Am nächsten Morgen erwachen Adam und Eva und sie erzählt ihm ihren seltsamen Traum:

Ging ich dann meinen Pfad und wie mich dünkt
Allein dahin, wo plötzlich mir der Baum
Verbotener Erkenntniß stand genüber;
Schön war er, und weit schöner noch im Traum,
Als wie bei Tag; und wie ich staunend blickte
Stand seitwärts Einer, jenen Engeln gleich
An Schwingen und Gestalt, die oft wir sehn;
Ambrosia troff aus den bethauten Locken;
Auch er bestaunte diesen Baum und sprach:

 

O holde Pflanze, reich mit Frucht beladen,
Erleichtert Niemand Deine Last und kostet
Von Deiner Süße, weder Gott noch Mensch?
Verschmäht man so Erkenntniß? Ist es Neid,
Denn welcher Rückhalt kann es sonst verbieten?
Verbiet' es, wer da will, doch Niemand soll
Dein dargereichtes Gute mir entziehn;
Denn weshalb wärst Du sonst hieher gepflanzt?
Er sprach's und ohne Zögern brach er Früchte
Mit kühnem Arme sich und kostete:
Eiskalter Schauder überlief mich da
Ob dieser Frevelwort' und Frevelthat.
Er aber sprach entzückt: O Götterfrucht,
Süß an sich selbst, doch süßer so gepflückt,
Verboten, weil Du Göttern nur gebührst,
Doch Götter auch aus Menschen schaffen kannst,

Adam beruhigt Eva
Illustration aus Übersetzung von Zachariä

Adam beruhigt sie, sie begrüßen den neuen Morgen mit einem lyrischen Gebet und gehen an ihr Tagewerk. Gott beobachtet sie und sendet Raphael aus, um sie noch einmal zu warnen. Man fragt sich warum, denn in seiner Allwissenheit kennt er ja wie schon beschrieben den Ausgang, doch er nennt den Grund:

Gieb ihm die Warnung, daß er auf der Hut
Vor der Verirrung; zeig' ihm die Gefahr
Und welcher Feind ihm droht, der selber jüngst
Vom Himmel fiel, und nun mit allen Ränken
Glückselige vom Thron zu stürzen sucht;
Nicht mit Gewalt, denn dies ist ihm verwehrt,
Doch durch Betrug und Lüge; meld' ihm dies,
Damit er nicht, mit Vorsatz sündigend,
Als Vorwand Ueberraschung nennen kann.

 

Raphael macht sich auf den Weg und wird von Adam und Eva fürstlich empfangen.

Raphael besucht Adam und Eva
Robert Pollard - Raphael's Visit to Adam and Eve, 1792

Sie schmausen, unterhalten sich, und Raphael erinnert noch einmal an den freien Willen:

Daß jetzt Du glücklich bist, verdankst Du Gott,
Daß Du es bleibst, verdankest Du Dir selbst,
Das heißt, wenn treu Du im Gehorsam bist.
Dies ist die Warnung, die Dir Gott gestellt.
Drum sei auf Deiner Hut. Vollkommen zwar
Er schuf Dich Gott, jedoch auch wandelbar.
Er schuf Dich gut, doch überließ er's Dir
Auch gut zu bleiben. Freier Wille ward
Dir von Natur, vom unvermeidlichen
Geschick nicht und Nothwendigkeit beherrscht.
Freiwilligen Dienst verlangt er, nicht erzwungnen,
Denn solchen wird er nie genehmigen,
Und kann's auch nie, denn könnten jemals wol
Unfreie Herzen einer Probe stehn,
Ob willig sei ihr Dienst, da sie nur wollen,
Was ohne Wahl sie durch Verhängniß müssen?

 

Das gilt auch für die Engel:

Frei dienen wir, weil wir freiwillig auch
Ihn lieben, weil's in unserm Willen liegt
Zu lieben oder nicht, was unser Glück,
Was unser Fall ist; ein'ge sind gefallen
Durch Ungehorsam aus dem Himmelsglanz
Zur tiefsten Hölle. Welch ein grauser Fall
Von höchster Seligkeit in endlos Weh!

 

Wie kam es dazu? Raphael erzählt, wie sich im Himmel alle Engel versammelten. Gott erschien mit seinem Sohn und verkündete:

Hört all' ihr Engel, Kinder ihr des Lichts,
Ihr Throne, Fürsten, Tugenden und Kräfte,
Hört meinen Rathschluß, der unwiderruflich
Bestehen soll! Ihn hab ich heut gezeugt,
Ihn, den ich jetzt als einz'gen Sohn erkläre,
Den ich auf diesem heil'gen Berg gesalbt,
Und den ihr jetzt zu meiner Rechten seht,
Zu eurem Haupt ernenn' ich ihn und schwur
Mir selber zu, daß sich ein jedes Knie
Im Himmel vor ihm beuge, so als Herrn
Ihn anerkennend; bleibet unter Ihm
Als untheilbare Seele stets vereinigt,
Auf ewig selig; wer ihm ungehorsam,
Der ist es mir, bricht die Vereinigung
Und stürzt, von mir verstoßen, selben Tags
In tiefste Nacht, vom Abgrund wild verschlungen,
In heillos Graun, endlos, erlösungslos!

