des düsteren Raumes zusteuerte. Sie wischte mit ihrem Ärmel den gröbsten Dreck von der Platte und setzte sich auf einen wackeligen Schemel.

»Na, Fremder, was kann ich dir bringen?« Eine verbrauchte Frau mit erloschenen Augen beugte sich zu ihr herab. Sie trug ein solch offenherziges Kleid, dass ihre Brüste Arlandera förmlich ins Gesicht sprangen.

»Wein«, krächzte Arlandera mit möglichst tiefer Stimme. Vergeblich versuchte sie, das dargebotene Fleisch zu übersehen.

»Kannst du haben«, versuchte die Schankfrau ein Säuseln, das wohl nach Verführung klingen sollte. »Du kannst eigentlich alles haben, was du begehrst.«

Arlandera runzelte die Stirn. Was hätte Khateros, der unverbesserliche Aufschneider, auf ein solches Angebot erwidert? »Gut zu wissen«, versetzte sie tapfer, »werde vielleicht später darauf zurückkommen.« Die Schankfrau schob sich durch die Menge davon. Hatte Arlandera den richtigen Ton getroffen? Wen kümmerte es?

Kurz darauf kam ihr Wein, der sich als überraschend wohlschmeckend erwies. Arlandera lehnte sich zurück, nippte ab und zu an ihrem Becher und achtete darauf, dass ihr Gesicht im Schatten ihrer Kapuze verborgen blieb. Immer wieder huschten ihre Blicke hinüber zum Tisch der Piraten.

Sie lauschte ihren Gesprächen und fand ihre Vermutungen über Herkunft und Motive der Plünderer bestätigt: Sie hatten zur mykenischen Flotte gehört, die sich nun schon seit Jahren an den Festungsmauern Troias die Köpfe blutig stieß. Nach so langer Zeit war zwar nicht ihre Kampfeslust erlahmt, jedoch hatte sie die langwierige Belagerung vor Langeweile zermürbt. Schlimmer noch: das Gebiet um die stolze Stadt war vollkommen abgegrast, und so hatten sie beschlossen, anderswo nach lohnenderer Beute Ausschau zu halten. Ihr Weg hatte sie zur thrakischen Küste geführt, bis zur Meerenge zum Pontos Euxeinos, und damit leider auch nach Mantena.

Arlanderas Aufmerksamkeit richtete sich besonders auf die beiden Männer, die von den dreien, die sie in Khateros’ Hütte belästigt hatten, noch am Leben waren. Aus dem übermütigen Gelärme bekam sie ihre Namen mit, Bentaros hieß der eine, und den blonden Lockenkopf, den Hünen, nannten sie Torkaran.

Arlandera lauerte auf eine Gelegenheit. Sie erhielt diese, als die blonde Schankfrau mit Bentaros anbändelte. Der Pirat, fast bis zur Besinnungslosigkeit betrunken, konnte seine Finger nicht bei sich behalten. Sie verirrten sich auf das Hinterteil der Frau, die das sehr direkte Kompliment zum Anlass nahm, auch diesem Manne ihre körperlichen Vorzüge anzupreisen.

»He!«, schrie Arlandera. »Finger weg, heute Nacht gehört dieses Weibsbild schon mir!«

Überrascht, so plötzlich aus dem Nichts angepöbelt zu werden, blickten die Mykenen herüber. Bentaros verstärkte den Druck seiner tätschelnden Hand und grinste schief.

»Das glaube ich nicht«, knurrte er.

Torkaran erhob sich schwerfällig. Auch er hatte dem Wein schon übermäßig zugesprochen, er blinzelte und schwankte leicht.

»Ich würde gern sehen, mit wem ich spreche«, sagte er.

Arlandera schlug die Kapuze zurück. Das entsetzte Raunen, mit dem sie gerechnet hatte, ging durch den Raum. Sie hatte ihr herrliches Haar zu einer strubbeligen Mähne zurechtgestutzt und ihre heile Gesichtshälfte mit Dreck beschmiert, sodass sie einen abscheulichen Anblick bot.

»Einen liebreizenden Liebhaber hast du dir ausgesucht«, spottete Bentaros in Richtung der Schankfrau.

»Mich hat ein Feuer entstellt«, erklärte Arlandera. »Du dagegen bist von Natur aus hässlich.«

Bentaros schob die Frau beiseite, nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Humpen, dann sprang er plötzlich auf, das Schwert erhoben, und stürzte auf Arlandera zu.

