Eduard Suess
DAS ANTLITZ DER ERDE
Erster Band
(Zweite Auflage 1892)

B. Neuere Vorgänge an den ostindischen Flüssen

Hasis-Adra bringt das Opfer dar; wie Fliegen sammeln sich die Götter über demselben und saugen den wohlriechenden Duft ein. Und die Menschenmutter Istar, nachdem sie die grossen Bogen (?) aufgerichtet, schwört nimmer zu vergessen dieser Tage, und der weise Ea ermahnt Bel, er möge auf den Sünder fallen lassen seine Sünde und auf den Frevler seinen Frevel, aber eine Sintfluth (abûbu) möge er nicht mehr anrichten. Löwen mögen kommen, und Hyänen mögen kommen, und Hungersnoth und Pest, um die Menschen zu vermindern, aber die Sintfluth möge nicht wiederkehren.

Auch Noah bringt sein Opfer dar, und Jahveh riecht den angenehmen Duft und verspricht in seinem Herzen, keine allgemeine Vertilgung mehr folgen zu lassen.

Von Elohim wird der Bogen in das Gewölke gesetzt und der Bund des Friedens aufgerichtet für alle Zeiten mit dem Menschen und aller lebenden Creatur.

Und die Euphratniederung, obwohl häufig noch von Erderschütterungen heimgesucht, ist in den letzten Jahrtausenden in der That der Schauplatz solcher Ueberfluthung nicht wieder gewesen. Die Flussmündungen sind durch Verlandung vorgeschoben, die befruchtenden Canäle vertrocknet, das Land ist verödet; an Babel sind die grässlichen Prophezeiungen Jeremiah's in Erfüllung gegangen, die stolzen Königsstädte sind zu formlosen Trümmerhaufen geworden, aber eine Sintfluth ist nicht wieder über dieses Land gekommen.

In den Niederungen anderer grosser Ströme sieht man jedoch in unseren Tagen noch oft das Wirken der Anunnaki und fühlt den Zorn des furchtbaren Rammân. Darum verlassen wir nun die Ueberlieferungen der Vergangenheit und wenden wir uns den Erlebnissen der Gegenwart zu.

Bei allen Völkern galten von jeher die Quellen als begnadete Orte, und in wasserarmen und heissen Gegenden in noch höherem Grade als im Norden. Aber die Vorgänge der Verdunstung und der Infiltration waren unbekannt, und in mannigfaltiger Weise suchte man ihre Speisung zu erklären. Man sah auch den Wasserspiegel der Brunnen unter der Ebene. Das sind die ,Wässer der Tiefe', welche aufbrechen und hervorsteigen bei Erderschütterungen, und indem sie sich an der Oberfläche entleeren, sinkt wohl auch ein beträchtliches Stück dieser Oberfläche in den durch die Entleerung entstehenden Hohlraum. So entstand, wie wir früher sahen, der neue Wasserspiegel auf der Stelle der Burjätenniederlassung in der Nähe des Baikal.

Im grössten Maassstabe ist dieses Hervorbrechen des Grundwassers und das Einsinken des Bodens in dem oft von Erderschütterungen heimgesuchten unteren Flussgebiete des Indus eingetreten.

Dieses Beispiel wollen wir zuerst betrachten.

Die Mündungen des Indus nehmen den weiten, flachen Theil der Küste zwischen Kurrachi im Nordwesten und Lukput im Südosten in Anspruch. Dieses Tiefland ist an der rechten Seite begrenzt durch die Höhenzüge, welche vom Khirthargebirge bis Cap Monze bei Kurrachi sich fortsetzen. Noch unter Haiderabad, bei Jerruck, und noch zwischen Tatta und Pirputta treten von diesem Gebirge her Felsmassen an den Strom und halten ihn fest, während schon weit oberhalb dieser Punkte grosse Arme von der linken Seite abgegangen sind. Die Frage, wohin unter solchen Verhältnissen das Haupt des Delta's zu verlegen sei, kann daher auf verschiedene Weise beantwortet werden, und wenn man es nach Tatta verlegt, umfasst man nur einen verhältnissmässig geringen Theil des weiten Schwemmlandes, welches unter dem Einflüsse dieses gewaltigen und an Sinkstoffen sehr reichen Stromes aufgebaut worden ist.

Die Mündung des Hauptstromes steht, wie Tremenheere gezeigt hat, unter dem Einflüsse von vorherrschend gegen Nordwest gerichteten Bewegungen des Meeres, so dass ein Theil seiner Sedimente bis in die unmittelbare Nähe von Kurrachi getragen wird. Die Mündung selbst ist nach derselben Richtung abgelenkt. Zahlreiche trockene Gerinne zwischen dem sehr weit oberhalb abzweigenden Narra und dem Indus deuten darauf hin, dass der gesammte Abfluss und mit ihm die Ausbildung des Delta's mehr und mehr gegen Nordwest gerückt worden sind.(45)

Cunningham schreibt dieses Drängen aller Flussläufe des Penjâb nach rechts der Rotation der Erde zu und stellt den Zeitpunkt des Verlassens des Narrabettes in's Jahr 680 n. Chr. Im Jahre 711 n. Chr. war der Hauptstrom bereits bei Rori in sein heutiges Bett eingegraben, er floss aber damals noch östlich von Haiderabad und erst um das Jahr 1592 scheint er sich westlich von dieser Stadt sein Bett gewählt zu haben. (46)

In der Niederung des Indus sind grosse und volkreiche Städte die Opfer von Naturereignissen geworden. Mit Tausenden von Einwohnern wurden sie wohl öfters binnen wenigen Augenblicken zerrüttet, und die Vernichtung der Bewässerungsanlagen oder die Ablenkung des Flusslaufes überhaupt verhinderte die Wiederaufrichtung durch die Ueberlebenden. Nach Jahrhunderten trifft dann der Reisende auf ausgedehnte Ruinen und auf die figurenreichen Bildwerke einer verlassenen Hauptstadt, an dem trockenen Gerinne des abgelenkten Flusses, und die Ergründung auch nur ihres Namens mag schon das Ziel des Ehrgeizes unserer Alterthumsforscher werden.

