Eduard Suess
DAS ANTLITZ DER ERDE
Erster Band
(Zweite Auflage 1892)

C. Wesen und Verbreitung der Sintfluth

Wir kehren zu dem Izdubar-Epos zurück. 

Die Naturerscheinungen, welche die grosse Katastrophe begleiten, sind solche, wie sie heute nur an flachen Küsten und in den Niederungen grosser Ströme, namentlich an den Mündungen der letzteren, beobachtet werden. Die Ueberfluthung kann der Hauptsache nach nur vom Meere gekommen sein; Regen und Grundwasser waren lediglich begleitende Elemente derselben. 

In diesem Umstände, wie in der örtlichen Bedeutung der Verwendung von Asphalt, liegt aber eine wesentliche Bestätigung der Ansichten jener ausgezeichneten Erforscher des Alterthums, welche in dem Sintfluthberichte des 'eilften Gesanges des Izdubar-Epos nicht eine von auswärts entlehnte und hier nachträglich localisirte Sage, sondern die Ueberlieferung eines einheimischen Ereignisses sehen, welches sich wirklich in den bezeichneten Theilen der damals noch weniger verlandeten Euphratniederung zugetragen hat. 

Es folgt ferner hieraus, dass Gen. VI, 17 und VII, 6 in der That besser mijam als majim gelesen wird. 

Die Euphratmündungen bieten alle für ein solches Ereigniss nothwendigen Vorbedingungen, und die Verlegung desselben an irgend eine andere Flussmündung würde dasselbe aus dem Gebiete der heutigen Traditionen entfernen. Man könnte z. B. etwa an die vereinigten Mündungen von Ganges und Brahmaputra denken, welche heute so oft von Erdbeben und Cyklonen heimgesucht werden. Aber abgesehen davon, dass gegen diese Annahme wohl von derselben Seite noch grössere Bedenken geäussert werden würden, ist gerade die Häufigkeit der grossen Ueberfluthungen, wahrer Sintfluthen, in diesem Gebiete eher ein Argument gegen eine solche Annahme, denn die uns vorliegenden Sintfluthberichte stammen aus Gegenden, in welchen ein solches Ereigniss ein höchst seltenes, ja geradezu etwas Unerhörtes war und gerade darum so unauslöschbaren Eindruck zurückliess. Es ergossen sich die Meeresfluthen über reich besiedelte Landschaften, welche niemals früher der Schauplatz eines solchen Ereignisses gewesen waren, und es auch nach dem Ausspruche der Gottheit niemals wieder sein sollten, ein Ausspruch, welcher sich in einer aus dem so häufig überflutheten Ganges-Delta stammenden Ueberlieferung gewiss nicht finden würde. 

Der seismische Theil der Katastrophe kommt in unzweifelhafter Weise zum Ausdrucke durch die Warnungen, durch das Uebertreten der Canäle, das Hervorbrechen der Fluthen der Tiefe und das Erzittern der Erde. 

Mesopotamien ist seither oft von Erdbeben betroffen worden. Die bedeutendste seismische Phase beginnt mit dem Jahre 763 v. Chr., demselben Jahre, in welches die zuerst von Hind und Airy, neuerdings von Lehmann und von Oppolzer festgestellte Sonnenfinsterniss vom 14. Juni 763 fallt, deren Datum maassgebend geworden ist für die Chronologie des assyrischen Alterthums. (75) 

Dieser wichtige Anhaltspunkt ergibt in den assyrischen Verwaltungslisten für 763 V. Chr.: Unruhen in Libzu. Im Monate Sivan tritt die Sonne in eine Verfinsterung. — 762 Unruhen in Libzu. — 761 Unruhen in Arbacha. — 759 Unruhen in Gozan. — 758 Ruhe im Lande. Später, für 746, werden abermals Unruhen angeführt, diesmal in Kalah, dem biblischen Kelach (Gen. X, 11), südlich von Ninive in dem Winkel zwischen dem oberen Zab und Tigris, wo jetzt das Dorf Nimrud liegt. (76) 

Nun hat Bosanquet, einer Anregung Rawlinson's folgend, angegeben, dass unter diesen "Unruhen" nicht aufständische Bewegungen der Bevölkerung, sondern Erdbeben zu verstehen seien, und Bosanquet zeigt unter dieser Voraussetzung, dass diese Sonnenfinsterniss vom 14. Juni 763 dieselbe sei, welche der Prophet Amos vorhersagte. (77) 

Die Erderschütterungen dieser Phase haben sich von Assyrien bis nach Palästina erstreckt, und es waren die Jahre nach 763 nicht nur durch Erdbeben, sondern auch durch mehrere Sonnenfinsternisse ausgezeichnet. Unschwer erkennt man den Eindruck, welchen diese schreckenerregenden Naturereignisse auf die erhabene Redeweise der Propheten ausgeübt haben, welche dieselben an mehreren Stellen genannt oder beschrieben und als Anzeichen des Zornes der Gottheit angerufen haben. Noch im nächstfolgenden Jahrhunderte war in Jerusalem die Erinnerung an diese Vorgänge im Volke nicht erloschen. 

Der Prophet Amos datirt I, 1 seine Vision ausdrücklich 'zwei Jahre vor dem Erdbeben' und schildert nicht nur die Erschütterung, sondern auch die Ueberfluthung vom Meere her, so V, 8; IX, 6: ... qui vocat aquas maris, et effundit eas super faciem terrae. — Der Prophet Sophonia, welcher unter Josias (616 — 586) schrieb, führt in seiner erschütternden und nie übertroffenen Vorbildung des Dies irae den Untergang von Sodom und Gomorrha und alles Entsetzen einer seismischen Katastrophe vor, und Zacharia spricht XIV, 5 : ... et fugietis sicut fugistis a facie terraemotus in diebus Oziae regis Juda. ... Das ist eben das von Arnos angeführte Erdbeben. 

Gerade die weite Ausbreitung dieser Erdbeben lässt aber Zweifel darüber aufkommen, ob ihr Ausgangspunkt wirklich in der mesopotamischen Ebene zu suchen sei. Der Name Arbacha, welcher dem griechischen Arrhapachitis, dem armenischen Albak entspricht, möchte uns in das Gebirge am oberen Zab und somit dem heute so oft erbebenden Gebiete des Van- und Urmiah-See's näher führen. 

