Diodor’s von Sicilien
Historische Bibliothek

übersetzt von Julius Friedrich Wurm (1828)

Buch II

7.
Ninus bemächtigte sich der Schatzkammern Baktra's, welche viel Silber und Gold enthielten. Nachdem er die Landesregierung angeordnet, entließ er seine Truppen. Semiramis gebar ihm einen Sohn, Ninyas. Bei seinem Tode ging die Regierung auf seine Wittwe über. Semiramis ließ den Ninus bei der königlichen Wohnung bestatten, und über seinem Grab einen gewaltigen Hügel aufwerfen, neun Stadien hoch, und zehn breit, wie Ktesias schreibt. Da die Stadt in einer Ebene am Euphrat lag, so war der Grabhügel in einer Entfernung von vielen Stadien sichtbar, gleich einer hohen Burg; und noch gegenwärtig soll er vorhanden seyn, obgleich die Stadt Ninus von den Medern zerstört worden ist, als sie dem Assyrischen Reich ein Ende machten. Semiramis, von selbst schon eine unternehmende Frau, und von dem Wunsche beseelt, noch höheren Ruhm, als der verstorbene König, zu erwerben, faßte den Entschluß, eine Stadt in Babylonien zu gründen. Sie berief überallher Baumeister und Künstler, und ließ auch sonst das erforderliche Bauzeug herbeischaffen und zur Ausführung des Werks zwei Millionen Arbeiter aus dem ganzen Reich aufbieten. Die Stadt wurde so angelegt, daß der Euphrat mitten durchfloß, und daß die Mauer, welche die Stadt umgab, und die mit vielen Festen und hohen Thürmen versehen war, einen Umfang von 360 Stadien hatte. Diese Mauer war ein ungeheures Werk, breit genug für sechs Wagen, und ganz unglaublich hoch, wie Ktesias von Knidos behauptet. Klitarch, und Andere, die mit Alexander in Asien gewesen sind, geben den Umfang zu 365 Stadien an; sie setzen hinzu, Semiramis habe absichtlich diese Zahl von Stadien gewählt, weil das Jahr gerade so viel Tage hat. Sie baute die Mauer aus gebrannten Ziegelsteinen, die mit Erdpech gekittet wurden. Nach den neuern Schriftstellern betrug die Höhe der Mauer, die nach Ktesias fünfzig Klafter ausmachte, nur fünfzig Ellen, und die Breite war für zwei Wagen mehr als hinreichend. Die Zahl der Thürme war 250; ihre Höhe und Breite stand im Verhältniß mit der ungeheuren Masse der Mauer. Man darf sich nicht wundern, daß in einem so weiten Umkreis nur so wenige Thürme standen. Denn auf eine weite Strecke war die Stadt mit Sümpfen umgeben; daher hielt es Semiramis nicht für nöthig, auf dieser Seite Thürme zu bauen, wo die Sümpfe eine hinlängliche natürliche Schutzwehr bildeten. Zwischen den Häusern und der Mauer war rings eine 200 Fuß breite Straße frei gelassen.