Sie schob rasch ihren Stuhl ein wenig zur Seite, stemmte ihren Fuß gegen die Kante des Tisches. Kurz bevor der Mann bei ihr angelangt war, stieß sie ihm den Tisch entgegen, sodass ihm die Platte mit voller Kraft in den Magen schlug. Bentaros knickte ächzend zusammen, sich ihr entgegen. Ihre linke Hand schoss vor und umschloss seine Schwerthand. Ihre Rechte glitt kurz unter ihren Umhang. Einen Augenblick später starrte Bentaros fassungslos auf ihren Dolch, während sein Leben heiß und rot aus seiner aufgeschlitzten Kehle rann. Sein Blut tropfte auf Arlandera herab. Ungehalten schob sie den Tisch weiter von sich, entwand seiner kraftlosen Hand sein Schwert und sprang auf. Um Bentaros’ Hals breitete sich eine dunkle Lache aus und Arlandera knurrte bei diesem Anblick zufrieden.

Alles erstarrte und blickte schweigend auf die beiden Kontrahenten. Dann griff Torkaran nach seiner Waffe.

»Halt!«

Ein riesiger Mann trat aus einem Nebenraum hervor. Um seinen wuchtigen, kantigen Schädel baumelten geflochtene Zotteln. In seiner Hand hielt er eine schwere Keule.

»In meinem Hause ist für heute genug Blut geflossen.«

»Du solltest dich besser nicht einmischen«, entgegnete Torkaran. »Wir sind ein wenig zu viele, selbst für einen Halbgott wie dich.« Auf dieses Stichwort hin erhoben sich seine Männer.

Der Wirt stand einfach nur stumm da. Zeit verrann in vollkommener Stille. Jeder im Raum blickte zu ihnen herüber. Niemand musste aufstehen, um zu zeigen, wie viele Leute auf Samikanes‘ Seite waren.

»Allerdings sind wir Gäste unter deinem Dach und wollen nicht unhöflich sein«, sagte Torkaran.

Samikanes nickte langsam. »Ihr beide«, er deutete auf Arlandera und Torkaran, »kommt mit mir. Der Rest von euch Halunken schafft mir diesen Toten aus dem Haus, bevor er mir das Unheil anzieht.« Jenseits des leisesten Zweifels überzeugt davon, dass seinen Anordnungen Folge geleistet würde, wandte er dem Schankraum den Rücken zu und schritt zurück in das Nebenzimmer, aus dem er aufgetaucht war.

Arlandera und der Pirat folgten ihm.

Der Raum war kärglich eingerichtet, eine Bettstatt, ein Tisch, ein paar Stühle. Samikanes ließ sich am Fenster nieder und blickte den beiden Kampfhähnen entgegen.

»Wie ich die Sache sehe«, begann er, »werdet ihr, kaum dass ihr mein Haus verlassen habt, aufeinander losgehen.«

Sie schwiegen beide.

»Ich hätte da einen Vorschlag. Eine einmalige Gelegenheit für zwei solche Kämpfer, wie ihr es seid. Und das Beste daran ist, dass ihr dabei nichts weiter zu tun habt, als gegeneinander anzutreten.«

»Wovon redest du?«, fragte Torkaran.

»Da ihr euch sowieso umbringen wollt, könnt ihr das auch zur Feier der Atanais erledigen, und so euer Blut den Göttern weihen.«

»Atanais? Die Stammmutter der Amazonen?«

Arlandera konnte sich nur mühsam zwingen, ihr Interesse nicht allzu deutlich zu zeigen.

»Ja, genau davon rede ich.« Der Wirt verharrte kurz, wohl um zu überlegen, wie weit er ausholen müsste. Dann sprach er weiter: »Es ist nicht immer so, dass das Orakel nach Blut verlangt. Manchmal treffen sich die Amazonen in den Wäldern mit den Männern der benachbarten Stämme. Manchmal ziehen sie aus und rauben sich die Männer. Am liebsten aus den Kriegerheeren, weil sie davon ausgehen, dass in den Adern von Soldaten das wildeste Blut fließt, gerade würdig einer Amazone. Und manchmal verlangt es die Götter nach Blut, das Fest des Lebens zu versüßen. Dann ist der Auftakt ein Kampfturnier, ein Wettstreit der tapfersten Krieger auf Leben und Tod, je zwei Männer gegeneinander, bis einer von ihnen sein Leben aushaucht.«

»Und wozu?«, fragte Torkaran.