Die syrische Wüste ist gegen Nord und gegen West umgrenzt von zwei wichtigen Erdbebenzonen, auf welchen seismische Thätigkeit durch viele Jahrhunderte bekannt ist. 

Die erste dieser Zonen beginnt am Mittelmeere in der Nähe von Antiocheia. Diese unglückliche Stadt war der Schauplatz der von Dio Cassius beschriebenen schrecklichen Katastrophe vom 13. December 115, bei welcher Kaiser Trajan zugegen war; sie wurde nach minder heftigen Erdbeben im Monate Mai 518 wieder zerstört, dann am 29. November 528 abermals niedergeworfen und wurde am 31. October 589 wieder das Grab von Tausenden von Menschen. (78) Seither ist sie noch oftmals erschüttert worden. Von Antiocheia zieht sich die seismische Zone gegen Aleppo und Mambedj (Hierapolis), kreuzt den Euphrat und setzt sich von Urfa (Edessa) wahrscheinlich noch in der Richtung von Diarbekr gegen den Berg Nemrud oder Sipan-Dagh an dem Nordrande des Van-See's fort. Ihr fallen die grossen Unglücksfalle der Jahre 715, 995, 1003, 1091, 1114, 1156 n. Chr. und eine Reihe anderer grosser Erdbeben zu; aus dem laufenden Jahrhunderte nenne ich nur die Zerstörung von Aleppo im Jahre 1822. Diese Linie fallt in den Bereich jener meisterhaften Studie, welche kürzlich H. Abich über die Erdbeben des armenischen Hochlandes veröffentlicht hat, in welcher bereits diese Zone von seismischen Katastrophen als das Anzeichen eines in der Tiefe verborgenen, complicirten Bruchsystems in der Erdrinde dargestellt wird. (79) 

Gerade in der Nähe des eben genannten Aleppo wird diese Zone von einer zweiten gegen Südsüdwest laufenden Erdbebenzone gekreuzt, welche mit dem Jordanbruche und auch mit der Linie der syrischen Küste in Zusammenhang zu stehen scheint. Sie beginnt in der Gegend von Malatiah am oberen Euphrat und läuft von Aleppo über Hamah (Epiphania) nach Homs (Emesa) und von da an wahrscheinlich zu beiden Seiten des Anti-Libanon, sowohl über Baalbek, als über Damaskus weiter gegen Süd. Der nördliche Theil dieser Zone wird vortrefflich erläutert durch die Angaben des arabischen Schriftstellers As-Soyúti über die in dem Jahre 552 Hedschra (1158 n. Chr.; nach anderen Berichten 551 Hedschra) mit einer gewaltigen Erschütterung beginnenden Reihe seismischer Bewegungen. (80) Auch Hoff hat Nachrichten über dieselbe gesammelt und hebt hervor, dass diese Erdbeben sich auf einer Linie von 4 Breitegraden äusserten. (81) Nach As-Soyúti's Angaben dürften die Erschütterungen im Norden begonnen, erst später gegen Damaskus vorgerückt und dann wieder gegen Aleppo und Hamah zurückgekehrt sein. 

Von diesen beiden die syrische Wüste umgebenden und in der Nähe von Aleppo sich kreuzenden Zonen dürften jene Vorgänge im Jahre 763 v. Chr. und den folgenden Jahren ausgegangen sein, welche Assyrien beunruhigten und Palästina erschreckten, und welche in den assyrischen Verwaltungslisten vermerkt und in den Büchern der Propheten angerufen sind. 

Es ist mir aber nicht wahrscheinlich, dass jene Erdbeben, welche der Sintfluth als Warnungen vorhergingen und sie begleiteten, aus diesen Gebieten stammten. Schläfli hat während seines allerdings gar kurzen Aufenthaltes in Mesopotamien nur solche Erdbeben kennen gelernt, welche aus der Ferne, entweder von Norden oder von Süden her, etwa von dem oft betroffenen Schiras in Persien, dem Lande mitgetheilt wurden. 

Die Erdbeben der Sintfluth lassen einen südlichen Ursprung, wahrscheinlich innerhalb des persischen Meerbusens, vermuthen. 

Grosse Störungen in der Atmosphäre, unermesslicher Regen und Sturm und Finsterniss haben die Erderschütterung begleitet. Die Finsterniss war nicht jene, welche z. B. vorübergehend bei dem Erdbeben von Lissabon herbeigeführt wurde durch den in die Luft gewirbelten Schutt und Staub der stürzenden Stadt. Auch berechtigt uns nichts zur Annahme einer durch die Asche einer vulcanischen Eruption herbeigeführten Finsterniss. Es ist die Finsterniss des hereingebrochenen Wirbelsturmes. 

Die Strasse der Cyklone vom October 1842, deren letzte zweifelhafte Spuren bis gegen die Insel Bahrein zu reichen scheinen, schliesst nicht einmal ganz und gar die Möglichkeit aus, dass sogar von dem gewöhnlichen Ausgangspunkte, den Andamanen, ein Wirbelsturm in den persischen Meerbusen gerathe. (82)

Der eilfte Monat, welchem nach Rawlinson's Meinung dieser eilfte Gesang entspricht, ist nicht Ea, dem Gotte des Meeres, oder den Anunnaki, den unterirdischen Geistern, sondern Rammân, dem Sturmgotte geweiht; die wortgetreue Uebersetzung des akkadischen Namens ist: 'Monat des Fluches des Regens' oder kurz: 'Monat des Fluches'. (83) — 

Es ist nicht ganz ohne Interesse für das Verständniss so grosser Naturerscheinungen, zu untersuchen, wie verschiedenartig ihr Eindruck auf die verschiedenen Schichten und Richtungen des Menschengeschlechtes ist. 