,Ich reiste,' schrieb Ibn Batuta im Jahre 1333 unserer Zeitrechnung, , durch Sind zu der Stadt Lâhari, welche an den Küsten des Indischen Meeres gelegen ist, wo der Sind (Indus) sich mit demselben vereinigt. Sie hat einen grossen Hafen, in welchem Schiffe aus Persien, Yemen und aus anderen Gegenden anlegen. Wenige Meilen von dieser Stadt sind die Ruinen einer anderen Stadt, in welcher Steine in der Gestalt von Menschen und Thieren in fast unzähliger Menge angetroffen werden. Das Volk dieses Ortes sagt, es sei die Ansicht seiner Geschichtsschreiber, dass einstens an dieser Stelle eine Stadt gestanden sei, deren Einwohner zum grössten Theile so sündhaft gewesen seien, dass Gott sie, ihre Thiere, ihre Pflanzen und sogar die Samen in Stein verwandelte; und in der That sind die Steine in Gestalt von Samen hier beinahe zahllos.' Hier werden Nummulitenkalk und Sculpturen zusammengestellt. Es sind wahrscheinlich die Reste des berühmten Hafenortes Debal gemeint, welcher zwischen Kurrachi und Tatta lag.

Die Nachricht von solchen Städten ist vielfach gegen West und Nordwest gedrungen, und manche Uebereinstimmung mit localen Sagen lässt vermuthen, dass Zobeide's Erzählung in »Tausend und Eine Nacht', dass sie, von Bassora absegelnd, nach zwanzig Tagen in dem Hafen einer grossen Stadt Indien's gelandet sei und dort den König, die Königin und alles Volk in Stein verwandelt gefunden habe, sich auf eine der bildreichen zerstörten Städte des Indus-Delta's, vielleicht auf dasselbe Debal beziehe."

Viel weiter im Lande, nordöstlich von Haiderabad, besuchten im Jahre 1854 Bellasis und Richardson die Ueberreste von Brahminabad, an dem trockenen Bette des Narra, einst einer weitläufigen und volkreichen, aus gebrannten Ziegeln erbauten Stadt, jetzt ein weiter Trümmerhaufe, aus dessen Mitte noch der untere Theil eines gewaltigen Rundthurmes aufragt. Offene Plätze, die Lage des Bazar's sind noch kennbar, und die ersten Aufgrabungen haben Skelete von Einwohnern in ihren Häusern, Münzen und Cameen, Bildhauerwerke, welche hier der Zerstörungswuth islamitischer Ikonoklasten entgangen waren, ja sogar kunstvoll gearbeitete Schachfiguren unter der wohl nahezu tausendjährigen Schuttdecke enthüllt. Die vollkommene Zerrüttung sehr starker Bauwerke, die Abwesenheit von Brandspuren, die Reste der Einwohner selbst und ihrer Habseligkeiten bestätigen die Sage, nach welcher die Stadt plötzlich durch ein Erdbeben zerstört worden ist.(48)

An dem östlichsten der alten Arme des Indus, dem Khori, nahe seiner Mündung, liegt die Stadt Lukput. Hier endet der von Südost her längs der Küste sich hinstreckende Höhenzug von Kachh, welcher den Ran of Kachh, eine südöstliche Erweiterung des Flachlandes der Mündungen, vom Meere abtrennt.

Die unübersehbare Ebene des Ran ist bald bei Südwest-Monsun von Lukput her mit Salzwasser überdeckt, bald bei Hochwässern im Indusgebiete durch die Gerinne des Bunass oder des Luni von Süsswasser überfluthet, bald weithin trocken und dann mit grossen, blendend weissen Salzflecken überstreut.

Wynne, welcher die geologische Karte von Kachh entworfen hat, schildert in anschaulichen Worten den belastenden Hindruck des Schweigens und der Einöde im Ran, in welchem ausser etwa selten einmal einer flüchtigen Heerde wilder Esel, kein lebendes Wesen sichtbar wird und die Luft sich erfüllt mit den wunderbarsten Spiegelungen(49)

Der dem Sanskrit entlehnte Name selbst zeigt das hohe Alter, denn Kachchha bezeichnet einen Sumpf und Irina (Ran) eine Salzwüste. Der grosse chinesische Reisende Hwen Tsang, welcher im Jahre 641 n. Chr. in Sind war, beschreibt diese Gegend bereits als niedrig, feucht und den Boden als mit Salz erfüllt.(50)

Die wunderbaren Luftspiegelungen des Ran sind die Quelle vieler Legenden und Zaubermärchen geworden. Die Eingebornen sehen in denselben das Trugbild der Besitzungen eines frommen Königes, dem es gelungen war, so vollständig ein goldenes Zeitalter der Tugend wiederherzustellen, dass seine Hauptstadt, alles Unreinen entledigt, allmälig selbst sich zum Himmel erhob. In einem entlegenen Hause jedoch war ein unreines Thier, ein wilder Esel, vergessen worden, der durch Wiehern seine Gegenwart verrieth. Das Emporschweben der Stadt wurde unterbrochen, und seither schwebt sie über dem Ran zwischen Himmel und Erde.(51)

Dieser Ran of Kachh wurde im Jahre 1819 von einer gewaltigen Erderschütterung betroffen, welche von vielbesprochenen Veränderungen der Erdoberfläche begleitet war. Ich folge bei der Besprechung derselben zunächst wörtlich der von Alex. Burnes gegebenen Schilderung der thatsächlichen Vorgänge, auf welche sich auch die von Lyell gegebene Beschreibung stützt.(52)

Vor der Schlacht von Jarra, im Jahre 1762, sagt Burnes, in welcher die Einwohner von Kachh sich muthig gegen eine Armee aus Sind unter Ghulam Schah Kulora vertheidigten, mündete der östliche Arm des Indus, gewöhnlich der Phurraun genannt, in das Meer, indem er an den westlichen Küsten von Kachh vorbeifloss, und das Land an seinen Ufern genoss die Vortheile, welche dieser Fluss durch seinen ganzen Lauf spendet. Seine jährlichen Ueberfluthungen bewässerten den Boden und lieferten reiche Ernten von Reis; diese Uferlandschaften waren damals unter dem Namen ,Sayra' bekannt.

