Diodor’s von Sicilien
Historische Bibliothek

übersetzt von Julius Friedrich Wurm (1828)

Buch II

11.
Semiramis baute noch andere Städte an den Flüssen Euphrat und Tigris; es entstanden dort Handelsplätze für solche Waaren, die aus Medien und Parätacene (eine südlich von Medien gelegene Landschaft von Nord-Persis) und der ganzen benachbarten Gegend kamen. Der Euphrat und der Tigris sind nach dem Nil und dem Ganges wohl die bedeutendsten Flüsse in Asien. Sie entspringen aus den Armenischen Gebirgen, und sind dort 2500 Stadien von einander entfernt. Von Medien und Parätacene aus fließen sie nach Mesopotamien [Mittelflußland], welches ebendaher seinen Namen hat, weil es zwischen den beiden Strömen liegt. Alsdann durchlaufen sie Babylonien, und ergießen sich ins rothe Meer. Weil sie von beträchtlicher Größe sind und eine weite Strecke Landes durchfließen, so bieten sie für den Handelsverkehr viele Vortheile dar. Daher findet man auch, daß die Ufer derselben mit reichen Handelsstädten besetzt sind, welche zum Glanz von Babylon viel beitrugen. In den Armenischen Gebirgen ließ Semiramis ein Felsstück brechen von 130 Fuß in der Länge, und 35 Fuß in der Breite und Dicke. Es wurde durch zahlreiche Gespanne von Maulthieren und Ochsen an den Fluß herabgezogen, und dort auf einen Floß gebracht, auf dem es dann den Strom hinunter bis nach Babylon geführt wurde. Hier wurde es an der Hauptstraße aufgestellt, wo es die Bewunderung der Vorübergehenden auf sich zog. Einige nennen diesen Stein wegen seiner Gestalt einen Obelisk, und zählen ihn unter die sieben berühmtesten Werke.

12.
Zu den merkwürdigsten Erscheinungen in Babylonien gehört besonders auch die Menge von Erdpech, die sich dort erzeugt. Zudem, daß man sehr viel für die zahlreichen großen Gebäude gebraucht hat, findet man es noch in solchem Ueberfluß, daß die Einwohner ausschöpfen dürfen, so viel sie wollen, und das Gesammelte dörren und statt des Holzes brennen. Während aber eine unzählbare Menschenmenge aus der reichen Quelle schöpft, bleibt der Vorrath dennoch immer gleich groß. Nicht weit von dieser Quelle ist eine andere, von geringem Umfang, aber von ganz besonderer Wirkung. Es steigt ein dichter Schwefeldampf aus derselben auf, und jedes lebendige Wesen, das sich nähert, stirbt in kurzer Zeit unter wundersamen Zufällen. Es erstickt durch langes Zurückhalten des Athems, wie wenn eine eigene Macht die Luftwege verschlöße; der Leib schwillt sogleich an und wird vom Brande ergriffen, besonders in der Gegend der Lungen. Jenseits des Flusses ist ein See, der ringsum festen Boden hat, in den sich aber ein Unkundiger nicht wagen darf. Nur kurze Zeit kann er sich schwimmend erhalten; sobald er in die Mitte kommt, so wird er, wie von einer unsichtbaren Gewalt, niedergezogen. Will er sich helfen und wieder umkehren, so strengt er sich vergebens an, herauszuschwimmen; es ist, als ob ihn Jemand rückwärts zöge. Zuerst sterben die Füße ab, dann die Schenkelbeine bis an die Hüften, und am Ende verbreitet sich die Erstarrung durch den ganzen Körper; er sinkt in die Tiefe, und kommt nach einiger Zeit todt wieder herauf. Dieß mag genug seyn über die Merkwürdigkeiten von Babylonien.