Auf den Andamanen-Inseln, welche so oft von Erderschütterungen heimgesucht werden und die wir als den Ausgangspunkt der meisten indischen Wirbelstürme kennen gelernt haben, hat sich in Abgeschlossenheit ein kleiner Rest einer Urbevölkerung erhalten. Nicht einmal bis zum Cultus der Sonne haben sich diese Menschen noch erhoben. Einen Dämon der Wälder kennen sie, Eremchangala, der die Erdbeben verursacht, und einen Dämon der See, Juruwinda. Die äusserste Furcht vor diesen ist das einzige Gefühl, das sie bei solchen Katastrophen erfüllt. Das ist die zitternde, schreckerfüllte, nackte Creatur im Anblicke der grossen Gewalten. (84) 

Betrachten wir das Verhalten einer nächsten Culturstufe. Am 10. Juli 1862 wurde Accra an der Küste von Guinea und ein beträchtlicher Theil der benachbarten Gebiete erschüttert. Der holländische Kaufmann Euschart befand sich an jenem Tage zu Abomey, der Hauptstadt des Königreiches Dahomey. Er wurde auf den Marktplatz beschieden. Dort sass auf einem Throne der König, umgeben von seinen bewaffneten Amazonen, und erklärte, es sei der Geist seines Vaters, welcher die Erde erschüttert, weil die alten Gebräuche nicht mehr befolgt werden. Drei kriegsgefangene Häuptlinge wurden hingerichtet, um dem Geiste des Verstorbenen zu melden, dass man fortan genauer die Gebräuche befolgen werde. (85) 

Auf den folgenden Stufen wird die Aeusserung bestimmt durch die Richtung der Erziehung und den Lebensberuf des Einzelnen. 

Da ist zuerst der trotzige Krieger. Am 4. September 1596 war grosses Erdbeben zu Kiyoto und Osaka in Japan. Die Burg von Fushimi, viele Häuser von Kiyoto, auch das Gebäude, in welchem die Statue des Gottes Daibuzu aufgestellt war, stürzten ein. Da, so berichtet Edm. Naumann, begab sich Taiko Toyotomi Hideyoschi nach dem Gebäude des Daibuzu, stellte sich vor dem gefallenen Götzenbilde auf, beschuldigte mit zorniger Stimme den schwachen Gott, dass er statt das Land zu schützen, sich selbst nicht zu erhalten die Macht habe, nahm Bogen und Pfeil und schoss nach der Statue. (86) 

Ganz anders urtheilt der Naturforscher. Im Jahre 62 oder 65 n. Chr. war Apollonius von Tyana auf der Insel Kreta. Als er an der gegen das Libysche Meer liegenden Küste, an einem Vorgebirge in der Nähe von Phästus eine Unterredung mit vielen Männern hatte, die das Heiligthum auf diesem Vorgebirge verehrten, entstand plötzlich ein Erdbeben. Der Donner, sagt Philostratus, brüllte nicht von den Wolken herab, sondern aus der Tiefe, und das Meer zog sich wohl sieben Stadien weit zurück, so dass die Menge besorgte, das zurückweichende Meer werde den Tempel nach sich ziehen und sie Alle mit hinwegspülen. Apollonius aber sprach: 'Seid getrost; das Meer hat ein Land geboren.' Nach wenigen Tagen erfuhr man, dass zur selben Zeit sich eine neue Insel zwischen Thera und Kreta aus dem Meere erhoben habe. (87)

Wieder anders urtheilt die grosse Menge. In dem allgemeinen Schrecken schwindet nicht nur der Trotz und die Gabe der Beobachtung, sondern oft auch jede Ueberlegung. Das Unzweckmässigste wird unternommen; man flüchtet an den Fuss von Säulen, welche den Einsturz drohen, wie auf dem Marktplatze von Sillein in Ungarn am 15. Januar 1858, und es verloren nach Hamilton's Aufschreibungen 2473 Menschen bei dem calabrischen Erdbeben am 5. Februar 1783 nur durch den Umstand das Leben, dass sie sich auf den flachen Meeresstrand bei Scylla flüchteten. Es ist bei neueren Erdbeben wiederholt vorgekommen, dass man Wasserbecken nur zu dem Zwecke aufstellte, um sich zu überzeugen, ob die Schwankungen der Erde wirklich noch fortdauerten, da man unausgesetzt solche Schwankungen zu bemerken meinte, und wer die Schilderungen des Kleinmuthes der Ueberlebenden nach dem grossen Erdbeben von Lissabon vom 1. November 1755 liest, begreift auch vollständig den Seelenzustand Hasis-Adra's nach der Sintfluth. 

Bei dem ersten Sonnenstrahle und der ersten Oeffnung einer Luke bricht er in Thränen aus. Gerettet, opfert er sofort den Göttern. In der Erinnerung an den Umstand, wie er, ohne des Hohnes der Menge zu achten, sein Schiff gebaut, (88) gestalten sich die damals beobachteten wiederholten Anschwellungen der Fluth zu Warnungen des wohlwollenden Meeresgottes, und der farbige Regenbogen wird nach solcher Finsterniss zum Zeichen des Friedens in der Natur und der Versöhnung der Gottheiten. 

All das Wunderbare dieses Berichtes löst sich auf in die Wirkung jener Empfindungen, welche auch heute unter ähnlichen Erlebnissen das Menschenherz bewegen möchten, und indem wir dies anerkennen, zeigt sich zugleich, wie seit jener entfernten Zeit unter dem Wechsel so vieler Dinge das menschliche Gemüth doch so gar nicht verändert worden ist. Und darum trägt gerade in diesen Zügen die einfache Erzählung des Hasis-Adra den Stempel ergreifender Wahrheit. 

Der Schiffscapitän vermerkt, nachdem er mit entmastetem Fahrzeuge dem Wüthen der Cyklone glücklich entkommen ist, beruhigt das Steigen des Luftdruckes; was sonst sein Herz fühlen mag, das sagen die Aufschreibungen des Logbuches nicht. Als aber am 10. October 1780, während Engländer und Franzosen im Kriege lagen, die grosse Cyklone über die Antillen eine breite Strasse der Verheerung zog, die Flotten zerstreute und zertrümmerte und zwei englische Schiffe auf Martinique an den Strand warf, da schickte der französische Befehlshaber Marquis de Bouillé die geretteten Engländer dem feindlichen Gouverneur von Santa Lucia mit dem Bemerken zurück, er könne die Opfer einer allgemeinen Katastrophe nicht als Gefangene behalten. (89) Das ist eben jenes Gefühl des Niedersinkens alles menschlichen Streites, jenes erdrückende Bewusstsein menschlicher Kleinheit im Anblicke der grossen Gewalten der Natur, welches das religiöse Moment der Sintfluthsage ausmacht. 