Diese Segnungen, welche die Natur der sonst unfruchtbaren Gegend verliehen hatte, erreichten ihr Ende mit der Schlacht von Jarra, denn der Häuptling aus Sind, erzürnt über den Misserfolg seines Feldzuges, kehrte voll Rachegefühl in sein Land zurück und versetzte den tiefsten Nachtheil dem Lande, welches zu unterjochen ihm nicht gelungen war. Bei dem Dorfe Mora warf er einen Damm von Erde, oder, wie es genannt wird, einen ,Bund' auf, quer über jenen Arm des Indus, welcher Kachh befruchtete ; indem er so den Strom ablenkte, welcher den Einwohnern so sehr zu statten gekommen war, und indem er ihn in andere Gerinne führte, in öde Theile der eigenen Besitzungen, zerstörte er zugleich eine weite und reiche Strecke bewässerten Landes und verwandelte er eine productive Reisgegend, welche zu Kachh gehört hatte, in eine sandige Wüste.

Der aufgeworfene Damm schloss nicht gänzlich das Wasser des Indus von Kachh ab, hinderte jedoch so sehr die Bewegung des Hauptstromes, dass aller Ackerbau, welcher von der Bewässerung abhing, ein Ende fand. Im Laufe der Zeit verschwand auch dieser geringe Rest von Wohlstand; die Talpur's, welche den Kalora's in der Herrschaft über Sind folgten, warfen neue Dämme auf, und um das Jahr 1802 wurden durch die Errichtung eines solchen zu Ali Bunder alle Wässer des Indus, selbst zur Zeit der Hochwässer, von dem Canale abgeschlossen, welcher sie einst an Kachh vorüber zum Meere geführt hatte. Nun hörte jener Streifen Landes, welcher vormals den fruchtbaren District von Sayra gebildet hatte, auf, auch nur einen Halm von Pflanzenwuchs zu liefern, und wurde ein Theil des Ran, an den er früher gegrenzt hatte. Der Canal des Flusses bei der Stadt Lukput wurde seichter, und oberhalb Sindree füllte er sich mit Schlamm und vertrocknete. Tiefer unten verwandelte er sich in einen Arm des Meeres.

Unter diesen Verhältnissen, erzählt Burnes weiter, erfolgte im Juni 1819 ein heftiger Erdstoss, durch welchen Hunderte von Einwohnern getroffen wurden und jeder befestigte Punkt im Lande in seinen Grundvesten erschüttert wurde. Es bildeten sich im Ran zahlreiche Spalten, aus welchen durch drei Tage ungeheure Massen von schwarzem, schlammigen Wasser hervortraten, und aus den Brunnen des an den Ran grenzenden Landstriches Bunni sprudelte das Wasser hervor, bis ringsum das Land bis zu 6, ja selbst 10 Fuss hoch überfluthet war.(53)

Gegen Sonnenuntergang wurde der Stoss zu Sindree, der Zollstation von Kachh, gefühlt, welche an der Hauptstrasse nach Sind und an den Ufern dessen lag, was vor Zeiten der östliche Arm des Indus gewesen war. Dieses kleine, aus Ziegeln erbaute Fort von 150 Fuss im Gevierte wurde durch einen vom Ocean herfluthenden Wasserstrom überwältigt, welcher sich nach allen Richtungen ausbreitete und dieselbe Strecke, welche bisher hart und trocken gewesen war, im Laufe weniger Stunden in einen Binnensee verwandelte, der sich von Sindree nach jeder Richtung 17 Miles weit ausdehnte. . . . Bald entdeckte man jedoch, dass dies nicht die einzige Aenderung in dieser denkwürdigen Convulsion der Natur sei, da die Einwohner von Sindree in einer Entfernung von beiläufig 5 Miles gegen Nord einen Damm (a mound) von Erde oder Sand bemerkten, an einer Stelle, wo zuvor der Boden eben und niedrig gewesen war. Er erstreckte sich auf eine beträchtliche Strecke gegen Ost und gegen West und durchcjuerte unmittelbar den Canal des Indus, gleichsam für immer den Phurraunfluss abtrennend vom Meere. Die Eingebornen nannten diesen Damm , Ullah-bund' oder den Damm Gottes, mit Bezug darauf, dass er nicht wie die anderen Dämme des Indus von Menschenhand, sondern von der Natur aufgeworfen war. . . .

Diese wunderbaren Ereignisse gingen vorläufig wenig beachtet vorüber, denn der tiefe Nachtheil, welcher Kachh im Jahre 1762 zugefügt worden war, hatte diesen Theil des Landes schon so gänzlich zu Grunde gerichtet, dass es gleichgiltig war, ob derselbe eine Wüste bleibe oder sich in einen See verwandle. Ein schwacher und erfolgloser Versuch wurde von Kachh aus gemacht, ein Zollamt auf dem neu gebildeten , Ullah-bund' zu errichten, aber die Emire von Sind erhoben Einsprache, und da Sindree nicht länger haltbar war, wurden die Beamten auf das Festland von Kachh zurückgezogen.

So verblieben die Dinge bis zum Monate November 1826, als Nachricht einlangte, dass der Indus seine Ufer im oberen Sind durchbrochen habe, und dass eine ausserordentlich grosse Wassermenge sich über die Wüste, welche dieses Land ostwärts begrenzt, ausgebreitet, alle Dämme gesprengt und sich den Weg bis zum Ran of Kachh erzwungen habe. Im März 1827, also 8 Jahre nach dem Erdbeben, reiste nun Burnes von Bhooj, der Hauptstadt von Kachh, über Lukput, zu Wasser aufwärts zu jener weiten Wasserfläche, welche die Ruinen von Sindree umgab.