»Der Sieger darf an den nächtlichen Rosenfesten teilnehmen. Das allein ist es schon wert, das könnt ihr mir glauben. Außerdem sparen sie nicht an Geschenken, diese Kriegerfrauen. Und, wie gesagt, da ihr euch auf jeden Fall an die Gurgel geht, könntet ihr einfach noch ein paar Tage damit warten.«

»Und was interessiert dich die ganze Angelegenheit?«

»Ich habe sehr gute Beziehungen zu den Amazonen. Schon lange Jahre führe ich Männer zu der geheimen Stadt des Orakels, nach Themiscyra, wo der Tempel der Atanais steht, und in dessen Eichenhainen zuweilen die unglaublichsten Ausschweifungen geschehen. Sogar ich kenne nur, und das als einer von wenigen Männern, den Weg zu einem Treffpunkt. Von dort aus werden wir mit verbundenen Augen reisen. Als ich noch jung war, habe ich selbst bei diesen Festen ... mitgefeiert. Dass man mehrmals an den Riten teilnehmen kann, ist die einzige Art von Treue und Beziehung, die mit Amazonen möglich ist.«

Arlandera blickte zu dem Piraten. »Was mich betrifft, so bin ich durchaus neugierig auf diese Kriegerfrauen. Ich hätte nichts dagegen, unseren Streit bis nach Themiscyra zu verschieben.«

»Auf mich wartet im Hafen ein Schiff.«

»Ihr seid Mykener, gehört zu denen, die vor Troia lagern?« Der Wirt lächelte. »Ziemlich weit entfernt von eurer Armee. Nun, ein lohnenderes Ziel als diese Amazonenfestung wirst du hier oben nicht finden, auch wenn es nichts zu plündern und zu rauben gibt. Es gilt sich nur den Weg zwischen die Schenkel schöner, wilder Frauen zu erobern. An materiellen Dingen gibt es nur das zu gewinnen, was ihre Großzügigkeit euch schenkt. Aber, trotzdem, ein lohnenderes Ziel wirst du nicht finden. Und wenn du darauf brennst, zum Kampf um Troia zurückzukehren, es widersteht schon lange Jahre, und die Mauer werden eurem Ansturm noch lange genug trotzen, bis du dorthin zurückkehren kannst.«

»Also gut, wann brechen wir auf?«

»Ich habe eine Gruppe von Kämpfern verpflichtet, die sich im Morgengrauen an den Hügeln im Osten der Stadt sammeln wird.«

»Morgen schon?« Torkaran blinzelte misstrauisch. »Das nenne ich wirklich einen Zufall. Da ist doch etwas faul. Wie stehen denn die Preise für Sklaven im Moment?«

»Ihr werdet alle bis an die Zähne bewaffnet sein, ein Trupp der grausamsten Krieger. Ich glaube nicht, dass es auf Erden etwas gibt, das ihr zu fürchten hättet. Und was das letzte Stück des Weges anbetrifft, bei dem ihr euch mit verbundenen Augen den Amazonen anzuvertrauen habt, so werdet ihr, wenn ihr die Schönen erst gesehen habt, nicht einen Augenblick zögern. Also, kein Grund zur Sorge für so einen tapferen Kämpfer wie dich. Zufall? Glück? Wer weiß? Die Götter haben euch einfach zur rechten Zeit zu mir geführt. Es war wohl eure Bestimmung.« Seine Augen ruhten bei diesen Worten auf Arlandera, und heißkalte Schauer durchfluteten ihr Herz.

 

***

 

Hoch stand die Sonne über der Arena, als die Kämpfer das sandbedeckte Rund betraten. Vierzig Männer, kampferprobt, entwurzelt durch den langjährigen Krieg, der an Phrygien zehrte.

Auf den Rängen stand Penthesilea und blickte hinab auf die Gladiatoren, die ihr Leben für eine Nacht des Fleisches einsetzten. War das noch Furchtlosigkeit oder schon Wahnsinn?

»Wenn sie so kämpfen, wie sie aussehen ...«

Penthesilea blickte auf, in Jaras spöttisches Gesicht.

»Und, was noch wichtiger ist, wenn sie so lieben, wie sie hoffentlich kämpfen«, setzte Jara fort.

»Du wirst es mir haarklein berichten«, vermutete Penthesilea.

»Die Götter sind wegen irgendwas über dich erzürnt. Nur sehr selten fordert Atanais Blut vor dem Rosenfest, die Väter zu erwählen. Eine neue Königin wird in dieser Nacht gezeugt werden. Es wäre ein würdiger Auftakt für dein Leben als Frau gewesen.«

Penthesileas Blick gab der Freundin deutlich zu verstehen, dass es besser wäre, dies Thema nicht weiter zu vertiefen. Jara bemerkte ihren Unmut sofort und schwieg, den Blick voller Vorfreude auf die Krieger in der Arena gerichtet.