Dieses Moment entspricht aber so vollständig der Menschennatur, dass die Ueberlieferung von diesem gewaltigen Ereignisse willige Aufnahme unter die heiligen Mythen der verschiedensten Völker gefunden hat, und dass gerade wegen der grossen Verbreitung der Sage es uns um so schwieriger wird, die thatsächliche Ausbreitung des Ereignisses zu erkennen. 

In den weiten Kreis der Sintfluthsagen sind auch Traditionen aufgenommen worden, welche von der Entstehung der Meere handeln, also in die Gruppe der kosmogonischen Mythen gehören und der Sintfluth ganz fremd sind. So ist es unter den Mythen der alten Welt der Fall mit jenem grossen Regen, durch welchen nach dem VII. Capitel des Pehlevi Bundehesch die Gewässer der Erde erzeugt wurden. Ein Beispiel einer solchen kosmogonischen Mythe der neuen Welt ist die Sage der Antillenbewohner von den Brüdern, welche die Kürbisflasche finden, aus welcher sich, nachdem sie zerbrochen wurde, unermessliche Wassermengen ergiessen. In der ursprünglichen Darstellung dieser Sage durch Petrus Martyr ist gar nicht die Rede von einer strafenden und vernichtenden Sintfluth, sondern von der Entstehung der Meere, welche die tiefen und bisher trockenen Theile der Erde erfüllten, und wobei die Berge zu Inseln wurden. (90)

Bei mehreren amerikanischen Völkerschaften trifft man ferner Fluthsagen, welche von so bestimmten Einzelheiten aus der biblischen Darstellung begleitet sind, dass der Einfluss der Missionäre auf dieselben unverkennbar ist, wie dies schon oft, insbesondere von Waitz, betont worden ist. (91)

Eine andere Reihe von Ueberlieferungen ist, hauptsächlich an der westlichen Küste von Südamerika und auf den oceanischen Inseln, bis Fidji, aus verschiedenen seismisch erregten Hochfluthen hervorgegangen. Solche Ueberlieferungen sind bereits erwähnt worden, als von dem Schwanken der Oceane bei grossen Erdbeben gesprochen wurde. Réville hat kürzlich oceanische Sintfluthsagen gesammelt. (92) 

Nach Ausscheidung all dieser, für die Beurtheilung der Ausbreitung des mesopotamischen Ereignisses unverwendbaren Ueberlieferungen bleibt uns in der alten Welt eine Anzahl von Berichten zurück, welche sich in mehrere Gruppen theilen lassen. 

Die erste, dem Ereignisse selbst zunächst stehende Gruppe von Berichten bilden das Izdubar-Epos und die Bruchstücke des Berosus. 

Dabei erwähnt der Bericht des Berosus einen Umstand, von welchem das Izdubar-Epos vollkommen schweigt, nämlich die Vergrabung und nachmalige Auffindung der Schriften in der Sonnenstadt Sippara. Eusebius schreibt: ... Mandavisse, ut libros omnes, primos nimivum, medios et ultimos, terrae infossos in solis urbe Sipparis poneret ... Es ist schwer zu sagen, ob Berosus aus einer anderen, vollständigeren Quelle geschöpft als der Verfasser des Izdubar-Epos, oder ob es sich um eine spätere Zuthat handelt. Die Vergrabung von Urkunden in den Grundvesten von Tempeln und Palästen war von altersher in Babylonien üblich. Wie ein neugefundener Cylinder des Königs Naboned (etwa 550 v. Chr.), den kürzlich Pinches beschrieben hat, berichtet, hatte der König Nebukadnezar (604 — 561) vergeblich unter dem Sonnentempel E-bara zu Sippara nach alten Schriften gesucht. Erst später gelang es seinem Nachfolger Naboned in einer Tiefe von 18 Ellen einen uralten Cylinder aufzufinden: 'Den Cylinder des Narâm-Sin, Sohnes des Sargon, welchen durch 3200 Jahre kein König, der vor mir wandelte, gesehen hatte, hat mir Samas enthüllt, der grosse Herr zu E-bara, dem Hause, dem Sitze der Freude seines Herzens.'

Dies führt zum Jahre 3750 zurück und stellt den alten König Sargon I., dessen Aussetzung oben erwähnt wurde, etwa in das Jahr 3800 v. Chr. (93) 

Die zweite Gruppe vertreten die beiden in der Genesis miteinander verwobenen Darstellungen des Jahvisten und des Elohisten. Ihre weitgehende Uebereinstimmung mit den Angaben der ersten Gruppe von den Warnungen und dem Verpichen des Fahrzeuges bis zu dem Aufrichten des Regenbogens ist augenfällig. In den ziffermässigen Angaben über die Zahl der Thiere, wie über die Zeiträume weichen beide Berichte von dem Izdubar-Epos ab und widersprechen sich auch untereinander. Der jahvistische Bericht gibt der Ziffer sieben jene Bedeutung, die sie so oft in assyrischen Berichten, so auch im Izdubar-Epos besitzt. Es fehlt ferner nicht an anderen kleineren Abweichungen, so in Bezug auf die ausgesendeten Vögel, und dass der babylonische Noah, wie Gen. V, 23 von Henoch erzählt wird, zu den Göttern entrückt wird. 

