In Bezug auf den römischen König, dessen priesterliche Aufgaben später vom “König der heiligen Riten” übernommen wurden, führt uns die vorherige Diskussion zu folgenden Schlussfolgerungen: Der römische König stellte eine Verkörperung des Gottes Jupiter dar – des großen Himmelsgottes, Herrschers über Donner, Blitz und Eichen. In dieser Rolle sorgte er symbolisch für Regen, Donner und Blitze, ähnlich wie andere sogenannte Wetterkönige in verschiedenen Kulturen.

Darüber hinaus imitierte der König den Eichengott durch das Tragen eines Eichenkranzes und anderer göttlicher Insignien. Zudem war er mit einer Nymphe namens Egeria verheiratet, die als Göttin der Wälder, Quellen und Geburt angesehen wurde. Egeria scheint dabei eine lokale Ausprägung der Göttin Diana gewesen zu sein.

Diese Erkenntnisse, die vor allem auf den römischen Quellen basieren, lassen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf andere latinische Gemeinschaften übertragen. Vermutlich hatten auch diese früher göttliche oder priesterliche Könige, die ihre religiösen Funktionen – jedoch ohne ihre weltlichen Befugnisse – an ihre Nachfolger, die “Könige der heiligen Riten”, weitergaben.

Wie wurde die Thronfolge im Königreich der alten latinischen Stämme geregelt? Der Überlieferung zufolge gab es insgesamt acht Könige von Rom. Bei den letzten fünf können wir davon ausgehen, dass sie tatsächlich regierten und die Grundzüge der traditionellen Berichte über ihre Herrschaft zutreffen.

Es ist bemerkenswert, dass keiner der römischen Könige unmittelbar von seinem Sohn abgelöst wurde, obwohl einige Söhne oder Enkel hinterließen. Der erste König, Romulus, soll zwar aus dem Königshaus von Alba gestammt haben, wo die Thronfolge angeblich erblich in der männlichen Linie war. Dennoch zeigen die Berichte, dass in Rom die Nachfolge anders geregelt war. Ein König war beispielsweise über seine Mutter, nicht über seinen Vater, mit einem früheren Herrscher verwandt. Drei Könige – Tatius, der ältere Tarquinius und Servius Tullius – wurden von ihren Schwiegersöhnen abgelöst, die entweder Ausländer oder ausländischer Herkunft waren.

Diese Hinweise deuten darauf hin, dass das Königtum in der weiblichen Linie vererbt wurde. Das Recht auf den Thron wurde offenbar durch Heirat mit einer königlichen Prinzessin erworben, oft durch Männer aus anderen Clans oder sogar anderen Völkern. Diese Form der Thronfolge könnte auf drei gesellschaftliche Prinzipien zurückzuführen sein, die in frühen Kulturen weit verbreitet waren: Exogamie, Beena-Ehe und weibliche Verwandtschaft (Mutterverwandtschaft).

  • Exogamie verpflichtet einen Mann, eine Frau aus einem anderen Clan zu heiraten.
  • Beena-Ehe bedeutet, dass der Mann das Haus seiner Geburt verlässt, um bei der Familie seiner Frau zu leben.
  • Weibliche Verwandtschaft beschreibt ein System, in dem die Abstammung und der Familienname über die Frauen weitergegeben werden.

Wenn diese Regeln auch bei den Latinern galten, könnte die Thronfolge so ausgesehen haben: Das politische und religiöse Zentrum jeder Gemeinschaft war das ewige Feuer auf dem königlichen Herd, das von Vestalinnen des königlichen Clans gehütet wurde. Der König selbst stammte aus einem anderen Clan, möglicherweise aus einer anderen Stadt oder einem anderen Volk. Er erlangte das Königtum durch die Heirat mit einer Tochter seines Vorgängers. Die Kinder aus dieser Verbindung erbten den Namen und die Zugehörigkeit ihrer Mutter, nicht die des Vaters.