Penthesilea blickte ebenfalls hinab. Sie runzelte die Stirn. Ortrera, die Königin, ihre Mutter, lag im Sterben, und so hatte ihr die Hohepriesterin das Rosenfest untersagt.

Mutter! Welch großes Wort. Eine Fremde saß auf diesem Thron, es war lachhaft, Trauer von ihr zu fordern, wo niemals Liebe, nicht die geringste Nähe gesät worden war.

»Sieh dir diesen Hünen an!« Jara deutete auf einen blondgelockten Muskelmann, nur mit einem Lendenschurz bedeckt. Zahllose Narben auf seinem Körper zeugten von durchkämpften Schlachten. Mit einem Band hatte er sein Haar halbwegs gebändigt, sodass es ihm im folgenden Wettstreit nicht die Sicht behindern konnte.

Sein Gegner wirkte gegen ihn geradezu schmächtig. Auch sonst bot er nicht die Pracht des halbnackten Gottes. Seinen Körper hatte er in dicke Stoffe verpackt, in Hosen und Hemden, als läge Winter über dem Lande. Und sein Gesicht, bei allen Göttern! Die Hälfte zart, ein Jüngling noch, doch die andere vom Feuer grausam entstellt.

»Allerdings hätte er sich einen würdigeren Gegner suchen sollen«, maulte Jara. »Er wird heute Nacht gerademal den Tod einer Laus zu feiern haben.«

Einfach nur, um ihrer Freundin zu widersprechen, entgegnete Penthesilea: »Das Narbengesicht wird gewinnen.«

»Das ist nicht dein Ernst!«

»Er muss ein tapferer Krieger sein, sonst wäre er nicht hier. Samikanes würde uns niemals einen Feigling schicken. Er würde es nicht wagen, unser heiliges Fest dadurch zu entweihen.«

»Ich will nur hoffen, dass du dich irrst«, sagte Jara. »Ich möchte viel lieber die Lippen dieses Lockenkopfs als die des Halbgesichts auf meinen Brüsten spüren.«

Die Hohepriesterin betrat mit ihrem Gefolge die Arena. Penthesilea beachtete sie kaum. Die ganze Zeit während der heiligen Zeremonien, den mystischen Anrufungen, betrachtete sie mit wachsender Faszination den seltsamen Kriegsmann mit dem vom Feuer gezeichneten Gesicht. Sie wusste nicht, warum, doch dieser Fremde fesselte sie. Der kleinste an Statur, ragte er auf geheimnisvolle Weise aus den übrigen Männern hervor. Aus seinem Gesicht, selbst auf dem verwüsteten Teil davon, strahlte die Gunst der Götter. Dieser Mann war auserwählt.

Zu Besonderem. Für zukünftige Legenden. Und für sie.

»... streitbares Männerblut beweisen, ob es würdig ist, sich mit dem unsrigen zu vermischen. Tod und Folterqualen über die, die unser Fest entweihen.«

Diese Worte drangen zu Penthesilea durch, vor allem durch die entsetzte Reaktion, die sie auf dem so schwer zu durchschauenden Antlitz des Fremden hervorriefen. Ungläubiges Staunen lag in seinem Blick, den er sehnsüchtig über das lärmende Volk der Amazonen schweifen ließ, und die Verwirrtheit, die kurz nach dem Erwachen aus einem schönen Traum noch lähmt.

Dann begann der Kampf, ein Gewitter tödlicher Bronze, ein Stoßen und Schlagen, das Schreien, das Röcheln, das Sterben. Kurze Zeit später konnte Penthesilea sich etwas schwer atmend und mit einem triumphierenden Leuchten in den Augen zu ihrer Freundin umwenden und sagen:

»Na, was habe ich gesagt?«

 

***

 

Erst als sie in der Arena stand, im heiligen Turnier, wurde Arlandera klar, in welch ausweglose Falle sie sich durch ihren Hass auf den Anführer der Plünderer hatte treiben lassen. Ihr Wunsch, ihm ihr Schwert in den Hals zu stoßen, hatte sie den Zeitpunkt verpassen lassen, die Maske fallenzulassen, den Amazonen zu offenbaren, dass sie eine Schwester im Geiste war.