Der wichtigste Theil des weiteren Berichtes von Burnes ist die Beschreibung des Ullah-bund. Dem Auge erschien derselbe an einer Stelle nicht höher als an einer anderen und er Hess sich nach Ost und nach West so weit verfolgen, als das Äuge reichte; die Eingebornen gaben an, dass seine Länge 50 Miles betrage. ,Man darf sich denselben jedoch,' so sagt ausdrücklich Burnes, , nicht als einen schmalen Streifen,wie einen künstlichen Damm vorstellen, da er sich landeinwärts bis Raomaka-bazar ausdehnt, wohl in einer Breite von 16 Miles, und er schien eine grosse Erhebung der Natur zu sein. Die Oberfläche war mit salzreichem Boden bedeckt, und er besteht aus Thon, Muscheln und Sand…'

So weit Burnes. Der Ullah-bund ist seither öfters besucht worden; seine Höhe wurde auf 10, 15, 18 und sogar auf 20 1/2 Fuss bemessen, aber Wynne bemerkt, dass sich die Angaben auf die Höhe über dem wechselnden Wasserstande an seinem Fusse beziehen. Die Beobachter stimmen in dem entscheidenden Punkte überein, dass der Ullah-bund überhaupt nur von Süden her den Anblick eines Dammes biete, gegen Nord aber gar kein oder so gut wie kein Gefalle habe, und dass sich eine Nordseite desselben überhaupt in keiner Weise kenntlich mache.

Der Ullah-bund ist demnach gar kein Damm, sondern nur eine plötzliche Abstufung des Bodens.

Das oberhalb dieser Abstufung gelegene, angeblich gehobene Land hat eben keine Veränderung erfahren. Mit vollem Rechte hebt Wynne hervor, dass es bei einer irgend bemerkenswertheren Erhebung dieses Landstriches den Hochfluthen des Indus im Jahre 1826 unmöglich gewesen wäre, das seit dem Jahre 1762 abgedämmte Bett des Phurraunarmes wieder zu verfolgen und quer durch den Ullah-bund die Senkung von Sindree und die Mündung unterhalb Lukput zu erreichen. (54)

Das Land südlich vom Ullah-bund mit dem Fort von Sindree ist demnach zugleich mit einem grossen Austritte von Grundwasser während des Erdbebens von 1819 eingesunken; der Ullah-bund ist eine scharfe Abstufung des Schwemmlandes, welche die Grenze der Einsenkung bezeichnet; oberhalb des UUah-bund ist keine wesentliche Veränderung eingetreten, wie aus dem ungeänderten Gefälle der Flüsse erhellt.

Diese einfache Auffassung der Sachlage stimmt mit der schmucklosen Darstellung überein, welche Carless im Jahre 1837 in einer die Vermessungsarbeiten im Indus-Delta begleitenden Denkschrift gegeben hat. Diese spricht nur davon, dass das niedere Alluvialland ,während des Erdbebens von 1819 an mehreren Stellen einige Fuss tief gesunken sein soll', wobei ein kleines Fort in dem oberen Theile, nahe dem Flusse, niedergeworfen wurde. Jetzt sei die Gegend mit Wasser bedeckt.(55)

Ch. Lyell dachte an eine wahre Erhebung des Landes am Ullah-bund. Obwohl ich niemals vergessen werde, wie tiefe Anregung mir selbst in jüngeren Jahren durch den Umgang mit diesem seltenen, stets wohlwollenden und auch stets zur Anerkennung und Berichtigung eigener Irrthümer bereitwilligen Manne geworden ist, muss ich doch unverhohlen aussprechen, dass seine in viele Lehrbücher übergegangene Auffassung der im Ran of Kachh eingetretenen Veränderungen nicht aufrecht erhalten werden kann.(56) Es handelt sich hier weder um Erhebung von Land, noch, wie ich selbst einmal, irregeführt durch andere Darstellungen, vermuthet habe, um Faltenbildung an der Oberfläche, sondern nur um das Hervordringen von Grundwasser und das Nachsitzen eines scharf abgegrenzten Theiles des schlammigen Bodens.(57)

Die Uebereinstimmung mit den Vorgängen bei New-Madrid am Mississippi und in der Burjätensteppe am Baikal ist eine vollständige. —

Wir suchen nun eine Gegend auf, welche sowohl von Erdbeben, als auch von Cyklonen heimgesucht ist, und in welche verheerende Ueberfluthungen vom Meere her in neuester Zeit zu wiederholten Malen eingetreten sind, das Flachland, welches die Bucht von Bengalen nordwärts abschliesst. Ganges und Brahmaputra ergiessen sich hier in vielfach gegabelten Armen in das Meer, und ich will versuchen, die Hauptzüge der heutigen Beschaffenheit dieser Mündungen darzustellen, bevor ich über ihre Geschichte und dann von den Erdbeben und Wirbelstürmen spreche. Hiebei folge ich zunächst der meisterhaften Beschreibung dieses Gebietes von J. Fergusson(59) und den Ergänzungen zu dieser Beschreibung durch Medlicott und Blanford.(59)

Ziemlich weit ausserhalb der littoralen Zone der Sunderbunds läuft die Fünf-Fadenlinie von den Balasore-Roads im Westen gegen Chittagong im Osten, und die Küste senkt sich sehr allmälig zur Tiefe, mit Ausnahme einer merkwürdigen, beiläufig in der Mitte dieser Strecke und etwas südwestlich ausserhalb der Haringota- Mündung gelegenen Region, in welcher plötzlich grosse Tiefen sich zeigen; es ist dies der ,Swatch of no ground', in welchem, namentlich gegen seinen westlichen Rand, das Loth mit 200 und selbst 300 Faden keinen Grund findet.