Die Töchter des Königs blieben im Haushalt und wurden teilweise oder vollständig Vestalinnen, die dem heiligen Herdfeuer dienten. Eine von ihnen heiratete schließlich den Nachfolger ihres Vaters und setzte damit die dynastische Linie fort. Die Söhne hingegen verließen den Haushalt, heirateten und ließen sich im Land ihrer Frauen nieder – als Bürger oder als Könige.

Diese Hypothese hat den Vorteil, einige unklare Aspekte der traditionellen Geschichte des latinischen Königtums auf einfache und nachvollziehbare Weise zu erklären. So werden die Legenden, in denen latinische Könige von jungfräulichen Müttern und göttlichen Vätern geboren wurden, verständlicher. Wenn man das fantastische Element dieser Geschichten weglässt, bedeuten sie nichts anderes, als dass eine Frau von einem unbekannten Mann schwanger wurde. Diese Ungewissheit über die Vaterschaft passt besser zu einem Verwandtschaftssystem, das die Rolle des Vaters ignoriert, als zu einem, in dem die Vaterschaft von zentraler Bedeutung ist.

Falls die Väter der latinischen Könige tatsächlich unbekannt waren, könnte dies entweder auf eine allgemein lockere Moral innerhalb der königlichen Familie hinweisen oder auf besondere Gelegenheiten, bei denen die üblichen gesellschaftlichen Regeln vorübergehend außer Kraft gesetzt wurden. Solche Anlässe, bei denen Männer und Frauen für eine bestimmte Zeit zur Freizügigkeit früherer Epochen zurückkehrten, sind aus bestimmten Entwicklungsphasen vieler Kulturen bekannt. Beispiele für solche „Saturnalien“ finden sich in verschiedenen Traditionen. Selbst in unserer eigenen Kultur haben sich Spuren davon in den Bräuchen rund um den Maifeiertag, das Pfingstfest oder möglicherweise auch das Weihnachtsfest erhalten.

Kinder, die aus diesen manchmal promiskuitiven Festen hervorgingen, wurden in der Regel dem Gott zugeschrieben, zu dessen Ehren das Fest gefeiert wurde.

In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass Plebejer und Sklaven in Rom am Mittsommertag ein Fest voller Fröhlichkeit und Trunkenheit feierten. Dieses Fest war eng mit dem “feuergeborenen” König Servius Tullius verbunden und wurde zu Ehren der Göttin Fortuna abgehalten, die Servius liebte – ähnlich wie Egeria den König Numa. Zu den beliebtesten Aktivitäten während dieser Feierlichkeiten gehörten Fuß- und Bootsrennen. Der Tiber war voller blumengeschmückter Boote, auf denen junge Leute saßen, Wein tranken und das Fest genossen.

Dieses Mittsommerfest kann als eine Art Sommer-Saturnalien verstanden werden, die eine Entsprechung zu den echten Saturnalien hatten, die zur Wintersonnenwende stattfanden. In moderneren europäischen Traditionen ist das Mittsommerfest vor allem ein Fest der Liebe und des Feuers. Zu den Hauptbräuchen gehören beispielsweise Liebespaare, die Hand in Hand über Feuer springen oder Blumen in die Flammen werfen. Auch viele Liebes- und Ehe-Omen werden aus den Blumen gedeutet, die in dieser mystischen Zeit des Jahres blühen. Es ist die Zeit der Rosen und der Liebe.

Doch die heutige Romantik und Schönheit dieser Bräuche sollte uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass solche Feste in früheren Zeiten wahrscheinlich durch gröbere und derbere Riten geprägt waren. Tatsächlich haben sich solche Merkmale bei der bäuerlichen Bevölkerung Estlands bis in unsere Zeit erhalten.