Wenn dieser Zeitpunkt jemals existiert hatte. Schon ihren Aufbruch zu diesem Turnier, ihr Versteckspiel unter der dem Kampf und der Wollust geweihten Schar, würden die Priesterinnen wohl bereits als todeswürdigen Frevel betrachtet haben.

Und so wurde ihr bewusst, als die Klinge ihres Schwertes in Torkarans Brust drang, dass dies, obwohl ein so heißersehnter Moment, erst der leichteste Teil gewesen war.

Viel zu schnell brach die Nacht herein. Arlandera hatte es geschafft, die Dienerinnen loszuwerden, die sie hatten baden und für die Festlichkeiten kleiden wollen, indem sie ihnen sagte, es bereite ihr Unbehagen, ihre Verletzungen vor ihnen so offen zur Schau zu stellen.

Doch nun, als zwei Priesterinnen sie abholten und zum Tempel der Atanais geleiteten, fühlte sie sich endgültig wie ein Opfertier auf dem Weg zur Schlachtbank.

Hoch brannten die Feuer in den heiligen Hallen, helle Gesänge klangen durch die weihrauchgeschwängerte Luft. Die Sieger der Kämpfe hockten auf den Fliesen, den Kopf gesenkt.

Arlandera achtete kaum auf die Worte der Hohepriesterin. Sie berichtete von den Leiden der sterbenden Königin Ortrera und dem Schließen des Kreises. Nur aus heilig vergossenem Blute konnte eine neue Königin entstehen, in dieser Nacht empfangen, in der Zukunft für den Thron ausersehen.

»Und nun gehöre die Dunkelheit euch!«, rief die Hohepriesterin. Knarrend öffnete sich das große Seitentor des Tempels und gab den Blick auf die eichenbestandenen Hügel frei, in denen unzählige Lagerfeuer die Nacht erhellten. Aus den Gebüschen klang das freudige Kichern verborgener Frauen.

Die Meute stürzte hinaus, hungrig, gierig, auf der Jagd. Arlandera rannte hinterdrein, vorbei an gestelltem Wild, dem Freier hingegeben, am Knurren und Stöhnen, an den ersten ungeduldigen Explosionen der Wollust. »Komm!«, hauchten Stimmen aus dem Unterholz, schlanke Arme haschten nach ihren Beinen.

Auf den Wegen zwischen den Eichen wandelten schwarzgemantelte Priesterinnen, den Blick wohlgefällig auf entfesselten Trieben. Ihre ziellose Hetzjagd würde bald auffallen.

Sich verkriechen. Nur wo? Die Feuer setzten den Wald in prasselndes Licht, der Schein der Flammen tanzte auf umschlungenen, wogenden Leibern. Arlandera warf sich schließlich zu Boden und suchte kümmerlichen Schutz. Der Strauch, der sie verdeckte, verbarg kaum ihren Kopf in seinem Schatten.

Allerdings … Sie schöpfte neue Hoffnung. Vielleicht genügte es, ihr Gesicht zu verstecken. Immerhin eine Chance, wenn auch eine dürftige. Mit zitternden Händen nestelte sie an den Gürteln ihrer Kleidung und warf die Hüllen ab. Nackt besaß sie eine wirksamere Tarnung als bekleidet. Der Wald war voll von nackten Frauen. Nur durfte niemand ihr wohl einmaliges Antlitz bemerken.

Um sie herum hatte das Suchen aufgehört, hatte zusammengefunden, was zusammenfinden wollte. Mit ein bisschen Glück ...

»He, du«, erklang ein Flüstern im Finstern. Arlandera erstarrte. Ein Rascheln verriet, dass jemand näher schlich.

»Ich suche den Mann mit dem verbrannten Gesicht. Hast du ihn gesehen?«

Arlandera fühlte sich zu Stein gefrieren, doch tapfer schüttelte sie den Kopf und wisperte ein Nein.

Das Rascheln entfernte sich, verharrte dann. Geschmeidige Schritte direkt hinter ihr. »Wo kann er sein? Wenn ich ihn nicht bald finde, muss ich verschwinden, bevor mich die Priesterinnen finden.«

»Wieso?« Arlanderas Gedanken überschlugen sich. »Du bist nicht für den Hain auserwählt? Bist du verrückt? Sie werden dich töten, wenn sie dich erwischen.«

»Ich muss ihn einfach sehen.«

»Verschwinde, du Närrin, bevor dein Leben verwirkt ist.«

»Ich muss ...« Die Stimme brach ab, wohl weil eine Priesterin vorüberschlenderte. Arlandera hörte die Gestalt sich links in das Unterholz schlagen. Rasch blickte sie sich um. Die Priesterin entfernte sich. Sie sprang auf die Beine und folgte dem flüchtenden Mädchen.