Die wesentliche und bezeichnende Verschiedenheit liegt aber darin, dass die gesammte Darstellung in der Genesis jene Färbung angenommen hat, welche die Tradition bei einem binnenländischen Volke annehmen musste. (94) Oft schon ist darauf aufmerksam gemacht worden, dass hier mangelnde Vertrautheit mit dem Meere bemerkbar wird. In der That fehlt der Steuermann und aus dem Schiffe wird ein Kasten oder Koffer, eine 'Arche'. Selbstverständlich ist keine Rede von all' den Gottheiten, welche die Naturkräfte versinnlichen sollen, aber es tritt dafür namentlich in den jahvistischen Theilen die unmittelbare, persönliche Thätigkeit der Gottheit sehr hervor, wie bei dem Verschliessen des Kastens (Gen. VII, 16). 

Dabei verwandeln sich zuerst die Berathung der Götter, welche der Fluth vorangeht, und dann die besänftigende Anrede Ea's an Bel, durch welche die Gefühle der Gnade nach der Katastrophe wieder wachgerufen werden, in bemerkenswerther Weise in zwei Selbstgespräche Jahveh's, welche schon seit langer Zeit Befremden unter den Bibelforschern hervorgerufen haben. Selbst die hier sonst benützte ed. Tischendorf bringt nicht den ursprünglichen Text. Sie sagt VIII, 21 : Odoratusque est Dominus odorem suavitatis et ait: — da doch nach S. Hieronymus zu sagen wäre: et ait ad cor suum: — entsprechend bei Luther: Und der Herr roch den lieblichen Geruch und sprach in seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen. ... (95) 

Für uns ist die Darstellung der Genesis eine entlehnte Darstellung, doch unzweifelhaft auf dasselbe Ereigniss sich beziehend. 

Wir gehen zu einer dritten Gruppe, den Aegyptern. Die Frage nach dem Bestande einer einheimischen Sintfluth-Tradition ist hier von besonderer Bedeutung, da das Ereigniss am unteren Euphrat in eine Zeit fällt, in welcher seit lange schon ägyptische Cultur blühte, und das Fehlen einheimischer Berichte als ein Beweis dafür angesehen werden darf, dass die Katastrophe das Mittelmeerbecken nicht erreicht hat. In der That ist das Wenige, was sich von ägyptischen Ueberlieferungen hieher beziehen lässt, so abweichend, dass entweder die wenigen Anknüpfungspunkte nur als eine scheinbare oder zufallige Uebereinstimmung anzusehen sind, oder dass eine gänzliche Umgestaltung der aus der Fremde erhaltenen Ueberlieferung durch den Einfluss der Priester angenommen werden muss. 

Der ausführlichste Rest ägyptischer Mythologie, welcher hieher bezogen werden könnte, ist der Bericht über die Vernichtung der Menschen durch die Götter, welcher die vier Wände einer entlegenen Kammer in dem weiten Grabe Seti I. (etwa 1350 v. Chr.) zu Theben bedeckt. 

Der wesentliche Inhalt lautet nach Brugsch folgendermassen: (96) 

Ra beruft den Rath der Götter. Ra zürnt den Menschen und klagt, dass sie Reden gegen ihn führen. Ihr Untergang wird beschlossen. Die Göttin Hathor vollzieht das Werk. Sie kehrt zurück und wird von Ra belobt; bis Herakleopolis ist das Land mit Blut bedeckt. 

Ra ruft alle seine Boten zusammen und lässt Menschenblut und Früchte der Alraune in Gefässe füllen; siebentausend Krüge des Getränkes werden bereitet. Ra kommt am nächsten Morgen, um diese Krüge zu sehen. Und es war Niemand von den Menschen vernichtet worden, welche zur rechten Zeit aufwärts gezogen waren. Hierauf spricht die Majestät des Ra: Diese sind die Guten! Ich werde die Menschen beschützen darum. 

Ra befiehlt, in der Nacht das Nass aus den Krügen zu schütten, und die Felder werden mit Flüssigkeit bedeckt. Es kommt am Morgen die Göttin und sieht die überflutheten Felder; sie ist erfreut und sie trinkt davon; ihre Seele wird fröhlich, und sie erkennt nicht die Menschen. 

Die fernere Fortsetzung des Mythos, die Geburt der Priesterinnen, die weitere Reue Ra's, das Wiedererscheinen von Menschen, ihre Versöhnung mit Ra, wie Ra den einzelnen Gottheiten ihre Aufgaben zutheilt und sich selbst zurückzieht, — das Alles steht mit der Sintfluth nicht in Verbindung. 

Es ist vielmehr die Frage, ob auch in dem vorhergehenden Theile irgend eine solche Verbindung nachweisbar ist. Der Rath der Götter, die Vernichtung, die nachfolgende Gnade der Gottheit, sogar das Versprechen, nicht zu wiederholen, sind vorhanden. Die Katastrophe selbst ist aber von ganz verschiedener Art. Hathor vollzieht das Gericht auf blutige Weise. Nachträglich erst ist von einer Ueberfluthung die Rede, doch offenbar nicht im Sinne einer Strafe. 

Allerdings ist bemerkt worden, es sei jede Ueberschwemmung für das ägyptische Volk so sehr mit den Begriffen des Reichthums und des Lebens verbunden, dass es nothwendig gewesen sei, die ursprüngliche Ueberlieferung zu ändern und dem Gerichte Ra's eine andere Gestalt zu geben. (97) Hierüber sind verschiedene Ansichten zulässig. Es geht aber aus der ganzen Darstellung hervor, dass in Aegypten selbst die grosse Katastrophe nicht eingetreten ist und in dem ägyptischen Volke die Erinnerung an ein solches Ereigniss nicht bestand, wenn auch vielleicht chaldäische Berichte zur Kenntniss der Priester gekommen sind und man ihre Spuren in diesem Mythos suchen mag. Brugsch leugnet jede Beziehung zu dem chaldäischen Mythos. 