Ein weiteres Merkmal des römischen Mittsommerfestes verdient besondere Beachtung: Der Brauch, in blumengeschmückten Booten auf dem Fluss zu rudern, zeigt, dass dieses Fest auch eine Verbindung zum Wasser hatte. Wasser spielt seit jeher eine zentrale Rolle in den Riten des Mittsommertages. Dies könnte erklären, warum die Kirche das alte heidnische Fest später mit dem Namen des heiligen Johannes des Täufers verknüpfte, als sie es in ihre Traditionen aufnahm.

Die Hypothese, dass die latinischen Könige während eines jährlichen Liebesfestes gezeugt wurden, bleibt spekulativ. Dennoch könnte die traditionelle Erzählung von Numas Geburt während des Festes der Parilien – bei dem Hirten über Frühlingsfeuer sprangen, ähnlich wie Liebende über Mittsommerfeuer springen – ein schwacher Hinweis auf diese Möglichkeit sein.

Es ist jedoch ebenso denkbar, dass die Ungewissheit über die Vaterschaft der Könige erst lange nach ihrem Tod entstand. Als ihre Gestalten in den Bereich der Mythen übergingen, könnten sie mit fantastischen Geschichten ausgeschmückt worden sein, um ihre Ursprünge zu verherrlichen. Wenn diese Könige in Wahrheit fremde Einwanderer oder Pilger waren, die in dem Land herrschten, wäre es verständlich, dass ihre tatsächliche Abstammung in Vergessenheit geriet. In solchen Fällen neigte die Fantasie der Menschen dazu, ihre Herkunft mit glorreicheren, göttlichen Erzählungen auszugestalten, um das Fehlen von Fakten durch Pracht zu ersetzen.

Die endgültige Vergöttlichung dieser Könige, bei der sie nicht nur als von Göttern abstammend, sondern als selbst göttliche Inkarnationen dargestellt wurden, hätte sicherlich an Überzeugungskraft gewonnen, wenn sie zu Lebzeiten tatsächlich Anspruch auf Göttlichkeit erhoben hätten – ein Anspruch, der, wie einige Hinweise nahelegen, durchaus bestanden haben könnte.

Wenn bei den Latinern die Frauen königlichen Geblüts stets in ihrer Heimat blieben und Männer aus anderen Clans oder sogar aus fremden Ländern heirateten, die durch diese Verbindung als Könige regierten, erklärt sich nicht nur, warum Fremde in Rom die Krone trugen, sondern auch, warum in der Liste der Könige von Alba ausländische Namen auftauchen.

In einer Gesellschaft, in der der Adel ausschließlich durch die Mutterlinie bestimmt wird – das heißt, wo die Abstammung von der Mutter alles zählt und die vom Vater keine Rolle spielt – gibt es keinen Grund, Mädchen von hohem Rang nicht mit Männern von bescheidener Herkunft, Fremden oder sogar ehemaligen Sklaven zu verheiraten. Entscheidend ist allein, dass die Männer als geeignete Partner angesehen werden.

Das wichtigste Ziel ist der Fortbestand des königlichen Geschlechts, von dem der Wohlstand und die Existenz der Gemeinschaft abhängen. Dafür müssen die Frauen der königlichen Familie Kinder von Männern bekommen, die nach den Maßstäben dieser frühen Gesellschaft körperlich und geistig geeignet sind, diese bedeutende Aufgabe zu erfüllen. Die persönlichen Eigenschaften der Könige – ihre Stärke, Intelligenz und Leistungsfähigkeit – werden daher als entscheidend angesehen.

Wenn die Könige zusätzlich, wie ihre Gemahlinnen, königlicher oder sogar göttlicher Abstammung sind, ist das ein Vorteil. Doch es ist nicht zwingend erforderlich, dass sie diesen Status besitzen.

In Athen wie in Rom finden wir Spuren der Thronfolge durch Heirat mit einer königlichen Prinzessin; denn zwei der ältesten Könige von Athen, nämlich Cecrops und Amphictyon, sollen die Töchter ihrer Vorgänger geheiratet haben. Diese Tradition wird bis zu einem gewissen Grad durch Beweise bestätigt, die darauf hindeuten, dass in Athen der männlichen Verwandtschaft die weibliche Verwandtschaft vorausging.