Diese lebensmüde Frau kannte einen Weg heraus, wusste ein Schlupfloch aus dieser Mausefalle. Arlandera rannte und lauschte. Wohin war sie entschwunden? Wo ...

Ein Fuß stieß zwischen ihre Beine. Nur mühsam hielt sie den Schrei zurück, als sie in hohem Bogen niederbrach. Einen Moment später presste sich ihr ein Knie in den Rücken und ein Messer kitzelte ihren Hals.

»Warum folgst du mir?«

»Ich dürfte ebenfalls nicht hier sein«, stieß Arlandera hervor. »Bitte, bei allen Göttern, ich flehe dich an, bring mich hier heraus!«

»Wer bist du?« Der Druck auf ihren Rücken schwand, eine Hand packte Arlanderas Schulter und drehte sie herum.

Über ihr, vom Feuer beschienen, hing das Gesicht einer märchenhaft schönen Frau. Noch niemals zuvor hatte sie ein herrlicheres Antlitz erblickt. Ein Stirnrunzeln störte das Ebenmaß ihrer Züge, dann weiteten sich ihre Augen.

»Du?« Ungläubig streckte sie die Hand aus, strich über die zerklüftete Haut, das Werk der Flammen, umfasste dann Arlanderas linke Brust, berührte sie nur zaghaft, als erwartete, hoffte sie, diese würde sich unter der Berührung auflösen.

»Du bist dieser Krieger?« Abwesend streichelte ihre Hand das weiche Fleisch, dessen Knospe unter der Gefahr verräterisch erblühte. Irgendwann schien sie das Erwachen des Leibes unter ihr endlich zu bemerken. Sie starrte stumm auf Arlandera hinab, die ihrerseits nur schweigend harren konnte, geradezu entsetzt vom Ausmaß des Begehrens, das dieses ungläubige Staunen auf den Zügen der Amazone in ihrem Körper weckte.

»Du bist es ...« Das Mädchen beugte sich herab, und kurz bevor sich ihre Lippen trafen, schloss Arlandera die Augen.

Mit einem Schlag zerschmolz die Welt. Rasender Rausch erfasste sie. Das plötzliche Feuer verzehrte beide Frauen im Nu. Umschlungen wälzten sie sich am Boden. Hände wie Krallen griffen und zerrten nach Fleisch, Lippen verspeisten einander, Schenkel schoben, drängten, klammerten; schäumendes Schreien, erstickt an duftend feuchter Haut ...

»He, nur nicht so ungeduldig.« Eine Männerstimme, wie von weit her, klang durch die Leidenschaft. Dann brach er herein, voll Ungestüm. »Könnt ihr nicht abwarten?«

Arlandera spürte fremde, harte Hände auf ihrem zitternden Bauch, die sich aufwärts schoben. Gerade als diese ihre dadurch empfindlich gestörten Brüste erreichten, durchzuckte ein Schrei die Nacht:

»Nimm deine dreckigen Pfoten von ihr! Was fällt dir ein?!« Schläge trommelten, Körper brachen durch das Holz.

Nur mühsam erwachte Arlandera aus ihrem Höhenflug. Schritte, so viele Schritte brausten heran.

»Was geht hier vor?«

»Wer stört das Fest?«

Priesterinnen zerrten sie auf die Füße und erkannten voller Empörung ihr zerfetztes Gesicht. Andere versuchten die tobende Frau zu bändigen, die sich wie tollwütig in den Armen ihrer Häscher hin und her warf.

»Penthesilea!«

Ihr Name wirkte wie ein Zauber, die Frau sank in sich zusammen und blickte mit leblosen Augen auf die Hohepriesterin. Ihr drohender schwarzer Schatten baute sich vor den beiden Gefangenen auf, schien noch anzuwachsen. Ihre glühenden Augen versuchten sie zu durchbohren. Fassungslos über den Frevel setzte sie mehrfach an, ihrer Empörung Luft zu machen, doch ihre Lippen zitterten nur. Schließlich beherrschte sie sich soweit, dass sie Penthesilea eine Ohrfeige ins Gesicht donnern und sie speichelsprühend anschreien konnte:

»Der Tod wird euch eine Erlösung sein.«

 

***

 

»Ich weiß, Königin, sie ist deine Tochter, doch niemand steht über dem Willen der Götter. Weder sie noch du!«