 

Alle feiern diese Verkündigung, singen, jubilieren ohne Unterlass, nur einer nicht:

Doch so nicht wachte Satan, so genannt
Seit man im Himmel seinen Namen tilgte;
Der Ersten Einer, – wenn auch nicht der erste
Erzengel, groß an Geist, Gewalt und Rang,
Doch neidisch gegen Gottes großen Sohn,
Der selbigen Tags von seinem ew'gen Vater
Geehrt ward und als ein gesalbter König,
Als ein Messias ward verkündet, – konnte
Aus Stolz den Anblick nimmermehr ertragen;
Er hielt sich für entehrt. Von Bosheit drum
Und Groll durchdrungen, faßt er den Beschluß,
Sobald als Mitternacht im Dunkel naht,
Am günstigsten dem Schlummer und der Stille,
Mit allen seinen Schaaren aufzubrechen,
Anbetungslos und ungehorsam Gott
Den höchsten Thron verächtlich zu verlassen

 

Durch List und Lügen schafft er es, ein Drittel des Himmelsheeres fortzuführen. Das bleibt Gott nicht verborgen.

Er sah, wie die Empörung sich verbreitet
Bei jener Engelschaar der Morgensöhne,
Wie sie vereinigt waren, seinen Rathschluß
Durch wilde Widersetzung zu bekämpfen,
Und lächelnd sprach er zu dem einz'gen Sohn:

 

»Mein Sohn, in dem sich meine Herrlichkeit
Ganz widerstrahlt, Du Erbe meiner Macht,
Jetzt gilt es, unsre Allmacht uns zu sichern,
Und auch, mit welchen Waffen wir das Recht
Auf Herrschaft oder Göttlichkeit behaupten.
Ein Feind erhebt sich, der im weiten Norden
Sich einen Thron, an Macht dem unsern gleich,
Errichten will, zugleich hegt er im Sinn,
Im Kampf zu prüfen, was wol unser Recht
Und unsre Macht. Laß uns erwägen drum,
Und unsre Kräfte rasch zusammenziehn,
Die uns geblieben noch in der Gefahr,
Laß Alles jetzt uns zur Vertheidigung einen,
Damit wir unvermuthet nicht den Thron,
Dies Heiligthum, den hohen Stand verlieren.«

 

Mit göttlichheiterm, leuchtendklarem Blick
Erwidert ruhig der geliebte Sohn:
»O! mächt'ger Vater, Du verhöhnst mit Recht
Die Feinde dort, und spottest ihrer Pläne
Und ihres Treibens, das mir Ruhm verheißt.
Ihr Haß verherrlicht mich, wenn sie die Macht
Mir übertragen sehn, um ihren Stolz
Zu bänd'gen, und durch Thaten zu beweisen,
Ob ich Empörer zu bestehn vermag,
Ob ich im Himmel der Geringste bin.«

 

So sprach der Sohn; doch Satan rückte schon
Weit vorwärts mit der hastbeschwingten Schaar,
Ein Heer, unzählbar wie die nächt'gen Sterne,

 

Er hat seine Leute noch immer mit falschen Gründen zusammengerufen und -gehalten. Langsam wird er deutlicher:

Denn hier versammelt' er die ganzen Schaaren,
Und gab als Vorwand ihnen das Geheiß,
Den großen König würdig zu empfangen.
Und unterm Schein der Wahrheit schafft er sich,
Verleumderischer Künste voll, Gehör:

 

»Ihr Herrscher, Fürsten, Mächtigthronende,
Wenn von den prächt'gen Titeln anders noch
Mehr bleibt als nur der Name, weil ein Andrer,
Durch Gottes Rathschluß alle Macht gewonnen,
Und mit dem Namen des gesalbten Königs
Uns ganz verdunkelt hat, für welchen jetzt
All' diese Hast des mitternächtigen Zugs
Uns zur Versammlung trieb, um zu berathen:
Wie wir am würdigsten mit neuen Ehren
Ihn hier empfangen können, wenn er naht, –
Mit Knietribut, den wir noch nie gezollt,
Schon viel zu viel für Einen! aber doppelt
Entwürdigend für diesen Zweiten, den
Er als sein Abbild offen ausgerufen?
Wie? wenn ein bessrer Rath die Herzen stärkte
Und lehrte von dem Joch uns zu befrein?
Wollt lieber ihr den Nacken drunter schmiegen
Und die geschmeid'gen Kniee beugen? – Nein!
Das wollt ihr nicht, wenn anders ich euch kenne,
Und ihr euch selbst, als Eingeborene
Des Himmels, der zuvor nur euer war,
Ihr, wenn nicht alle gleich, doch sämmtlich frei,
Und in der Freiheit gleich, denn Rang und Stand
Entfernt nicht Freiheit, sondern wächst in ihr.
Wer also kann denn mit Vernunft und Recht
Die Herrschaft über solche sich erzwingen,
Die nach dem Rechte seines Gleichen sind,
An Freiheit gleich, wenn minder auch an Macht?
Wer kann Gesetz uns geben, da wir ohne
Gesetz noch nie geirrt? Viel weniger
Solch ein Gesetz, das einen Herrn uns giebt,
Den wir anbeten sollen, wie zur Schmach
Der königlichen Titel, die beweisen,
Daß wir nur herrschen, nimmer dienen sollen.«