Innerhalb der Sunderbunds befindet sich ein Netzwerk von Wasserläufen, welche gemeinsam an der Aufschüttung von bewohnbarem Land und der allmäligen Ausfüllung der zahlreichen und ausgedehnten ,Jhils' arbeiten.

Die Inder besitzen eine weit besser ausgebildete Terminologie für die in der Natur sich wiederholenden Gestaltungen der Oberfläche als wir, und es bleibt die Frage offen, ob nicht manche ihrer Bezeichnungen mit Vortheil in allgemeineren Gebrauch treten könnten.

Bhábar ist für den Inder die stärker geneigte Aufschüttung, das Gebiet der Halden am Fusse der Gebirge, in welchem die aus dem Himalaya hervortretenden Flüsse einen Theil ihrer Wassermenge verlieren oder gar vertrocknen; Tarai ist die vegetationsreiche Zone, in welcher das Grundwasser des Bhäbar wieder zu Tage tritt; Bhángar nennt man die höher liegenden Flächen älteren Schwemmlandes, im Gegensatze zu Khádar, dem tiefliegenden, in der Regel durch niedere Steilränder begrenzten Alluvialgebiete der Ströme im engeren Sinne.

Ganges und Brahmaputra treten mit beiläufig gleichen Wassermengen in die weite Delta-Region hinaus, doch bringt der Brahmaputra, wohl vermöge seines grösseren Gefälles, eine unvergleichlich viel grössere Menge von Sinkstofifen. Nichtsdestoweniger ist das Delta des Ganges in der Anschüttung viel weiter vorgeschritten und befindet sich zum grössten Theile in dem Zustande des bewohnbaren Bhángar, während am Brahmaputra weitaus die bedeutendere Fläche häufig überschwemmter Khádar ist. Im Zusammenhange damit steht die Lücke in dem östlichen Umrisse des Delta 's.

Bei Rájmahál tritt der Ganges um das von älteren vulkanischen Felsarten gebildete Ende des Gebirges, und dieser Punkt, an welchem der Strom etwa 20 Meter über dem Meere liegt, wird als das Haupt des Delta's angesehen. Mit Recht erläutert Fergusson, wie seit jener Zeit, in welcher das Meer bis Rájmahál reichte und die Ausfüllung begann, eine sehr wesentliche Veränderung in dem Maasse der Aufschüttung bei Rájmahál selbst vor sich gegangen sein muss, und wie diese mit der Verringerung des Gefälles sich ausserordentlich verlangsamen musste. Zwischen Rájmahál und dem Meere vollzieht sich die Landbildung unter fortwährender Verschiebung der Gerinne und unter fortwährend
sich ändernder Gabelung derselben. Der Ganges selbst hat in historischer Zeit auf mehr als der Hälfte dieser Strecke sein ursprüngliches Gerinne, den Bhagarutti, verlassen; dieser gilt denn auch den Eingebornen für heilig, nicht der Zweig Poddah, in welchem jetzt der Ganges fliesst.

Noch weit wichtiger sind die Aenderungen, welche der Brahmaputra erlitten hat.

Nördlich von Dacca erstreckt sich bis auf etwa 112 Kilom. Länge mit einer grössten Breite von 56 Kilom. ein grosses Stück von erhöhtem Bhángar, der Madupore Jungle, mit steilerem, etwa 40 — 50 Fuss hohen Abhange gegen West und sanftem Gefälle gegen Ost.

Oestlich vom Madupore Jungle und von Dacca kommt die Gruppe der Silhetströme von Kachar herab, klare, an Sinkstoffen arme Wässer, welche während der drei Monate der Regenzeit unter dem Einflüsse des Monsun ganz ausserordentliche Wassermengen führen; sie sind von den Silhet-Jhils, sehr ausgedehnten stillen Wasserflächen, in der Nähe des Madupore Jungle begleitet und bilden in ihrer Vereinigung den Megna.

Als im Jahre 1785 Renell die erste Vermessung dieser Gegend vornahm, floss der gewaltige, schlammige Brahmaputra östlich vom Madupore Jungle, arbeitete an der Verlandung der Silhet-Jhils und nahm die Silhetflüsse auf, um sich endlich durch den Megna ins Meer zu ergiessen. Jetzt fliesst der Strom westlich von dem höheren Lande, und der ältere Arm ist, wenigstens durch den grössten Theil des Jahres, nur durch eine Kette von Sümpfen und Lachen angedeutet.

Hiedurch ist der Brahmaputra in die Nähe des Ganges gerückt, und es hat sich nun ein Kampf zwischen diesen beiden Strömen entwickelt, in welchem der Ganges durch die grössere Menge von Sinkstoffen, welche sein Gegner führt, in immer westlichere Gerinne gedrängt wird.

Fergusson schreibt die Ablenkung des Brahmaputra einer localen Erhebung der Region nördlich von Dacca, des Madupore Jungle, zu, und bringt die Abklärung des Brahmaputra in den Silhet-Jhils in Verbindung mit dem Zurückbleiben der Ausbildung des Delta's im Osten. Medlicott und Blanford heben aber hervor, dass eine Senkung der Silhet-Jhils dieselbe Folge gehabt hätte. Im Allgemeinen sind dieselben geneigt anzunehmen, dass sowohl das Thal des Brahmaputra in Assam, als die Gegend der Silhet-Jhils in verhältnissmässig neuer Zeit gesunken seien, dass Madupore Jungle dieser Depression allein entgangen sei und die ursprüngliche Höhe der Brahmaputra- Anschwemmungen darstelle. Sie vergleichen den Fall mit jenem des Ran of Kachh.(60)

Es sind gewiss innerhalb der historischen Zeit beträchtliche Veränderungen innerhalb dieses ausgebreiteten Flachlandes theils durch Verlegung der Stromrinnen, theils durch Verlandung, vielleicht auch durch Senkung eingetreten.