Ortrera lächelte schwach. »Ich werde den Göttern in Bälde gegenübertreten. Und es hat nichts damit zu tun, dass eine der Gefangenen meine Tochter ist. Du kennst das Orakel. Königliches Blut wird sich dieses Rosenfest erweisen. Wir haben es nur falsch verstanden.«

»Haben wir nicht«, beharrte die Hohepriesterin. »Durch Blut schafft sich die Majestät. Deswegen muss jeder Mann bei diesem Rosenfest einen Gegner zu Ehren der Götter töten. Eine von den Töchtern, die in dieser Nacht gezeugt werden, wird eines Tages auf diesem Thron sitzen. Das hat das Orakel auch diesmal gemeint.«

»Dann hat das Orakel damals gelogen. Du weißt, dass Penthesilea die Letzte der Blutgeborenen des vorherigen königlichen Rosenfestes ist. Wen willst du an ihrer Stelle krönen?«

»Der Frevel wider die Götter ...«

»Die Götter haben laut und deutlich gesprochen. Jeden Augenblick harre ich des Todes, und dann wird dieser Thron verwaist sein. Das Schicksal hat alle auserwählten Frauen abberufen, nur Penthesilea ist noch am Leben, die wildeste und gefährlichste. Keine andere könnte unser Volk zu neuem Ruhme besser führen, außer vielleicht diese Fremde. Die Zeiten sind schwer, von allen Seiten dringen die Feinde auf uns ein. Wir brauchen jemanden auf unserem Thron, der diesen Gefahren furchtlos entgegentritt, jemand Außergewöhnliches, jemanden, der nicht einmal vor dem Zorn der Götter Angst verspürt.«

Die Hohepriesterin schwieg finster.

»Mein letztes Wort als Königin«, erklärte Ortrera. »Die Götter haben beide aus dem Schatten gerissen. Beide haben gegen alle Heiligkeit gefrevelt. Eine wird es mit ihrem Blut bezahlen, die andere dafür Königin.«

»Und wie soll ich das dem Amazonenvolk erklären?«

Ortrera lächelte. »Die Götter reden stets in Rätseln und widersprechen sich. Es war schon immer Sache der Priester, ihren Willen den Menschen zu übersetzen.«

 

***

 

»Das ist dein Schwert?«

Arlandera nickte und blickte die Hohepriesterin an.

»Woher hast du es?«

»Es stammt aus dem Land Chatti. Ein Freund hat es mir hinterlassen.«

Die Priesterin schüttelte den Kopf. »Chatti. Ich habe davon gehört. So ist das Geheimnis tatsächlich nicht mehr unser.« Sie blickte die Fremde an. »Ja, möglicherweise brauchen wir wirklich eine ganz besondere Königin in den verworrenen Zeiten, die vor uns liegen.«

Arlandera runzelte verständnislos die Stirn.

»Das war die Ansicht unserer verstorbenen Königin. Vielleicht hatte sie recht. Und möglicherweise auch ist dieses Schwert ein Zeichen. War es der Wille der Götter, dass es zunächst seinen Weg zu dir fand, wider alle Unwägbarkeiten? Haben sie dich zu uns geführt, damit du heute hier mit dieser Waffe in der Hand hinaus ins Rund der Arena trittst, dein vorbestimmtes Schicksal einzufordern?« Ihre Augen verloren ihren Glanz. »Ich weiß es nicht. Alt bin ich geworden, doch von Weisheit noch immer weit entfernt. Nun denn, wir werden es ja sehen.«

 

***

 

Wieder brannte die Sonne herab auf den Staub der Arena, wieder wimmelte es auf den Rängen von Neugierigen, die dies einzigartige Schauspiel um keinen Preis verpassen wollten.

Allein zwei Gegner standen diesmal sich hier gegenüber, Kriegerinnen, in der Faust den donnergeborenen Stahl, das Geheimnis der Amazonen.

Arlandera blickte schaudernd in die Reihen der Zuschauer. Herrlich frei fühlte sich die Tracht der Amazonen an, endlich konnte sie sie selbst sein, Frau und Kriegerin, und musste nicht mehr eins von beiden leugnen.

Scheu blickte sie ab und an zu Penthesilea hinüber. Die nächtliche Raserei, nur fern und undeutlich klang sie in ihrem Herzen wider. Doch wie die Prinzessin dort stand, in ihrer strahlenden Rüstung, erregt den Vorgeschmack des Todes atmend, fühlte sie unsägliches Bedauern, ihr mit dem Schwert statt mit Geschmeide in der Hand entgegentreten zu müssen.