 

Ein Seraph namens Abdiel widerspricht ihm:

Unrecht nennst Du,
Durch ein Gesetz die Freien binden wollen,
Den Gleichen über Gleiche herrschen lassen,
Und über Alle mit der größten Macht.
Willst Du Gesetze denn dem Höchsten geben?
Und mit ihm rechten über Freiheitspunkte,
Der Dich zu dem geschaffen, was Du bist,
Der alle Himmelskräfte bildete,
Wie's ihm gefiel, und der ihr ganzes Wesen
Beschränkte? Die Erfahrung lehrt uns ja,
Wie gut er und besorgt für unser Wohl
Und unsre Würde waltet, wie so fern
Von dem Gedanken, zu verkleinern uns,
Wie er nur unser Glück zu fördern strebt,

 

Satan bezweifelt, von Gott geschaffen worden zu sein:

»Du sagst, daß also wir geschaffen wurden,
Ein Werk von zweiter Hand, dem Sohne nur
Vom Vater aufgetragen! Seltsam neue
Behauptung! sprich, von wem die Lehre Du
Erlernt? wer sah's, als diese Schöpfung ward?
Erinnerst Du Dich Deines Ursprungs noch,
Da Dir der Schöpfer Form und Leben gab?
Wir kennen keine Zeit, da wir nicht waren,
Was jetzt wir sind, wir kennen vor uns Keinen,
Denn wir sind selbst erzeugt und selbst entstanden
Durch eigne Kraft, als des Geschickes Lauf
Den Kreis vollendet, als der Himmel uns
Als Aethersöhne selbst im Schooß gebar.
Die Macht, die wir besitzen, ist uns eigen.
Die eigne Rechte lehrt uns höchste Thaten,
Um durch Versuch zu prüfen, wer uns gleicht.
Dann sollst Du sehn, ob wir demüthig uns
Vor ihm erweisen und den Thron der Allmacht
Mit Bitten oder Flehn umringen werden.
Die Antwort, den Bericht vermelde nun
Ihm, dem gesalbten König, flieh jedoch,
Bevor Verderben in der Flucht Dich hemmt.«

 

Aber auch Abdiel bleibt stur:

»Du gottvergeßner und verfluchter Geist,
Fremd allem Guten! Deinen Fall gewahr' ich,
Und Dein unselig Heer in treuelosen
Betrug verstrickt, wie Deine Schuld und Strafe!
Nicht kümmre Dich, wie Du fortan das Joch
Des göttlichen Messias meiden werdest,
Solch ein Gesetz der Milde wird Dir ferner
Nicht mehr gewährt, denn andere Beschlüsse,
Sind gegen Dich und ohne Widerruf.
Das goldne Scepter, welches Du verworfen,
Zum Eisenstabe wird's, im Dich zu geißeln
Und Deinen Trotz zu brechen. Wol gemahnt
Hast Du mich, aber nicht der Drohung wegen
Meid' ich jetzt diese schwerverfluchten Zelte,
Nein nur aus Furcht, daß die gewicht'ge Rache
In Flammenwuth nicht unterscheiden würde,
Denn bald wird Dich verzehrend Feuer treffen,
Und seinen Donner wird Dein Haupt empfinden.
Wehklagend lerne dann, wer Dich erschuf,
Sobald Du den erkennst, der Dich vernichtet.«

 

So sprach der treue Seraph Abdiel,
Allein getreu in der Verrätherschaar,
In jener Menge Falscher unbewegt,
Und unerschüttert, standhaft, unverführt
Bewahrt er seine Liebe, seinen Eifer.
Nicht Zahl noch Beispiel macht ihn wandelbar,
Vom Wahrheitpfad zu lassen oder nur
Den Sinn zu ändern, stand er auch allein.
Fort schritt er durch den Schwarm und duldete
Den Spott der Feinde muthig und erhaben,
Dann wandt er voll Verachtung sich hinweg
Von jenen stolzen Thürmen, deren Zinnen
So bald ein schneller Untergang ereilt.