Satan kommt, nachdem er den Bezirk der Erde durchmessen hat, mit überlegter List während der Nacht unter der Gestalt eines Nebels zurück und schlüpft in die Gestalt der schlafenden Schlange. Adam und Eva gehen am Morgen an ihre Arbeit, die jedoch Eva vorschlägt, an verschiedenen Orten, also jedes von ihnen gesondert, vorzunehmen. Adam stimmt dem nicht bei. Er führt als Grund die Gefahr an, daß jener Feind, vor dem sie gewarnt worden seien, sie versuchen möchte, wenn er sie allein fände. Eva jedoch, unwillig darüber, daß er sie nicht für vorsichtig und standhaft genug hält, besteht darauf, allein für sich zu gehen, nun noch mehr verlangend, ihre Kraft auf die Probe zu stellen. Schließlich gibt Adam nach. So findet die Schlange sie allein. Sie nähert sich sacht, staunt Eva zunächst an, dann redet sie zu ihr, indem sie sie mit vielen Schmeicheleien über alle anderen Geschöpfe erhebt. Eva, verwundert, die Schlange sprechen zu hören, fragt sie, wie sie die menschliche Rede und einen bis dahin an ihr unerhörten Verstand erlangt habe. Die Schlange antwortet, sowohl die Sprache wie den Verstand habe sie, die deren bisher beraubt gewesen sei, nur durch das Kosten der Frucht eines gewissen Baumes im Paradiesgarten erlangt. Eva fordert sie auf, sie zu jenem Baum zu führen, und entdeckt, daß es der ihnen verbotene Baum der Erkenntnis ist. Die jetzt kühner gewordene Schlange veranlaßt sie durch viele Listen und Beweisgründe, schließlich vom Baume zu essen. Entzückt von dem Geschmack, überlegt Eva zunächst eine Weile, ob sie Adam davon mitteilen soll oder nicht. Zuletzt bringt sie ihm von den Früchten und berichtet, was sie zum Genusse derselben verleitet hat. Adam ist zuerst starr über ihre Mitteilung, entschließt sich aber, durch die Stärke seiner Liebe zu ihr bewogen, als er sie verloren sieht, mit ihr zu verderben, und indem er ihr Vergehen beschönigt, ißt er ebenfalls von dieser Frucht. Die Folgen des Genusses bei beiden; sie bemühen sich, ihre Nacktheit zu verbergen, geraten in Uneinigkeit und klagen sich gegenseitig an.

Nach dieser Zusammenfassung aus der Übersetzung von Schuhmann noch ein paar ausgewählte Verse (aus der gleichen Übersetzung):

 

Zunächst der Dichter selbst, fast zu Beginn des Kapitels:

Zur Trauer stimmt sich meines Liedes Ton;
Denn schnöden Treubruch meldet es vom Menschen,
Abfall, Verrat und Trotz; vom Himmel aber
Entfremdung, Unzufriedenheit und Zorn,
Gerechten Tadel und den Urteilsspruch,
Der dieser Erdenwelt all unser Weh,
Die Sünd' und ihren Schatten Tod, und Elend,
Des Todes Boten, hat gebracht - ein Stoff,
Zwar schmerzlich, doch erhabner als Achills
Furchtbarer Grimm, der seinen fliehenden Feind
Dreimal um Trojas feste Mauern trieb,

Das würde ich persönlich jetzt nicht so sehen ...

 

Satan wiederholt noch einmal, dass dieser ganze Plan ihm selbst, und auch seinen Leuten in der Hölle, so gar nichts bringt:

Und Rache, süß im Anfang, schlägt gar bald
Mit herbem Weh sich selbst. Es sei - trifft Rache,
Da sie den Höhern nicht erreichen kann,
Nur jenen wohlgezielt, der meinen Neid
Zunächst erregt, des Himmels neuen Günstling,
Dies Erdgebild', den Menschen, den sein Schöpfer,
Zu größerm Hohn uns, aus dem Staub erhob;
Dann wird am besten Hohn mit Hohn vergolten!

 

Eva, als sie Adam nicht allein gehen lassen möchte:

Hat Treue, Lieb' und Tugend Wert, die nicht
Versuchung ohne fremden Halt besteht?
So mangelhaft, laß uns nicht glauben, hab'
Der weise Schöpfer unser Glück gemacht,
Daß es uns nicht, ob einzeln, ob zu zweien,
Gleich sicher sei. Hinfällig wär' es sonst,
Und Eden, so gefährdet, wär' kein Eden!