»Die Königin ist tot, heimgegangen zu den Göttern. Hier in diesem Sande der Ehre stehen heute die Anwärterinnen auf den Thron, von Atanais selbst ausgewählt ...«

Ein Königreich gewinnen ...

Stahl kracht auf Stahl, die Erde erbebt unter der Amazonen Wut. Mit aller Kraft stemmen sie die Waffen gegeneinander, versunken in dem Blick der anderen, der Liebe singt, und Tod.

Die Welt versinkt, träge kriecht die Zeit. Arlandera sieht Penthesileas geschmeidige Bewegungen, das Schwingen ihrer Arme, die Muskeln, die sich spannen, die Klinge, die herniedersaust, alles so entfernt, so unwirklich. Ewigkeiten bleiben ihr, die Schläge zu parieren, selbst die Funken sprühen wie im Traum.

Der altbekannte Rausch benebelt sie, nach Blut taucht ihre Klinge, den Angriff des gegnerischen Schwertes empfängt sie als hochwillkommenen Gast. Für diesen Augenblick hier wurde sie geboren, um hier zu stehen und zu streiten.

Es ist ein langer Weg gewesen, voller Leiden und Verlust. Wenn ihr die Götter als letzte Prüfung auferlegten, diese Frau zu töten, mit der sie lieber die Freuden der Nacht geteilt hätte, so würde sie sich als ihres Schicksals würdig erweisen.

Atemlos erstarrt staunt die Menge auf den Rängen. Niemals zuvor standen sich an diesem Orte zwei schrecklichere Kriegerinnen gegenüber. Mit traumwandlerischer Sicherheit schwingen sie die schweren Schwerter, ohne jede Spur von Anstrengung oder Erschöpfung. Ein magischer Reigen klingenden Stahls, der durch die Luft wirbelt, dass ihm die Augen kaum noch folgen können. Und doch, jeder Angriff, jeder Stoß, und sei er noch so vortrefflich, so unbezwingbar ausgeführt, trifft stets auf die noch trefflichere Parade, prallt gegen schlafwandlerisch sicher geführten Gegenschlag.

Arlandera spürt Penthesileas gierigen Blick. Schnaubend umkreisen sie einander, mit zum Sprung gespannten Schenkeln. Ja, dies ist wieder der wilde Zauber jener Nacht, das verzehrende Verlangen, das maßlose Begehren. Zum Schlag bereit, noch wartend liegt in ihrer Hand das Schwert, das diesmal diesen unbeschreiblichen Leib liebkosen wird.

Wieder stürmt Penthesilea herbei, und wieder fliegt das Schwert. Arlandera pariert, ein triumphierendes Lachen keucht abgehackt aus ihrer Brust. Zeit, die Sache zu beenden.

Stahl prallt auf Stahl, die Funken sprühen, Schläge, Tritte, verbrauchte Kraft; ein Ellenbogenstoß, ein Taumeln, ein Fuß gleitet aus, ein wenig nur, fasst wieder festen Boden. Zu spät, ein Blick schreckt auf, den letzten Blitz zu schauen, bevor kalter Stahl so mühelos den Hals durchtrennt.

Ein dumpfer Schrei aus tausend Mündern begleitet den Flug des von der Gewalt des Schlages hinaufgeschleuderten Kopfes. Ein scheinbar ewigwährendes Staunen, das zu Ergriffenheit verstummt, als das Haupt schließlich doch zur Erde niedersinkt.

Dann brach sich die angestaute Begeisterung unaufhaltsam Bahn. Umgeben vom frenetischen Jubel ihres Volkes stand die neue Königin im aufgewühlten Sande der Arena. Von dem Schwert in ihrer Hand tropfte das Blut ihrer Gegnerin.

Penthesilea hob die Arme und badete in ihrem Triumph, während sie auf ihr Opfer zutorkelte, vorbei an Arlanderas Rumpf. Seufzend beugte sie ihr Knie, streckte ihre Hand aus und fuhr mit ihren Fingern in das blonde, zerzauste Haar. Sie hob das Haupt auf und hielt es am gestreckten Arm in die Höhe.

Noch einmal brandete der Beifall gleich einem Sturm auf. In diesem Trubel blieb ihr trauriger Blick unbemerkt, mit dem sie nach einem letzten Lebenszeichen in den brechenden Augen suchte, und ebenso ihr Flüstern:

»... verzeih ...«

 

- Ende -

 

Mit Hilfe dieser KI-Software wurde das Beitragsbild erzeugt