Die vierte Gruppe bilden die hellenisch-syrischen Berichte. Bei ihrer Vergleichung darf man nicht übersehen, dass die Küsten des östlichen Mittelmeeres, auch die hellenischen Gestade, im Alterthume wie in neuerer Zeit häufig von seismisch erregten Fluthen überspült worden sind. Ein Beispiel seismischer Bewegung des Meeres, welches nicht wenig an den Untergang des Pharao Menephtah erinnert, trat im Jahre 479 v. Chr. ein, als Artabazus die Stadt Potidaea belagerte, welche den Zugang zur Halbinsel Pallena, dem westlichen Vorgebirge der Chalcidyce, abschloss. Herodot erzählt, wie die Belagerer eines Tages eine beträchtliche Ebbung des Meeres wahrnahmen, durch welche die Bucht gangbar wurde, wie sie dieselbe gegen Pallena durchqueren wollten und plötzlich von der rückkehrenden Fluth ereilt wurden. (98) Es sind noch viele andere und weiter in's Land reichende Fluthen derselben Art aus Hellas bekannt; J.Schmidt hat mehrere Beispiele aufgezählt. (99) 

Unter solchen Verhältnissen ist es begreiflich, dass in Hellas Traditionen von wiederholten Fluthen vorhanden waren, so jener des Ogyges, des Deukalion, des Dardanos; daneben bestanden vereinzelte Ueberlieferungen auf den Inseln, wie auf Samothrake. An diese und insbesondere an die Berichte von der Fluth des Deukalion wurden einzelne Theile der chaldäischen Ueberlieferung, wie von der Rettung in einem schwimmenden Kasten, dem Mitnehmen von Thieren und dem Aussenden von Vögeln, namentlich einer Taube, geknüpft. Bezeichnend aber für diese Gruppe von Ueberlieferungen ist ihre Verbindung mit einer Ceremonie, welche hier noch nicht erwähnt worden ist. Es ist dies die Todtenfeier, welche zur Erinnerung an die Fluth des Deukalion zu Athen jährlich am 13. des Monats Anthesterion gefeiert wurde. Hieher gehört nach Mommsen's Darstellung die Wasserspende, Hydrophoria, und die Darbringung von Honig mit Zuthat von Mehl an dem Erdschlunde, in welchen das Wasser der Deukalionischen Fluth hineingeströmt sein sollte. Der Erdschlund liegt ausserhalb des lenäischen Bezirkes, jedoch benachbart, beim Tempel des olympischen Zeus. (100) 

Eine vollständige und merkwürdige Wiederholung der Ceremonie der Hydrophoria trifft man in der Beschreibung des Tempels zu Hierapolis am oberen Euphrat, welche in der mit Recht oder Unrecht Lucian zugeschriebenen Schrift 'von der syrischen Göttin' enthalten ist. (101) 

Die betreffenden Stellen lauten wie folgt: 

'Die Meisten sagen, dass Deukalion Sisythes (102) das Heiligthum erbaut habe, dieser Deukalion, unter welchem die grosse Wasserfluth stattfand. Von Deukalion hörte ich auch in Hellas die Sage, welche die Hellenen von ihm erzählen, die sich folgendermassen verhält: . . . Nun wird die Schlechtigkeit der ersten Menschen erzählt. — 'Zur Strafe,' — heisst es dann — 'traf sie grosses Unglück. Sogleich sandte die Erde aus ihrem Schoosse eine Menge Wasser empor, gewaltige Regengüsse traten ein, die Flüsse schwollen an, und das Meer ergoss sich weithin über das Land, bis Alles Wasser wurde und Alle umkamen, nur Deukalion blieb von den Menschen allein ... Er hatte nämlich einen Kasten gebaut und seine Familie, sowie Paare von allerlei Gethier waren in den Kasten getreten. Alle fuhren in dem einen Kasten, so lange das Wasser anhielt. So erzählen die Hellenen über Deukalion.'

'Hiezu fügen die Bewohner der heiligen Stadt eine höchst merkwürdige Geschichte: es sei in ihrem Lande eine grosse Erdöffnung entstanden, und diese habe alles Wasser aufgenommen: Deukalion aber habe, nachdem dies geschehen sei, Altäre errichtet und neben der Erdöffnung den Tempel zu Ehren der Here erbaut. Die Erdöffnung sah ich, es befindet sich unter dem Tempel eine sehr kleine. Ob sie in alten Zeiten gross war und jetzt so geworden ist, weiss ich nicht: die ich sah, ist sehr klein. Zum Zeichen und Gedächtniss dieser Geschichte thun sie Folgendes: zweimal in jedem Jahre wird Wasser aus dem Meere in den Tempel gebracht. Dies tragen nicht allein die Priester, sondern ganz Syrien und Arabien, ja von jenseits des Euphrat ziehen viele Menschen zum Meere hinab, und Alle tragen Wasser; zuerst giessen sie es im Tempel aus, dann geht es in die Erdöffnung, und die kleine Erdöffnung nimmt eine grosse Menge Wasser auf. Und bei dieser Ceremonie sagen sie, Deukalion habe dieselbe im Tempel zur Erinnerung an das Unglück und seine Wohlthat eingesetzt. Dies ist ihre alte Sage über des Heiligthum.' 

An späterer Stelle wird erzählt, dass im Innern des Tempels ein Götterbild der Here stehe und ein anderes desjenigen Gottes, 'den sie obgleich es Zeus ist, mit einem andern Namen benennen'. 'Zwischen beiden steht eine andere goldene Bildsäule ... Die Assyrer selbst nennen sie das Zeichen, geben ihr keinen besonderen Namen und wissen nichts von ihrem Ursprunge, noch von ihrer Gestalt zu sagen. Einige beziehen sie auf Dionysos, andere auf Deukalion, noch andere auf Semiramis. Es befindet sich nämlich auf ihrem Kopfe eine goldene Taube: aus diesem Grunde will man, dass sie die Semiramis darstellt. Zweimal in jedem Jahre wird sie nach dem Meere geschafft, um das Wasser, von dem die Rede war, zu holen.'

Diese Erzählung habe ich ausführlicher angeführt, weil sie ein gutes Beispiel der Vermengung und der Uebertragung von Mythen gibt. Vergessen wir zuerst nicht, dass Lucianus in dem zweiten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung lebte, und der Bericht folglich unvergleichlich viel jünger ist als alle bisher erwähnten. Gleich an seiner Spitze ist der Name Deukalion (103) mit dem hellenisirten Hasis-Adra oder Xisuthros, hier Sisythes, vereinigt. Obwohl das Heiligthum am oberen Euphrat steht, wird der erste Theil ausdrücklich als Sage der Hellenen angeführt, welcher doch in allen wesentlichen Theilen mit der uralten chaldäischen Ueberlieferung übereinstimmt. Sogar die drei verschiedenen Formen der Ueberfluthung, aus der Erde, vom Himmel und vom Meere her, sind erwähnt. 