Wenn meine Annahme korrekt ist, dass im antiken Latium die königlichen Familien ihre Töchter zu Hause behielten und ihre Söhne aussandten, um Prinzessinnen zu heiraten und in den Ländern ihrer Frauen zu regieren, ergibt sich daraus, dass die männlichen Nachkommen über mehrere Generationen hinweg in verschiedenen Königreichen herrschten. Dieser Brauch scheint sowohl im antiken Griechenland als auch im antiken Schweden verbreitet gewesen zu sein. Daraus lässt sich ableiten, dass eine solche Tradition von mehreren Zweigen der indogermanischen Völker Europas praktiziert wurde.

Viele griechische Überlieferungen berichten von Prinzen, die ihre Heimat verließen, in ferne Länder zogen, eine Königstochter heirateten und dann die Herrschaft in ihrem neuen Königreich übernahmen. Die antiken griechischen Schriftsteller führen diese Wanderungen der Prinzen auf verschiedene Gründe zurück, wobei ein häufiger Grund die Verbannung wegen Mordes ist. Diese Erklärung mag plausibel erscheinen, um zu begründen, warum ein Prinz sein eigenes Land verlassen musste, doch sie liefert keinen nachvollziehbaren Grund, warum er in einem fremden Land König werden sollte. Vermutlich sind solche Erklärungen spätere Ergänzungen von Schriftstellern, die – geprägt von der Vorstellung, dass ein Sohn das Erbe seines Vaters antreten sollte – Schwierigkeiten hatten, die Überlieferungen von Prinzen zu verstehen, die ihre Heimat verließen, um in einem fremden Königreich zu herrschen.

Ähnliche Traditionen finden sich in der skandinavischen Überlieferung. So gibt es Berichte über Schwiegersöhne von Königen, die einen Teil der Reiche ihrer königlichen Schwiegerväter erhielten, selbst wenn diese Schwiegerväter eigene Söhne hatten. Ein bemerkenswertes Beispiel liefert die Geschichte der Ynglingar-Familie, die angeblich aus Schweden stammt. Laut der Heimskringla und anderen Sagen der norwegischen Könige erhielten männliche Mitglieder dieser Familie, insbesondere in den fünf Generationen vor Harald Schönhaar, mindestens sechs norwegische Provinzen durch Heirat mit den Töchtern örtlicher Könige.

Es scheint, dass es bei einigen germanischen Völkern in einer bestimmten Phase ihrer gesellschaftlichen Entwicklung üblich war, Frauen und nicht Männer als die Träger des königlichen Blutes anzusehen. Das Königreich wurde in jeder Generation an einen Mann aus einer anderen Familie – oft sogar aus einem anderen Land – weitergegeben, der eine Prinzessin heiratete und anschließend über das Volk seiner Frau regierte.

Eine verbreitete Art von Volksmärchen, in denen ein Abenteurer in ein fremdes Land reist, die Hand der Königstochter gewinnt und mit ihr das halbe oder ganze Königreich erhält, könnte durchaus eine Erinnerung an diesen tatsächlichen Brauch sein.

In Gesellschaften, in denen solche Bräuche und Vorstellungen vorherrschen, wird das Königtum offensichtlich als eine Ergänzung zur Heirat mit einer Frau königlichen Geblüts betrachtet. Der dänische Historiker Saxo Grammaticus drückt diese Auffassung deutlich durch die Worte von Hermutrude aus, einer legendären Königin Schottlands. Er schreibt:

„Sie war tatsächlich eine Königin, und hätte ihr Geschlecht es erlaubt, hätte man sie einen König nennen können. Nein, mehr noch – wer auch immer als würdig angesehen wurde, mit ihr zu schlafen, wurde sofort zum König, denn sie gab ihr Königreich gemeinsam mit sich selbst hin. Ihr Zepter und ihre Hand gingen Hand in Hand.“

Diese Aussage ist besonders bemerkenswert, da sie offenbar die tatsächliche Praxis der piktischen Könige widerspiegelt. Wie aus den Schriften Bedas hervorgeht, wählten die Pikten ihre Könige nicht aus der männlichen, sondern aus der weiblichen Linie, wenn Unklarheiten über die Thronfolge bestanden.