Die historischen Untersuchungen von Beveridge, welche die letzten drei Jahrhunderte umfassen, und welche sich hauptsächlich auf Berichte von Jesuiten vom Ende des 16. Jahrhunderts stützen, zeigen allerdings nicht, dass, wie man vermuthet hatte, die Sunderbunds zu jener Zeit bewohnt gewesen seien. Aber es gab damals in den östlichen Niederungen zwei Königssitze, zu Bakla, welches nicht mehr zu bestehen scheint, und zu Ciandecan (Chánd Khán). Grössere Theile von Backergunge und Jessore mögen allerdings cultivirt gewesen sein, sich wieder in Jungle verwandelt haben und dann wieder der Cultur zugeführt worden sein.(61)

Bedeutender als im Osten sind, wie aus arabischen Quellen hervorgeht, auch in diesen letzten Jahrhunderten die Veränderungen im Westen gewesen, und greift man bis zur Zeit des grossen chinesischen Reisenden Hwen-Tsang zurück, dessen Darstellungen schon bei Besprechung des Indus-Delta's benützt worden sind, so zeigt sich, dass allerdings im siebenten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung ein guter Theil des heutigen Delta's nicht bestand. Fergusson schliesst aus den Angaben dieses zuverlässigen Beobachters sogar die Möglichkeit, dass die Silhet-Jhils noch salzig und mit dem Meere in offener Verbindung gewesen seien. Erwiesen sei auf alle Fälle, dass die damaligen Hafenstädte Sonargaon und Satgaon an dem Haupte zweier Buchten oder Aestuarien lagen, in welche Brahmaputra und Ganges sich ergossen, und beinahe gewiss sei es, dass das ganze heutige Delta südlich von diesen Orten zu jener Zeit eine grosse Salzwasser-Lagune gewesen sei. Vermuthen lasse sich, dass die Sunderbunds damals einen Lido ausserhalb dieser Lagune bildeten, und dass der Ganges damals nicht ostwärts floss, um sich mit dem Brahmaputra zu vereinigen, sondern sich selbständig in die Lagune ergoss.(62)

Noch viel weiter zurück führt eine Schrift Cameron's, in welcher versucht wird zu erweisen, dass der höher liegende Landstrich Tipperah, welcher das Delta gegen Ost begrenzt, dem alten Taprobane entspreche. Ueber diese Vermuthung steht mir kein Urtheil zu.(63)

Der ganze Unterlauf des Ganges und des Brahmaputra ist häufigen Erschütterungen des Bodens unterworfen, und am 2. April 1762 wurde ein grosser Theil der Niederung, von Chittagong im Osten bis weit gegen West und landeinwärts insbesondere die Umgegend von Dacca auf's Heftigste erschüttert. Die Wässer stürzten wie eine brausende See aus ihren Gerinnen über das Land; weit und breit öffneten sich Spalten, Wassermengen wurden viele Fuss hoch aus dem Boden emporgeworfen und dabei sank das umliegende Land ein; Inseln nahe dem Strande verschwanden gänzlich und einzelne Flussgerinne wurden so verlegt, dass die auf der Reise begriffenen Schiffe aufgehalten wurden.(64)

Am 3. April 1810, 18. September 1829 und 11. November 1842 wiederholten sich Erderschütterungen in Calcutta. Wenige Monate vor dem letzteren Erdbeben war eine Cyklone über Calcutta hingegangen.

Am 10. Januar 1869 trat ein heftiger Erdstoss in der Provinz Kachar, östlich vom Brahmaputra ein und veranlasste grosse Veränderungen in den Alluvien. Auf viele Quadratmeilen hin liegen hier 30 — 40 Fuss von härterem Thon nach Oldham's Bericht auf einer mit Wasser gesättigten Lage von bläulichem Silt. Nun sah man meilenlange Sprünge längs der Flüsse entstehen und ebenso meilenweit die obere Lage des Schwemmlandes auf der wasserreichen Unterlage gegen die Flüsse abgleiten. Der Silt drang durch die klaffenden Sprünge herauf; zuerst kam mit der Heftigkeit eines Kanonenschusses trockener Staub, so dass man wohl meinen konnte, es schiesse Rauch empor, aber sofort folgte der zähe Schlamm, welcher eine Lippe um die Oeffnung bildete und wohl auch abfloss.

Als die Erschütterung vorübergegangen war, sah man den Alluvialboden von den grossen Sprüngen durchzogen, welche an vielen Orten durch Senkung einer Seite des durchschnittenen Landes zu wahren Verwerfungsklüften wurden und dann an der Oberfläche nur als niedrige Abstürze erschienen, und zwischen oder auf diesen Sprüngen standen runde oder elliptische kraterähnliche Oeffhungen, oft umgeben von einem Walle von Schlamm oder Sand. Bei vielen der grösseren Oeffnungen war jedoch nach dem Hervorbrechen Sand und Schlamm wieder in die Oeffnung zurückgeströmt und hatte dabei die Kante der Oeffnung mit hinabgerissen, so dass nur eine unregelmässige, trichterförmige Tiefe zurückblieb.(65)

Die etwa seit 1874 fortlaufenden Aufzeichnungen, welche Col. Keatinge veröffentlicht hat, lassen erkennen, dass ganz Assam und namentlich das Tiefland nördlich und südlich von den Khâsi-Bergen, das Thal des Brahmaputra, wie die Region des Silhet, sich in jahrelanger Unruhe befanden und vielleicht heute noch befinden.(66)

Noch weit schrecklicher als die Erdbeben wüthen in dem Flachlande dieser Flussmündungen von Zeit zu Zeit die vom Meere herkommenden Wirbelstürme. Viele von ihnen entstehen in der Nähe der Andamanen. Von dort ziehen sie Verderben bringend gegen Nord, Nordwest oder West. Bald treten sie, ungeheure Wassermassen herbeitragend und von unermesslichem Regen begleitet, in die Mündungen des Megna oder des Ganges, bald stürzen sie sich auf die Ostküste des Festlandes, bis Pondicherry hinab, oder sie treffen die Insel Ceylon.