Im zweiten Theile verbindet die Hydrophoria das weit landeinwärts liegende Heiligthum mit dem Meere; wir mögen hellenische Sitte darin sehen, wenn auch die Taube auf dem Haupte jener Gottheit, welche angeblich zweimal im Jahre die Reise zum Meere machen musste, ganz an die chaldäischen Berichte mahnt. 

So ist die Sintfluthsage vom unteren Euphrat auf verzweigten Wegen nach Hellas und von dort, wie es scheint, wieder zurück an den oberen Euphrat gelangt, und es fragt sich nun, warum gerade hier in Hierapolis absorbirende Spalten angegeben wurden. Solche Spalten werden bei Erderschütterungen wirklich zuweilen gebildet; die bereits erwähnte Entwässerung des Lake Eulalie im Thale des Mississippi ist auf diese Weise vor sich gegangen, und Hierapolis (Mambedj) liegt in der That auf der grossen Erdbebenzone von Antiocheia. Die wahre Ursache dürfte aber eine einfachere sein. Rey hat die Ruine des Tempels gesehen und einen Plan derselben veröffentlicht; sogar von einem Fischteiche innerhalb der Umfassung des Heiligthums, den der alte Bericht erwähnt, ist heute noch ein Rest vorhanden, und Rey vermuthet, dass unterirdische Wasserläufe, welche in der Stadt vorhanden sind, die Wiederholung der Fabel von dem die Sintfluth absorbirenden Schlünde und die Entstehung des Heiligthums veranlasst haben dürften. (104) — 

Es ist nicht meine Absicht, in der Vergleichung dieser aus dem chaldäischen Ereignisse ganz oder zum Theile abgeleiteten Darstellungen noch weiter zu gehen. 

Vier Gruppen haben wir kennen gelernt. Die erste, das Izdubar-Epos und die Bruchstücke des Berosus, steht dem Ereignisse selbst am nächsten. Die zweite, die beiden Berichte der Genesis umfassend, schliesst sich nahe an und weicht hauptsächlich ab durch die geringe Kenntniss der Seeschifffahrt. Die dritte Gruppe ist die ägyptische; nur ein einziger Bericht, aber der wichtigste, wurde erwähnt. Die Vernichtung der Menschen wird nicht durch eine Fluth, sondern durch die blutvergiessende Hathor ausgeführt; eine Fluth erscheint in untergeordneter Rolle nach dem Strafgerichte. Der Zusammenhang mit der chaldäischen Sage ist sehr lose und kann sogar überhaupt angezweifelt werden. Die vierte Gruppe ist die jüngste. Es sind die hellenisch- syrischen Traditionen; sie umfassen mehrere, wahrscheinlich seismische Fluthen, welche Theile von Hellas oder alle Küsten desselben betroffen haben und an welche chaldäische Anklänge und die Ceremonie der Hydrophoria geknüpft worden sind. 

Aus keinem dieser Berichte lässt sich eine Ausbreitung des Ereignisses von Surippak bis in das Becken des Mittelmeeres erweisen. 

Bei dem hohen Alter ägyptischer Cultur und der Fremdartigkeit des dortigen Mythos lässt sich im Gegentheile mit nicht geringer Sicherheit annehmen, dass das Mittelmeerbecken nicht erreicht wurde. 

Die heiligen Bücher der Inder enthalten mehrere Berichte von einer grossen Fluth, und zwar sowohl in der Rig-Veda, als in jüngeren Schriften. Viele Umstände sprechen dafür, dass Satyavrata in der Bhâgavata-Purâna, welchem von Vischnu die grosse Fluth verkündet wird, und welcher gerettet wird als Bewahrer der heiligen Schriften, dieselbe Persönlichkeit sei wie Hasis-Adra, wobei noch hinzutritt die aus Berosus bekannte Episode der heiligen Schriften. Aber all' diese unter mannigfaltigen Umgestaltungen erkennbaren Anklänge an die chaldäische Ueberlieferung deuten wohl an, dass die Tradition von dem grossen Ereignisse hieher getragen worden sei, nicht aber, dass die Fluth selbst hieher gereicht habe. Schon dass in dem ältesten dieser Berichte, in der Rig-Veda, der gerettete Manu Vaivasvata sein Schiff an einer der Hochspitzen des Himalaya befestigt, zeigt, dass die Sage aus fremdem Lande eingeführt und in gänzlich naturwidriger Weise localisirt worden ist. 

Von weit grösserer Bedeutung erscheinen mir die chinesischen Berichte. 

Die Schriften der Chinesen reichen bis in das dritte Jahrtausend v. Chr. zurück; diese alten Bücher sind historische Aufzeichnungen; frei von allen Wundern, ohne den Anspruch auf eine höhere Offenbarung, erzählen sie in der Regel in nüchterner und bestimmter Sprache die Begebenheiten. Das bedeutendste derselben ist der Schû-King, das Buch der geschichtlichen Documente; es wurde durch Legge's treffliche Ausgaben dem europäischen Leser eröffnet. (105) 

Aus dem Schû ist ersichtlich, dass unter der Regierung des Kaisers Yâo eine grosse und verheerende Ueberfluthung China bedeckte. Das Jahr des Regierungsantrittes des Kaisers Yâo setzen wir, nachdem J. B. Biot aus astronomischen Angaben diese ziemlich allgemein angenommene Ziffer für richtig hält, mit Legge auf 2357 v. Chr. Yâo regiert siebzig Jahre. Er beruft zuerst Khwan, dem durch die Ueberschwemmung herbeigeführten Uebel zu steuern. 