8.
Um das Bauwesen zu beschleunigen, theilte Semiramis jedem ihrer Freunde ein Stadium zu, und zugleich Alles, was er zum Ueberbauen dieses Platzes bedurfte. Dabei gab sie ihnen den Befehl, die Arbeit in Einem Jahr zu vollenden. Sie befolgten das Gebot, und betrieben ihr Geschäft mit großem Eifer, zur Zufriedenheit der Königin: sie selbst ließ über den Fluß, wo er am schmälsten ist, eine Brücke bauen von 5 Stadien in der Länge. Die Pfeiler wurden künstlich in den Grund eingesenkt; sie standen 12 Fuß von einander ab. Die Steine, welche die Gewölbe bildeten, wurden mit eisernen Zapfen befestigt, und die Fugen derselben mit gegossenem Blei ausgefüllt. Die Pfeiler hatten auf der Seite gegen die Strömung einen eckichten Vorsprung, dessen Seiten geschweift waren, und allmählig bis zu der Breite des Pfeilers ausliefen, so daß das scharfe Eck den Andrang des Gewässers zertheilte, und die dem Stoß ausweichende Rundung die Gewalt des Stromes brach. Die Brücke war mit Cedern- und Cypressenbalken und mit ungewöhnlich großen Palmstämmen belegt, und hatte 30 Fuß in der Breite. Sie war mit so vieler Kunst gebaut, als irgend ein anderes Werk der Semiramis. Zu beiden Seiten des Flusses ließ die Königin einen Uferdamm mit großen Kosten aufführen, so breit als die Mauer, und 160 Stadien lang. Sie baute ferner zwei königliche Palläste am Ufer des Flusses zu beiden Seiten der Brücke; von dort aus konnte sie die ganze Stadt überschauen, und so standen die ihr am vortheilhaftesten gelegenen Plätze derselben immer offen. Da de Euphrat mitten durch Babylon in südlicher Richtung floß, so lag der eine Pallast gegen Osten, der andere gegen Westen. Beide waren mit großem Aufwande eingerichtet. Den auf der Abendseite umschloß von außen eine hohe prächtige Mauer aus gebrannten Ziegelsteinen, welche 60 Stadien im Umfang hatte. Innerhalb derselben war eine andere, kreisrunde, Einfassung, an welcher auf rohen Ziegeln allerhand Thiergestalten abgebildet waren, mit einer die Natur glücklich nachahmenden Farbengebung. Diese Mauer hatte 40 Stadien in der Runde, eine Breite von 300 Ziegeln und, nach Ktesias, eine Höhe von 50 Klaftern; die Thürme waren 70 Klaftern hoch. Eine dritte Einfassung endlich umschloß zunächst die Burg; ihr Umkreis betrug. 20 Stadien, und sie war noch höher und breiter als die mittlere Mauer. An den Thürmen und Mauern sah man Abbildungen von mancherlei Thieren, in Rücksicht auf Farbe und Gestalt wohl getroffen. Das Ganze stellte eine Jagd vor, wo Alles voll war von Thieren jeder Art, in der Größe von mehr als 4 Ellen. Dabei war auch Semiramis, zu Pferd, dargestellt wie sie eben den Spieß nach einem Panther warf, und in geringer Entfernung ihr Gemahl, Ninus, wie er mit der Lanze einen Löwen niederstieß. Die Mauern waren durch drei Thore verschlossen, und innerhalb derselben waren noch zwei eherne angebracht, welche durch eine besondere Vorrichtung geöffnet wurden. Lange nicht so groß und herrlich als dieser Palast war der auf der andern Seite des Flusses. Dort hatte die Mauer, die auch aus gebrannten Ziegeln gebaut war, nur 40 Stadien im Umfang; und statt der kunstreichen Thiergestalten sah man nur die ehernen Bilder des Ninus und der Semiramis und der Statthalter, auch des Zeus, den die Babylonier Belus nennen. Doch fand man auch allerlei Schlacht- und Jagdstücke, die den Beschauern Unterhaltung genug gewährten.