In der Nacht vom 11. — 12. October 1737 trat ein solcher Wirbelsturm in den Ganges ein und reichte viele Meilen stromaufwärts. Zugleich erfolgte ein Erdbeben und in Calcutta wurden 200 Häuser niedergeworfen. Schiffe von 60 Tonnen Tragfähigkeit wurden über die Bäume landeinwärts getragen. Das Wasser im Ganges soll sich um 40 Fuss über den gewöhnlichen Stand erhoben haben; man schätzte damals den Verlust an Menschenleben auf 300.000 Seelen.(67) Diese Ziffer ist übertrieben, aber ohne Zweifel war die Katastrophe eine furchtbare.

H. Blanford hat ein Verzeichniss der Cyklonen der Bucht von Bengalen von dem Jahre 1737 bis zu der grossen Cyklone von 1876 veröffentlicht und gezeigt, dass in diesem Zeiträume von 139 Jahren 112 grössere und geringere Wirbelstürme dieses Meer bewegt und die Küste getroffen haben.(68)

Ohne in die höchst verdienstlichen Einzelbeschreibungen einzugehen, welche von englischen Forschern einzelnen dieser Cyklonen gewidmet worden sind, greife ich mehrere Beispiele aus dieser Liste heraus.

Am 19. und 20. Mai 1787 erreichen Sturm und Sturmfluth Coringa an dem Delta des Godavery und reichen 32 Kilom. in das Land; es gehen nach einer beiläufigen Schätzung 20.000 Seelen und 500.000 Stück Vieh verloren.

Am 19. October 1800 zugleich furchtbarer Wirbelsturm und Erdbeben zu Ongole und Masulipatam, zu beiden Seiten der Mündungen des Kistna.

Im Juni 1822 fegt eine Sturmfluth über den östlichen Theil der Sunderbunds, über Burisal und Backergunge; der Sturm soll nur 85 Kilom. in 24 Stunden vorgeschritten sein; 50.000 Menschen sollen das Leben verloren haben.

Den 31. October 1831 trifft eine solche Sturmfluth den äussersten Westen des Flachlandes des Ganges, wo es sich südlich von Calcutta gegen Kuttack ausdehnt; 300 Ortschaften werden hinweggefegt und mindestens 11.000 Menschen ertränkt; es folgt Hungersnoth und wird der gesammte Verlust an Menschenleben aus diesem Ereignisse auf 50.000 Seelen geschätzt.

Den 21. Mai 1832 ertrinken durch eine solche Fluth im Ganges-Delta 8000 — 10.000 Menschen.

Vom 12. zum 17. November 1837 kommt Sturm und Fluth von den Andamanen nach Coringa; die Woge war 8 Fuss hoch; 700 Menschen verloren ihr Leben auf den Schiffen; 6000 sollen am Lande umgekommen sein.

Für den weniger durch seine Verheerungen, als durch seine ausserordentlich lange Strasse bemerkenswerthen Wirbelsturm vom October 1842 folgen wir dem Berichte Piddington's.(69)

Der Wirbel ging, wie so oft, von den Andamanen aus; in gerader, rein westlicher Richtung kreuzte er am 22., 23. und 24. October den südlichen Theil des bengalischen Meerbusens, und seine Mitte erreichte noch am letzteren Tage nach 5 Uhr Nachmittags die Ostküste etwas nördlich von Pondicherry. Nun wendete sich die Richtung, offenbar abgelenkt durch die Höhenzüge, ein wenig gegen Südwest, und am 25. Mittags kreuzte das Sturmcentrum in Palgautcherrypass zwischen Salem und Paniany die westlichen Ghats. Hier scheint eine Spaltung eingetreten zu sein; es sind zwei getrennte Wirbelstürme im arabischen Meere erschienen. Der südliche Arm ging in westnordwestlicher Richtung fort, erfasste am 27. Oclober Mittags schon weit jenseits der Laccadiven in lat. 11° 5' N., long. 69° 09' O., das Schiff ,Futty Salam' und ereilte am 31. October in lat. 14° N., long. 61° O., nachdem bereits etwa der achte Theil des Erdumfanges zurückgelegt war, nicht 6 Längengrade von der Insel Sokolra, mit furchtbarer Gewalt das Schiff ,Seaton', welches er entmastete und als hilfloses Wrack zurückliess. Von hier an hat sich der Sturm mehr gegen Nordwest gewendet. Dies geht aus dem Umstände hervor, dass zwischen Sokotra und dieser Stelle verkehrende Schiffe nur von seiner entfernteren peripherischen Erregung getroffen wurden.

Der nördliche Ast nahm schon von der ostindischen Küste her, wie es scheint, einen mehr nordwestlichen Verlauf. Auf der ganzen Küste, vom Eingange in den persischen Meerbusen bis zum Golf von Aden und an dem afrikanischen Festlande, noch südlich von Cap Guardafui, scheiterte eine grosse Anzahl von Fahrzeugen, und der in Aden lebende Beobachter Dr. Malcolmson vermuthete sogar, der Wirbelsturm habe noch in der Nähe der Insel Bahrein den persischen Meerbusen gekreuzt. Ueber diesen nördlichsten Theil der Strasse werden aber leider keine directen Beobachtungen mitgetheilt.(70)

Vom 2. bis 5. October 1864 ging eine Cyklone von den Andamanen gegen Nordwest; im Hooghly schwemmte die Woge nahe an 48.000 Menschen und 100.000 Stück Vieh weg. Zwei grosse Postdampfer wurden trocken auf die Felder gesetzt; alle Bäume wurden entlaubt.