Die persönlichen Eigenschaften, die einen Mann für eine königliche Allianz und die Thronfolge empfahlen, variierten natürlich je nach den Vorstellungen der Bevölkerung zu dieser Zeit. Aber es ist anzunehmen, dass in der frühen Gesellschaft körperliche Stärke und Schönheit eine herausragende Rolle spielten.

Manchmal wurde das Recht auf die Heirat mit einer Prinzessin und die Thronfolge offenbar durch ein Wettlauf entschieden. So wählten die alitemnischen Libyer ihren König aus, indem sie das Königreich dem schnellsten Läufer zusprachen.

Ähnliche Bräuche gab es bei den alten Preußen: Anwärter auf den Adel ritten auf Pferden zum König, und derjenige, der ihn zuerst erreichte, wurde geadelt.

Auch in der griechischen Überlieferung finden sich solche Wettkämpfe. Die ersten Spiele in Olympia sollen der Legende nach von Endymion veranstaltet worden sein, der seine Söhne in einem Rennen um die Königswürde gegeneinander antreten ließ. Sein Grab soll sich an der Startlinie der Rennbahn befunden haben.

Die bekannte Geschichte von Pelops und Hippodamia könnte ebenfalls eine Variante dieser Tradition sein: Sie deutet darauf hin, dass die ersten olympischen Rennen um nichts Geringeres als ein Königreich ausgetragen wurden.

Diese Traditionen könnten auf einen tatsächlichen Brauch zurückgehen, bei dem ein Rennen um eine Braut stattfand. Solche Sitten scheinen bei verschiedenen Völkern verbreitet gewesen zu sein, auch wenn sie später oft zu reinen Symbolhandlungen oder Vorwänden wurden. Ein Beispiel ist das sogenannte „Love Chase“, eine Heiratszeremonie der Kirgisen: Die Braut reitet, bewaffnet mit einer Peitsche, auf einem schnellen Pferd davon, während alle jungen Männer, die um ihre Hand anhalten, sie verfolgen. Derjenige, der sie einholt, darf sie heiraten. Die Braut hat dabei jedoch das Recht, ihr Pferd bis zur Erschöpfung zu treiben und ihre Peitsche mit Nachdruck einzusetzen, um unerwünschte Verehrer abzuwehren. Meist bevorzugt sie denjenigen, den sie bereits in ihrem Herzen gewählt hat.

Ein ähnlicher Brauch existiert bei den Koryaken in Nordostasien. Hier findet das Rennen in einem großen Zelt statt, das von mehreren kleinen Kammern, sogenannten Pologs, in einem Kreis umgeben ist. Das Mädchen versucht, durch alle Kammern zu rennen, ohne vom Bräutigam gefangen zu werden. Gelingt ihr das, ist sie von der Ehe befreit. Die Frauen des Lagers helfen ihr dabei, indem sie dem Mann Hindernisse in den Weg stellen, ihn mit Ruten schlagen oder Fallen legen. Es ist für ihn fast unmöglich, sie zu fangen – es sei denn, das Mädchen wünscht es und wartet bewusst auf ihn.

Ähnliche Bräuche scheinen bei allen germanischen Völkern verbreitet gewesen zu sein, da die deutsche, angelsächsische und nordische Sprache ein gemeinsames Wort für Heirat haben, das übersetzt „Brautrennen“ bedeutet. Spuren dieser Tradition haben sich bis in die Neuzeit erhalten.