Im Schû, Canon des Yâo, 3 lautet die betreffende Stelle: 'Der Ti sagt: Fürst der Vier Berge, zerstörend in ihrem Ueberfliessen sind die Wässer der Ueberschwemmung. In ihrer weiten Ausdehnung umfassen sie die Berge und überdecken die grösseren Höhen, bedrohend die Himmel mit ihren Fluthen, so dass das niedere Volk unzufrieden ist und murrt! Wo ist ein fähiger Mann, welchen ich beauftragen könnte, diesem Uebel zu steuern?' (106) 

Durch neun Jahre bemüht sich Khwan vergebens; hierauf wird Yü berufen. Binnen acht Jahren vollendet er grosse Werke; er lichtet die Wälder, regelt die Ströme, dämmt sie ein und öffnet ihre Mündungen, schafft der Bevölkerung Nahrung und ordnet als grosser Wohlthäter das ganze Reich. 

Der dritte Theil des Schû, welchen die Bücher von Hsiâ ausmachen, bildet in seinem ersten Buche unter dem Titel 'Yü-king' oder 'der Tribut des Yü' nicht nur eine eingehende Darstellung der von Yü durchgeführten Arbeiten, sondern den Umriss einer Landesbeschreibung, welche Flüsse, Gebirge und Seen und die Hilfsmittel der Provinzen aufzählt. Es ist unmöglich, diesen ehrwürdigen Rest einer uralten Staatsverwaltung zu lesen, ohne zu Empfindungen der höchsten Achtung geführt zu werden gegen eine Nation, welche solche Berichte aus so ferner Zeit besitzt, und welche durch die folgenden Jahrtausende solchen Thaten des Friedens und der Volkswohlfahrt den höchsten Ruhm zuerkennt. 

F. v. Richthofen war durch seine ausgebreitete Kenntniss des Landes in den Stand gesetzt, aus dem Yü-king den Verlauf der Ströme vor viertausend Jahren zu ermitteln, und zu erweisen, dass seither die grosse Ebene keine grossen Veränderungen erlitten hat, mit Ausnahme jener, welche durch Menschenwerk, durch den Wechsel im Laufe des gelben Flusses und durch das Anwachsen der Küste verursacht wurden. Zugleich aber wurde durch Richthofen's Nachweisungen die von Ed. Biot, ja bis zu einem gewissen Grade von Legge selbst bezweifelte Genauigkeit der Angaben über Yü's grosse Arbeiten mit dankenswerther Ausführlichkeit sichergestellt. (107) 

Einzelne Missionäre haben, wenn auch nur in sehr umschränkter Weise, in dieser Ueberfluthung einen Anklang an die biblische Sintfluth vermuthet; Bunsen ist dieser Vermuthung mit grosser Schärfe entgegengetreten; in neuerer Zeit scheint man geneigt, dieselbe dem Ho zuzuschreiben, welcher auch seither so grosse Verwüstungen angerichtet hat, dass man ihn 'den Kummer China's' nennt. Zu dieser Ansicht bekennt sich auch Legge. (108) Nichts scheint näher zu liegen als diese Annahme. Leider sind, neben der Ausführlichkeit, mit welcher Yü's Reisen und Arbeiten geschildert werden, die Angaben über die Entstehung der Fluth sehr unvollständig. Man sieht nur, dass durch lange Zeit Wasserflächen auf dem Lande gestanden sind, und dass die eingetretene Störung der Lebensverhältnisse eine beträchtliche war. (109) 


Die Ergebnisse lassen sich in folgender Weise zusammenfassen:

1. Das unter dem Namen der Sintfluth bekannte Naturereigniss ist am unteren Euphrat eingetreten und war mit einer ausgedehnten und verheerenden Ueberfluthung der mesopotamischen Niederung verbunden. 

2. Die wesentlichste Veranlassung war ein beträchtliches Erdbeben im Gebiete des persischen Meerbusens oder südlich davon, welchem mehrere geringere Erschütterungen vorangegangen sind. 

3. Es ist sehr wahrscheinlich, dass während der Periode der heftigsten Stösse aus dem persischen Golf eine Cyklone von Süden her eintrat. 

4. Die Traditionen anderer Völker berechtigen in keiner Weise zu der Behauptung, dass die Fluth über den Unterlauf des Euphrat und Tigris hinaus oder gar über die ganze Erde gereicht habe. 

Dieser Vorfall ist es nun, welcher unter ganz verschiedenen Voraussetzungen, durch eine sonderbare Verkettung der Umstände und nachdem er durch Jahrtausende der Erinnerung der Völker eingeprägt geblieben war, aus den heiligen Büchern des Alterthumes in die geologische Wissenschaft Ausdrücke wie: 'Diluvium', 'Diluvial-Formation' und 'diluviale Ablagerungen' herübertreten liess. Er ist heftig und zerstörend gewesen, aber es fehlt der Beweis für seine weite Ausbreitung. In schlichten Worten stellen sich dem Geologen seine Hauptzüge etwa folgendermassen dar: 

In einer andauernden seismischen Phase mag durch Erdstösse zu wiederholten Malen das Wasser des persischen Meerbusens in das Niederland an den Mündungen des Euphrat geworfen worden sein. Durch diese Fluthen gewarnt, baut ein vorsichtiger Mann, Hasis-Adra, d. i. der gottesfürchtige Weise genannt, ein Schiff zur Rettung der Seinigen und kalfatert es mit Erdpech, wie man heute noch am Euphrat zu thun pflegt. Die Bewegungen der Erde nehmen zu; er flüchtet mit den Seinigen in das Schiff; das Grundwasser tritt aus dem geborstenen Flachlande hervor; eine grosse Depression des Luftdruckes, bezeichnet durch furchtbaren Sturm und Regen, wahrscheinlich eine wahre Cyklone, vom persischen Meerbusen hereintretend, begleitet die höchsten Aeusserungen der seismischen Gewalt; das Meer fegt verheerend über die Ebene, erhebt das rettende Fahrzeug, spült es weit landeinwärts und lässt es an jenen miocänen Vorhügeln stranden, welche unterhalb der Mündung des kleinen Zab die Niederung des Tigris gegen Nord und Nordost umgrenzen. 

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Das Literaturverzeichnis zu den Fußnoten des Textes kann man bei Interesse z.B. hier bei archive.org nachlesen.