Diodor’s von Sicilien
Historische Bibliothek

übersetzt von Julius Friedrich Wurm (1828)

Buch II

16.
Nachdem Semiramis in Aethiopien und Aegypten die nöthigen Anordnungen getroffen hatte, kehrte sie mit ihrem Heere wieder um nach Baktra in Asien. Ihr Ehrgeiz trieb sie an, nach einer langen Reihe von Friedensjahren jetzt eine glänzende Kriegsunternehmung auszuführen, wozu ihr so viele Mittel zu Gebot standen. Sie hörte, die Inder seyen das größte Volk der Erde, und ihr Land das ausgedehnteste und schönste; daher entschloß sie sich zu einem Feldzug gegen Indien. Dort regierte damals Stabrobates. Er hatte eine unzählbare Menge von Soldaten, und überdieß viele Elephanten, die mit außerordentlicher Pracht ausgerüstet waren, um Schrecken in der Schlacht zu verbreiten. Indien ist ein vorzüglich schönes Land; da es von vielen Flüssen durchschnitten ist, so wird der Boden in manchen Gegenden bewässert, und bringt jährlich zweimal Früchte. Die Lebensbedürfnisse werden in solcher Menge erzeugt, daß die Einwohner immerfort Nahrungsmittel im Ueberfluß haben. Es soll in diesem fruchtbaren Lande noch niemals eine Theurung oder Mißwachs gegeben haben. Die Elephanten, welche dort in unglaublicher Menge zu Hause sind, haben einen weit stärkeren Körperbau und sind viel muthiger als die in Libyen. Ferner findet man Gold, Silber, Eisen, Erz; auch mancherlei kostbare Steine kommen sehr häufig vor. Ueberhaupt bietet das Land beinahe jede Art von Genüssen und von Schåtzen dar. Durch die Schilderung aller dieser Vorzüge angelockt, fing Semiramis einen Krieg mit den Indern an, ohne von ihnen beleidigt zu seyn. Sie sah wohl, daß sie dazu einer außerordentlichen Macht bedürfte; daher schickte sie Boten in alle Standlager aus, mit dem Befehl an die Statthalter, daß sie die tüchtigsten Jünglinge ausheben sollten; die Zahl bestimmte sie nach der Größe der einzelner Länder. Allen gab sie die Weisung, sie sollten ganz neue vollständige Rüstungen anschaffen, und mit allen sonstigen Bedürfnissen reichlich versehen, nach drei Jahren in Baktra sich stellen. Ferner berief sie Schiffsbauleute aus Phönicien, Syrien, Cypern und andern Uferländern; sie ließ ihnen Bauholz im Ueberfluß herführen, woraus sie zerlegbare Flußschiffe zimmern mußten. Denn auf dem Indus, dem größten Fluß in dieser Gegend, welcher die Gränze ihres Gebiets bildete, hatte sie viele Schiffe nöthig, theils zur Ueberfahrt, theils um von denselben aus gegen die Indier zu kämpfen. Weil es aber in der Nähe des Flusses keine Wälder gab, so mußten die Schiffe zu Lande von Baktrien her gebracht werden. Semiramis wußte, wie sehr sie im Nachtheil war, weil sie keine Elephanten hatte. Nun ersann sie ein Mittel, diese Thiere nachzubilden, und sie hoffte, damit die Inder in Schrecken zu setzen, welche meinen, es gebe durchaus nirgends Elephanten als in Indien. Es wurden 300.000 schwarze Ochsen ausgelesen; das Fleisch derselben überließ man den Arbeitern und Dienern, die zu diesem Geschäft bestellt waren; die Häute aber wurden zusammengenäht und mit Heu ausgestopft, und daraus Gebilde geschaffen, welche ganz die Gestalt von natürlichen Elephanten hatten. Im Innern einer solchen Maske war ein Mann, der sie regierte, und von einem Kameel wurde sie getragen; so mußte man sie in der Ferne für einen wahren Elephanten ansehen. Die Arbeiter, welche diese künstlichen Gebilde zusammensetzten, trieben ihr Geschäft in einem rings ummauerten Hof hinter wohl verschlossenen Thüren, und Niemand von den Arbeitern durfte heraus, und eben so wenig Jemand zu ihnen hineingehen. Auf diese Art sollte dafür gesorgt werden, daß man nicht erführe, was innen vorginge, und daß die Inder keine Nachricht davon erhielten.

17.
Die Schiffe und die Thiere wurden in zwei Jahren fertig, und im dritten ließ die Königin ihre Heere aus allen Gegenden in Baktrien zusammenkommen. Die Kriegsmacht, die sich da versammelte, bestand, nach der Angabe des Ktesias von Knidos, aus drei Millionen Fußgängern, 500.000 Reitern, 100.000 Wagen; ebensoviel, als Wagen, waren es Reiter auf Kameelen, mit Schwertern von vier Ellen; 2000 zerlegbare Flußschiffe waren mit Kameelen bespannt, welche die Fahrzeuge zu Lande fortziehen mußten. Von Kameelen wurden auch, wie schon gesagt, die Elephantenbilder getragen. Zu diesen führten die Soldaten ihre Pferde hin, um sie an den Anblick zu gewöhnen, damit sie sich vor solchen wilden Thieren nicht fürchteten. Etwas Aehnliches versuchte in einer viel späteren Zeit Perseus, der König von Macedonien, als er sich in einen Krieg mit den Römern einließ, welche Elephanten aus Libyen hatten. Allein auch ihm schaffte dieses künstliche Mittel keinen entscheidenden Vortheil in der Schlacht; so wenig als der Semiramis, wovon wir bald das Nähere erzählen werden. Der König von Indien, Stabrobates, welcher von der Stärke des versammelten Heeres und von den außerordentlichen Kriegsrüstungen Nachricht erhielt, suchte die Semiramis in jeder Hinsicht zu überbieten. Für's erste baute er 4000 Flußschiffe aus [Bambus-] Rohr. In Indien wächst nämlich an den Flüssen und in sumpfigen Gegenden eine Menge von Rohr, das so dick ist, daß ein Mensch es nicht leicht umspannen kann. Die daraus gebauten Schiffe sollen vorzüglich brauchbar seyn, weil dieses Holz nicht fault. Auch für die Waffenrüstung sorgte der König sehr eifrig. Er durchreiste ganz Indien, und brachte eine noch viel größere Heeresmacht auf, als Semiramis beisammen hatte. Durch eine Elephantenjagd, die er anstellte, vermehrte er noch vielfach die Schaar seiner zahmen Elephanten; er rüstete sie alle herrlich aus mit dem furchtbarsten Kriegsgeräthe, und es mußte, wenn man sie in solcher Menge und mit so drohenden Thürmen anrücken sah, für Menschenkraft unmöglich scheinen, Widerstand zu leisten.