Es scheint, dass das Recht, ein Mädchen – insbesondere eine Prinzessin – zu heiraten, häufig als Preis in einem sportlichen Wettkampf vergeben wurde. Daher wäre es naheliegend, dass die römischen Könige diese alte Tradition nutzten, um die Fähigkeiten ihrer zukünftigen Schwiegersöhne und Nachfolger zu prüfen, bevor sie ihre Töchter verheirateten.

Wenn meine Theorie zutrifft, stellten der römische König und die Königin die Götter Jupiter und Juno dar und führten als solche jährlich die Zeremonie einer heiligen Hochzeit durch. Diese sollte das Wachstum der Feldfrüchte sowie die Fruchtbarkeit und Vermehrung von Mensch und Tier fördern. Ähnlich könnte man in nördlicheren Regionen vom sogenannten Maikönig und der Maikönigin angenommen haben, dass sie einst ähnliche Rituale ausführten.

Wir haben gesehen, dass das Recht, die Rolle des Maikönigs zu übernehmen und die Maikönigin zu heiraten, manchmal durch einen Wettkampf – oft ein Rennen – bestimmt wurde. Dies könnte ein Überbleibsel eines alten Heiratsbrauchs sein, der dazu diente, die Eignung eines Kandidaten zu prüfen. Ein solcher Test wäre für einen König besonders wichtig gewesen, um sicherzustellen, dass er körperlich und charakterlich geeignet war, die heiligen Riten und Zeremonien zu vollziehen. Von diesen Ritualen hing das Wohlergehen der Gemeinschaft oft mehr ab als von seinen zivilen oder militärischen Aufgaben.

Es wäre daher plausibel, den König regelmäßig solchen Prüfungen zu unterziehen, um öffentlich zu bestätigen, dass er seiner hohen Verantwortung weiterhin gewachsen war. Ein Überrest solcher Prüfungen könnte sich in der Zeremonie erhalten haben, die als „Flucht des Königs“ (regifugium) bekannt ist und bis in die Kaiserzeit hinein jährlich in Rom begangen wurde.

Am 24. Februar fand im Comitium ein Opfer statt, nach dessen Vollendung der König der heiligen Riten vom Forum floh. Ursprünglich könnte diese „Flucht“ ein Rennen um die Königswürde gewesen sein, bei dem der schnellste Läufer die Herrschaft für ein Jahr gewann. Am Ende des Jahres musste der König möglicherweise erneut antreten, um seine Position zu verteidigen. Wenn er besiegt wurde, verlor er seine Krone – und vielleicht auch sein Leben – an den erfolgreicheren Konkurrenten.

Mit der Zeit könnte sich dieser Brauch gewandelt haben. Ein besonders durchsetzungsstarker Herrscher mag es geschafft haben, sich dauerhaft auf dem Thron zu halten und das einstige Rennen in eine rein symbolische Zeremonie zu verwandeln, wie es später der Fall war.

Manchmal wurde das regifugium als Erinnerung an die Vertreibung der Könige aus Rom interpretiert, doch dies scheint eine spätere Erklärung gewesen zu sein, um die Bedeutung eines längst vergessenen Rituals zu rechtfertigen. Es ist wahrscheinlicher, dass der König der heiligen Riten eine uralte Tradition fortführte, die bereits in der Königszeit regelmäßig ausgeführt wurde.

Die ursprüngliche Absicht dieses Ritus bleibt jedoch unklar und bietet Raum für Spekulationen. Die hier vorgeschlagene Interpretation erfolgt mit dem Bewusstsein, dass dieses Thema mit vielen Unsicherheiten verbunden ist.

Wenn meine Theorie zutrifft, war die jährliche „Flucht des römischen Königs“ ein Überbleibsel aus einer Zeit, in der das Königtum ein jährlich neu vergebenes Amt war. Dieses Amt, verbunden mit der Heirat einer Prinzessin, wurde dem siegreichen Athleten oder Gladiator verliehen. Anschließend traten der neue König und seine Braut als Gott und Göttin bei einer heiligen Hochzeit auf, die durch symbolische Magie die Fruchtbarkeit der Erde sichern sollte.