Blanford's traurige Liste schliesst mit der grossen Cyklone von Backergunge vom Jahre 1876. Elliot hat dieses Naturereigniss in einem selbständigen Werke geschildert, dem wir Folgendes entnehmen:(71)

Am 23. October 1876 begann im Südosten der Bucht von Bengalen ein Raum von vermindertem Luftdrucke sich zu bilden. Die Bildung schritt in den nächsten Tagen vor, und am 26. und 27. bemerkte man in dieser Region bereits heftige vorticose Winde. In den beiden folgenden Tagen bewegte sich dieser Raum verminderten Druckes gegen Nord; am Abende des 29. hatte sich bereits eine heftige Cyklone gebildet. Die Mitte war am 30. October Mittags in lat. 14° und long. 89°. Es trat eine Ablenkung gegen Nordnordost ein, und Geschwindigkeit und Gewalt des Sturmes nahmen zu. Am 1. November, gegen 3 Uhr Morgens, erreichte derselbe die Mündung des Megna mit einer Geschwindigkeit von
etwa 32 Kilom. in der Stunde. Die Calmenregion in der Mitte des Sturmes war wahrscheinlich elliptisch, quer auf die Richtung des Vorschreitens und 24 — 29 Kilom. breit. Noch etwa 300 Kilom. von dieser Mitte war die Gewalt so gross, dass Schiffe entmastet wurden. In derselben Nacht war kurz vor dem Sturme bei Vollmond eine ungewöhnlich hohe Fluthwelle in den Megna eingetreten und hatte den Fluss zurückgestaut. Es war noch nicht die Zeit voller Ebbe angelangt, als die zurückweichende lunare Fluth, von der Sturmfluth der Cyklone erfasst und überwältigt, mit dieser zu einer gewaltigen Woge vereint, landeinwärts zurückkehrte. Was gegen West und Nordwest lag, wurde von gestautem Süsswasser, was ostwärts lag, von Salzwasser überfluthet. Binnen kurzer Zeit waren 3000 Square Miles (etwa 141 geographische Quadratmeilen) des Flachlandes und der grossen vorliegenden Inseln 3 bis 15, ja bis zu 45 Fuss hoch mit Wasser bedeckt. Das Centrum des Sturmes ging dabei gegen Nordnordwest auf das höher liegende Gebiet von Tipperah los, zerschellte an demselben und löste sich auf.

Der Gouverneur Sir R. Temple schätzte in seinem amtlichen Berichte die Zahl der ertränkten Menschen auf 215.000 bei einer Gesammtbevölkerung von 1,062.000 Seelen. Blanford, welcher später schrieb, meint, es seien beiläufig 100.000 Menschen ertränkt
worden. Die Häusergruppen sind hier in der Regel von Bäumen umstellt, sonst wäre der Verlust noch weit grösser gewesen.

Entsetzlich sind die Schilderungen der Beamten von dem Zustande des Landes nach der Katastrophe; die Häuser waren zerstört, die Bäume ihrer Blätter und Aeste beraubt, das Land mit Lachen bedeckt und in Haufen waren die Leichname von Menschen und Rindern zusammengefegt — das wahre Abbild einer vorübergegangenen Sintfluth. Das Gebiet dieser grossen Cyklonenfluth ist genau dasselbe, welches von dem Erdbeben des Jahres 1762 betroffen worden war.

Es ist eben gesagt worden, dass das Depressionsgebiet an den Höhen von Tipperah zerschellte. Elliot hebt ausdrücklich hervor, dass nicht die Reibung auf der Erde, sondern der directe Widerstand eines Höhenzuges die Auflösung der Cyklonen veranlasst oder sie ablenkt. In der That war im Anfange desselben Monats October eine kleinere Cyklone von den Andamanen gegen Nordwest nach Vizagapatam an der Ostküste gekommen, hatte, durch die östlichen Ghats abgelenkt, sich gegen Nord gewendet, und war, dem östlichen Fusse des Gebirges folgend, fortgereist, hatte den Ganges zwischen Patna und Monghyr gekreuzt und, allerdings wesentlich abgeschwächt, sogar die Vorberge des Himalaya erreicht, daher etwa 8 Breitegrade auf trockenem Lande zurückgelegt.

Im Jahre 1737 zu Calcutta und im Jahre 1800 an den Mündungen des Kistna sind Cyklone und Erdbeben vereint aufgetreten. Obwohl beide Erscheinungen ihren Ursachen nach einander fremd sind, und obwohl die übergrosse Anzahl von Cyklonen ohne bemerkbare Erderschütterung und ebenso die übergrosse Anzahl von Erdbeben ohne Wirbelsturm eintritt, wiederholt sich doch das zeitliche Zusammentreffen von Erderschütterungen und niedrigen Barometerständen so oft, dass die Aufmerksamkeit der Forscher auf diesen Umstand gelenkt werden musste. So hat, um nur einige der Beobachter zu nennen, welche diese Richtung der Studien verfolgt haben, Jul. Schmidt die Vergleichung von vielen hunderten von Erschütterungen, welche in den letzten Jahren in Griechenland verspürt wurden, mit den gleichzeitigen Barometerständen durchgeführt,(72) Rossi Aehnliches für eine Anzahl italienischer Erdbeben unternommen(73) und G. Darwin sogar in der letzten Zeit versucht, den mechanischen Effect der barometrischen Entlastung der Erdoberfläche der Rechnung zu unterziehen.(74)

Man kann nicht behaupten, dass die directen Beobachtungen auf diesem Gebiete bereits zu irgend einem festen Ergebnisse geführt hätten, aber die z. B. in Griechenland und Italien in Vergleich gezogenen Verminderungen des Luftdruckes sind weit geringer als jene, welche bei Wirbelstürmen vorkommen. So dürfte bei dem heutigen Stande der Erfahrungen angenommen werden, dass, wenn in einer Gegend, welche sich in einer Phase seismischer Beunruhigung befindet, oder in welcher sonst die Vorbedingungen für eine Erderschütterung gegeben sind, jene wesentliche Entlastung von dem Luftdrucke eintritt, welche die Grundbedingung des Wirbelsturmes ist, diese selbe Entlastung zwar die Erderschütterung nicht erzeugt, wohl aber ihr Auftreten beschleunigt oder den Grad der Heftigkeit erhöht.