9.
Später ließ Semiramis einen viereckten Wasserbehälter bauen. Sie hatte dazu den am tiefsten gelegenen Platz von ganz Babylonien ausgesucht. Die Seitenwände bestanden aus gebrannten Ziegeln, mit Erdpech gekittet; jede war 300 Stadien lang und 55 Fuß tief. In diesen Behälter leitete die Königin den Fluß ab, um einen Kanal zu graben, der von einem der beiden Palläste zum andern führte. Das Gewölbe wurde aus gebrannten Ziegelsteinen zusammengesetzt, und auf beiden Seiten mit ausgekochtem Erdpech so lange bestrichen, bis der Ueberzug vier Ellen dick war. Die Seitenmauern des Canals hatten die Breite von zwanzig Ziegeln, und waren, die Wölbung nicht mit eingerechnet, zwölf Fuß hoch; der Gang war fünfzehn Fuß breit. In sieben Tagen war die Arbeit vollendet, und nun wurde der Strom in rein altes Bett zurückgeleitet. So floß denn das Wasser über dem Gang hin, und Semiramis konnte von einem Pallast in den andern herüberkommen, ohne über den Fluß zu gehen. An beiden Enden verschloß sie den Gang mit ehernen Thoren, welche bis zur Zeit der Persischen Oberherrschaft stehen blieben. Sie baute ferner mitten in der Stadt einen Tempel des Zeus, der bei den Babyloniern, wie gesagt, Belus heißt. Da die Geschichtschreiber widersprechende Nachrichten liefern, und das Gebäude im Lauf der Zeit zerfallen ist, so läßt sich davon keine genaue Beschreibung geben. So viel wird allgemein behauptet, daß es außerordentlich hoch war, und daß die Chaldäer dort ihre Beobachtungen anstellten, weil sie den Auf- und Untergang der Gestirne auf einem so hohen Gebäude am sichersten wahrnehmen konnten. Das Ganze war aus Ziegeln und Erdpech künstlich zusammengesetzt mit großen Kosten. Oben an der Treppe standen drei goldene, mit dem Hammer gearbeitete, Bildsäulen von Zeus, Hera und Rhea. Die des Zeus war stehend und fortschreitend, 40 Fuß hoch, und 1000 Babylonische Talente schwer. Rhea saß auf einem goldenen Stuhl; ihr Bild war so schwer als das vorige. Bei ihren Knien standen zwei Löwen, und neben ihnen silberne Schlangen von außerordentlicher Größe; jede wog 30 Talente. Die Bildsäule der Hera war stehend, 800 Talente schwer. In der rechten Hand hielt sie eine Schlange am Kopf, und in der linken ein mit Edelsteinen besetztes Scepter. Vor ihnen stand für alle drei ein gemeinschaftlicher Tisch, aus Gold gehämmert, 40 Fuß lang und 50 breit; er hatte ein Gewicht von 500 Talenten. Darauf standen zwei Kelche, 30 Talente schwer, und zwei Rauchgefäße, wovon jedes 300 Talente wog. Auch waren drei goldene Krüge aufgestellt; der des Zeus wog 1200 Babylonische Talente, von den beiden andern aber jeder 6oo. Das Alles haben später die Perserkönige geraubt. Die Königspalläste aber und die übrigen Gebäude sind durch die Länge der Zeit theils von Grund aus zerstört, theils sehr beschädigt. Von Babylon selbst ist gegenwärtig nur noch ein kleiner Theil bewohnt, und der Raum innerhalb der Mauer ist meistens Ackerfeld.

10.
Der sogenannte hängende Garten neben der Burg war nicht ein Werk der Semiramis, sondern eines späteren Assyrischen Königs. Dieser, sagt man, habe einer Nebenfrau zulieb, einer gebornen Perserin, welche die Gebirgsauen vermißte, durch eine künstliche Anpflanzung die Eigenthümlichkeit des Persischen Bodens nachahmen wollen. Jede Seite des Parks war 400 Fuß lang; er zog sich bergan, und hatte mehrere Erhöhungen hintereinander [Terrassen], in der Art, wie man es in einem Theater sieht. Unter diesen abgestuften Anlagen standen Hallenreihen, welche die ganze Masse des Gartens trugen; die folgende war immer, aber nur um Weniges, höher als die vorhergehende. Die letzte Hallenreihe war 50 Fuß hoch; auf derselben ruhte die oberste Fläche des Parks, die in gleicher Höhe mit dem obern Raume der Stadtmauer lag. Die festen Zwischenmauern, auf die man viel verwendet hatte, waren 22 Fuß dick, die Oeffnungen aber 10 Fuß breit. Oben herüber waren steinerne Balken gelegt, welche mit ihren Fugen eine Länge von 16 Fuß hatten, und 4 Fuß breit waren. Die Bedeckung dieser Balken bestand für's erste aus einer Unterlage von Schilfrohr mit vielem Erdpech vermischt, sodann aus einer doppelten Schichte von gebrannten, mit Gyps zusammengefügten, Ziegelsteinen, und darauf folgten noch, als drittes Dach, bleierne Platten, damit die Feuchtigkeit von der Erde nicht in den unteren Raum durchdrang. Auf diesen Grund nun war Erde aufgeschüttet, hoch genug, daß die größten Bäume darin wurzeln konnten. Der Boden war geebnet, und dicht bepflanzt mit Bäumen aller Art, deren Größe und Schönheit einen angenehmen Anblick gewährte. Die Hallenreihen erhielten dadurch Licht, daß sie übereinander hervorragten; es waren darein viele königliche Gemächer zu verschiedenen Zwecken gebaut. In einer derselben aber, welche Oeffnungen gegen die oberste Fläche zu hatte, war ein Pumpwerk angebracht, wodurch man Wasser genug aus dem Fluß heraufziehen konnte, ohne daß man von außen Etwas davon bemerkte. Dieser Park ist, wie gesagt, später angelegt worden.