13.
Nachdem Semiramis ihre Werke vollendet hatte, so unternahm sie einen Zug nach Medien mit einem großen Heer. Da sie an das Bagistanische Gebirge kam, schlug sie in der Nähe desselben ein Lager. Dort legte sie in der Ebene einen Park an, der zwölf Stadien im Umfang hatte. Es war darin eine beträchtliche Quelle, durch welche der ganze Garten bewässert wurde. Das Bagistanische Gebirge ist dem Zeus geheiligt. Auf der Seite gegen den Park hin hat es schroffe Felsen, die gerad aufsteigen in einer Höhe von 17 Stadien. Den untersten Theil dieses Berges ließ die Königin abtragen, und dann ihr Bild, von 100 Lanzenträgern umgeben, in den Felsen graben, und dazu eine Syrische Inschrift, in welcher es hieß, Semiramis habe am Fuß jener steilen Anhöhe die Packsättel der Lastthiere, die sie in ihrem Gefolge hatte, aufgehäuft, und auf diesem Hügel sey sie bis zur Bergspitze hinaufgestiegen. Sie zog von dort weiter nach Chauon, einer Stadt in Medien. Hier bemerkte sie auf einer hoch gelegenen Ebene einen Fels von erstaunlicher Höhe und Masse. Nun legte sie da einen zweiten, sehr weit ausgedehnten, Park an, so daß in die Mitte desselben der Fels zu stehen kam. Sie baute darin prächtige Lustschlösser, in welchen sie die Anlagen des Parks sowohl als das ganze Lager ihres Heeres im Gefilde übersehen konnte. An diesem Ort hielt sie sich lange Zeit auf, und genoß alle Arten von Vergnügen. Sie wollte keine rechtmäßige Ehe mehr eingehen, aus Furcht, die Oberherrschaft zu verlieren; nun wählte sie sich die Schönsten unter ihren Soldaten aus, um mit ihnen Umgang zu haben; Alle aber, die ihr nahen durften, ließ sie nachher aus dem Wege räumen. Später begab sie sich nach Ekbatana. Auf dem Weg dahin kam sie an das Zarkäische Gebirge. Dieß erstreckte sich auf viele Stadien, und war voll Felsen und Klüfte; man mußte deswegen einen großen Umweg machen. Semiramis nahm sich vor, den Weg abzukürzen, und dadurch zugleich ein unvergängliches Denkmal ihres Namens zu stiften. Sie ließ die schroffen Anhöhen erniedrigen und die Vertiefungen ausfüllen, und mit großen Kosten eine geradere Straße anlegen, die von ihr noch jetzt die Straße der Semiramis heißt. Als sie nach Ekbatana kam, das in der Ebene liegt, so baute sie dort herrliche Palläste, und widmete auch sonst dieser Stadt vorzügliche Sorgfalt. Es fehlte an Wasser, und nirgends war in der Nähe eine Quelle; aber Semiramis versah die ganze Stadt mit völlig reinem Wasser im Ueberfluß, das mit vieler Mühe und großen Kosten hereingeleitet wurde. Von Ekbatana ungefähr 12 Stadien entfernt, liegt der Berg Orontes, der äußerst wild aussieht und wegen seiner steilen Höhe um so größer erscheint; von vorn erhebt er sich in gerader Richtung bis zum Gipfel 25 Stadien hoch. Auf der andern Seite des Bergs ist ein großer See, der in einen Strom ausfließt. Nun ließ Semiramis den Berg unten durchstechen, und leitete durch einen, 15 Fuß breiten und 40 Fuß tiefen, Kanal den Strom aus dem See durch. So führte sie der Stadt eine Fülle von Wasser zu. Dieß war es, was sie in Medien that.

14.
Hierauf durchzog sie Persis und alle übrigen Länder ihres Gebiets in Asien. Ueberall ließ sie Berge und steile Felsen abnehmen, um herrliche Straßen anzulegen, in den Ebenen aber Hügel aufwerfen, bald zu Grabmälern für verstorbene Heerführer, bald, um Städte auf den Anhöhen zu gründen. Auch, wenn man ein Lager schlug, wurde gewöhnlich ein kleiner Hügel errichtet, und auf denselben das Zelt der Königin gestellt, daß sie das ganze Lager überschauen konnte. Manches, was sie in Asien gebaut hat, besteht noch gegenwärtig, unter dem Namen „Werke der Semiramis." Sie durchwanderte ferner ganz Aegypten, unterwarf sich den größten Theil von Libyen, und kam bis zum Orakel des Ammon, bei dem sie sich wegen ihres Todes erkundigte. Sie soll zur Antwort erhalten haben, sie werde aus der Welt verschwinden, und von einigen Völkern in Asien werde ihr göttliche Ehre widerfahren. Dieß werde dann geschehen, wenn ihr Sohn, Ninyas, nach ihrem Leben trachte. Von dort aus kam sie nach Aethiopien. Sie eroberte das Land zum größten Theil, und ließ sich die Merkwürdigkeiten desselben zeigen. Es sey nämlich daselbst, heißt es, ein See von viereckter Gestalt und etwa 160 Fuß im Umfang; das Wasser sey zinnoberroth, und habe einen äußerst angenehmen Geruch, ungefähr wie alter Wein, dabei aber die wunderbare Wirkung, daß man, wenn man davon trinke, in Raserei gerathe, und sich aller Fehler, die man bisher im Verborgenten begangen, selbst anklage. Dieser Erzählung wird übrigens nicht leicht Jemand Glauben schenken.

15.
Ihre Todten bestatten die Aethiopier auf eine eigene Weise. Sie balsamiren die Leichname ein, geben ihnen eine Hülle von dichtem Glase, und stellen sie an einer Säule auf, so daß die Vorübergehenden durch das Glas den todten Körper sehen, wie Herodot erzählt. Diese Nachricht erklärt aber Ktesias von Knidos für falsch. Sie balsamiren, sagt er, allerdings die Leichname ein; aber sie überziehen nicht den Körper unmittelbar mit Glas; sonst würde er ja verbrannt, und ganz entstellt, daß die Gesichtszüge nicht mehr kenntlich wären; sondern sie verfertigen eine hohle goldene Bildsäule, und in diese legen sie den Todten, und überziehen die Bildsäule mit Glas. So sey es denn das, als Sarg hingestellte, goldene Bild des Todten, was durch das Glas durchscheine. So bestatte man die Reichen; Diejenigen aber, die weniger Vermögen hinterlassen, erhalten nur eine silberne Bildsäule, und die Armen eine irdene. Das Glas könne Jeder anschaffen; denn es werde in Aethiopien in Menge bereitet, und sey unter den Einwohnern ganz gemein. Von den Sitten der Aethiopier und den Erzeugnissen ihres Landes werden wir indessen das Wichtigste und Merkwürdigste weiter unten beschreiben, wenn wir auf die alte Geschichte und Mythologie dieses Volkes kommen.