 

Satans Überredungskunst (in Gestalt der Schlange):

Verschlossen wär' dem Menschen, was dem Tier
Eröffnet ist? Ob so geringen Fehls
Kann Gott nicht zürnen. Wird er nicht vielmehr
Beloben euern unerschrocknen Mut,
Den Todesdräun nicht abschreckt, das zu tun,
Was zur Erkenntnis führt von Gut und Bös?
Nach Gutem forschen - löbliches Bemühn!
Und Böses, wenn es wirklich Böses gibt,
Müßt ihr's nicht kennen, wenn ihr's meiden sollt?
Gerecht - kann Gott euch drum nicht strafen; ungerecht -
Wär' er nicht Gott, verdient' er nicht Gehorsam;
So scheucht grad' eure Furcht die Todesfurcht!
Wozu sonst sein Verbot, als daß voll Scheu,
Unwissend, niedrig ihr ihm dienen mögt?
Er weiß: des Tags ihr esset von der Frucht,
Wird euer Aug', das euch so hell erscheint,
Doch jetzt nur blöde sieht, ganz aufgetan,
Und ihr erkennt das Gut' und Böse dann
Nicht minder klar, als es die Götter sehn.
Daß euch zu Göttern macht, was innen mich
Zum Menschen umschuf, ist nur richt'ges Maß:
Ich Tier ward Mensch; ihr Menschen werdet Götter.
So sterbt vielleicht ihr, tauscht das Menschliche
Mit Göttlichem: ein wünschenswerter Tod,
Der Schlimmres nicht als dieses bringen kann!
Was sind die Götter, daß der Mensch wie sie
Nicht werden könnte, teilt er Götterkost?
Sie waren erst und zwangen uns damit
Zum Glauben, alles stamm' von ihnen her.
Ich zweifle dran: ich seh', die schöne Erde,
Vom Sonnenstrahl durchwärmt, erzeugt soviel,
Die Götter nichts. Erzeugten alles sie,
Wer schloß Erkenntnis denn in diesen Baum,
Daß, gegen ihren Wunsch, wer davon ißt,
Zur Weisheit aufsteigt? Und begeht der Mensch
Ein Unrecht, weil nach Wissen ihn verlangt?
Was schadet's Gott? Wenn alles ihm gehört,
Kann, was er vorenthält, die Frucht verleihn?
Wär's Neid? Hat Neid in Himmelsherzen Raum?
All diese Gründe und viel' andre noch
Erweisen es, daß ihr der Frucht bedürft.
Huldreiche Göttin, pflücke denn und iß!

Eva erliegt der Schlange
William Blake - The Temptation and Fall of Eve

 

Eva überzeugt nun Adam, ebenfalls von der verbotenen Frucht zu essen, und siehe da:

Doch andre Wirkung tat die falsche Frucht!
Sie weckte brünst'ge Sinnenlust; begehrlich
Flammt' Adams Blick auf Eva, den ihr Aug'
Gleich lüstern wiedergab; sie tauschten Glut,
Bis er, die Flamme schürend, also sprach:
"...
Noch nie hat deine Schönheit seit dem Tage,
Wo du als Braut, mit jedem Reiz geschmückt,
Zum erstenmal vor mir erschienst, so heiß
Die Sinne mir entflammt; des Baumes Kraft
Hat schöner dich, als du je warst, gemacht."

Eva der Sünde verfallen
Johann Köler - Eva nach dem Sündenfall

So sprach er; und sein Wort begleitete
Verliebtes Spiel, von Eva wohl verstanden,
Aus derem Aug' entzündend Feuer schoß.
Er führte sie zu einer schatt'gen Bank,
Dicht überwölbt mit grünem Blätterdach,
Und ohne Sträuben folgte sie. Gelagert
Auf Veilchen, Asphodill und Hyazinth,
Der Erde weichstem, duftig frischem Phühl,
Genossen sie hier Lieb' und Liebeslust,
Das Siegel ihrer beiderseit'gen Schuld
Und ihrer Sünde Preis; bis dumpfer Schlaf
Die vom Genuß Erschöpften überfiel.
Sobald die Kraft der trügerischen Frucht,
Die ihre Sinne schmeichelnd aufgeregt
Und die Vernunft mit irrem Wahn umspann,
Verrauscht war, auch der wüste Schlaf entfloh,
Der sie mit bösen Träumen ängstigte:
Erhoben sie sich jählings. Unerquickt
Sahn se einander an, und fanden hell
Ihr Auge zwar, doch dunkel ihr Gemüt.
Dahin war Unschuld, die gleich einem Schleier
Bisher des Bösen Kenntnis ihnen barg;
Gewichen war Vertraun und Redlichkeit
Und Ehrgefühl; sie blieben nackt zurück,
Entblößt mehr als bedeckt durch das Gewand
Der schuldbewußten Scham.