Sollte es stimmen, dass die frühen latinischen Könige göttliche Rollen verkörperten und regelmäßig rituell getötet wurden, lassen sich die Berichte über die gewaltsamen oder mysteriösen Todesfälle vieler dieser Herrscher besser verstehen. So erzählt die Überlieferung, dass einer der Könige von Alba vom Blitz erschlagen wurde, weil er Jupiters Donner angeblich auf gotteslästerliche Weise imitiert hatte.

Auch Romulus, der legendäre Gründer Roms, verschwand auf mysteriöse Weise. Einige behaupten, er sei von den Patriziern, die er beleidigt hatte, in Stücke gerissen worden. Sein Todestag, der 7. Juli, wurde später mit einem Fest begangen, das Ähnlichkeiten mit den Saturnalien aufwies. An diesem Tag genossen Sklavinnen außergewöhnliche Freiheiten: Sie verkleideten sich als freie Frauen, trugen die Kleidung von Matronen und Mägden, verließen die Stadt in dieser Verkleidung und verspotteten jeden, dem sie begegneten. Außerdem lieferten sie sich untereinander Kämpfe, in denen sie sich schlugen und mit Steinen bewarfen.

Ein weiterer römischer König, der durch Gewalt starb, war Tatius, der sabinische Mitregent von Romulus. Der Legende nach wurde er in Lavinium während eines Opfers von Männern getötet, denen er zuvor zu nahegetreten war. Diese Männer rissen Opfermesser und Spieße vom Altar und brachten ihn damit um. Die Umstände seines Todes deuten darauf hin, dass es sich weniger um ein Attentat, sondern vielmehr um ein rituelles Opfer handeln könnte.

Auch Tullus Hostilius, der Nachfolger von Numa, soll der Überlieferung nach vom Blitz erschlagen worden sein. Andere jedoch vermuteten, dass er auf Veranlassung seines Nachfolgers Ancus Marcius ermordet wurde.

Über Numa selbst, der als Priesterkönig gilt, schreibt Plutarch: „Sein Ansehen wuchs durch das tragische Schicksal seiner Nachfolger. Von den fünf Königen, die nach ihm regierten, wurde der letzte abgesetzt und ins Exil geschickt, während keiner der anderen vier eines natürlichen Todes starb. Drei von ihnen wurden ermordet, und Tullus Hostilius wurde vom Blitz erschlagen.“

Dieser Bericht deutet darauf hin, dass der Tod römischer Könige oft mit ihrer göttlichen Rolle und den damit verbundenen Ritualen verknüpft war.

Diese Legenden vom gewaltsamen Ende der römischen Könige deuten darauf hin, dass der Wettstreit, durch den sie den Thron erlangten, manchmal eher ein tödlicher Kampf als ein Wettlauf gewesen sein könnte. Wenn dem so wäre, wäre die Analogie zwischen Rom und Nemi noch enger. An beiden Orten wären die heiligen Könige, die lebenden Vertreter der Gottheit, somit der Gefahr ausgesetzt, von jedem entschlossenen Mann, der sein göttliches Recht auf das heilige Amt durch den starken Arm und das scharfe Schwert beweisen konnte, abgesetzt und getötet zu werden.

Es wäre nicht überraschend, wenn unter den frühen Latinern der Anspruch auf das Königreich oft durch einen Einzelkampf entschieden worden wäre. Bis in die historische Zeit hinein unterwarfen die Umbrer ihre privaten Streitigkeiten regelmäßig der Prüfung durch den Kampf. Wer seinem Gegner die Kehle durchschnitt, hatte damit die Gerechtigkeit seiner Sache über jeden Zweifel erhaben bewiesen.

 

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