18.
Als er zum Kriege völlig gerüstet war, so schickte er der Semiramis, die schon auf dem Wege war, Boten entgegen, um sich zu beschweren, daß sie ohne alle Veranlassung Krieg anfange. In einem Brief sprach er zugleich abscheuliche Schmähungen wegen ihres buhlerischen Lebens gegen sie aus, und drohte mit einem Schwur bei den Göttern, sie an's Kreuz zu heften, wenn er den Sieg gewänne. Semiramis lachte über diese Drohung, als sie den Brief las; aus ihren Thaten, sagte sie, werde der Inderkönig ihren Heldensinn kennen lernen. Sie rückte mit ihrem Heere vor, und als sie an den Fluß Indus kam, so fand sie die feindlichen Schiffe zum Kampfe gerüstet. Nun ließ sie schnell auch ihre Schiffe aufschlagen, und mit den besten Truppen bemannen, um auf dem Wasser eine Schlacht zu liefern, an welcher zugleich das am Ufer des Flusses gelagerte Kriegsvolk eifrigen Antheil nahm. Lange Zeit blieb das Treffen unentschieden, und auf beiden Seiten wurde tapfer gefochten, bis endlich Semiramis siegte. Sie zerstörte gegen 1000 Schiffe, und machte eine große Zahl Gefangene. Trotzend auf diesen Sieg, griff sie die Inseln in dem Fluß und die Städte auf denselben an, und führte dort über 100.000 Gefangene als Sklaven weg. Der König von Indien zog sich hierauf mit seinem Heere von dem Fluß zurück, und stellte sich, als ob er aus Furcht die Flucht ergriffe; allein seine Absicht war nur, den Feind über den Fluß herüberzulocken. Semiramis ließ, weil ihr das Glück so günstig war, mit großen Kosten eine lange Brücke über den Strom schlagen, auf welcher sie ihr ganzes Heer hinüberführte. Zur Bedeckung der Brücke ließ sie 60.000 Mann zurück, und zog mit den übrigen Truppen weiter, den Indern nach. Voran schickte sie die Elephantenbilder, damit die feindlichen Kundschafter dem König melden sollten, sie führe eine Menge solcher Thiere mit sich. Sie täuschte sich auch nicht in ihrer Hoffnung. Als die Inder von den Kundschaftern, welche sie ausgesandt, erfuhren, wie viel man Elephanten unter dem feindlichen Heere sehe, so konnte Niemand begreifen, woher denn die vielen Thiere, welche die Königin mitbrächte, gekommen seyn sollten. Doch in die Länge blieb der Betrug nicht verborgen. Einige Soldaten der Semiramis waren bei Nacht im Dienst nachläßig gefunden worden, und aus Furcht vor der Strafe, die ihnen bevorstand, gingen sie zu den Feinden über, und Diese verriethen, daß es falsche Elephanten waren. Nun faßte der König von Indien neuen Muth; er machte seinen Truppen kund, was das für Gebilde wären, kehrte wieder um, den Assyrern entgegen, und stellte sich in Schlachtordnung.

19.
Dasselbe that auch Semiramis. Als die Heere sich einander näherten, schickte Stabrobates, der König von Indien, seine Reiter und Wagen weit vor dem Fußvolk voran. Die Königin hielt den Angriff der Reiterei standhaft aus. Sie hatte die künstlichen Elephanten in gleich weit von einander entfernten Reihen dem Zuge vorausgehen lassen, und das machte die Pferde der Inder scheu. Denn die Masken sahen von ferne wahren Elephanten ähnlich, und dieses Anblicks gewohnt, sprengten die Indischen Pferde muthig heran; als ihnen aber ein ungewohnter Geruch entgegenkam, und sie in der Nähe Alles ganz anders sahen als sonst, da geriethen sie in völlige Verwirrung. Die Reiter wurden zum Theil abgeworfen, zum Theil rannten die Rosse, dem Zügel nicht mehr gehorchend, sammt den Reitern dem Feinde gerade in die Hände. Semiramis wußte ihren Vortheil geschickt zu benützen; sie trieb mit ihren auserlesenen Truppen die Inder in die Flucht. Der König Stabrobates ließ sich durch den Rückzug der Reiterei nicht irre machen; die Reihen des Fußvolks mußten nachrücken, und die Elephanten vorangehen. Er selbst führte den rechten Flügel in die Schlacht, und drang, von dem trefflichsten Elephanten getragen, mit furchtbarer Gewalt auf die Königin ein, welche zufällig ihm gegenüberstand. Zugleich griffen auch die andern Elephanten an, und nur kurze Zeit hielten die Truppen, welche Semiramis um sich hatte, wider den Anlauf dieser Thiere Stand, die mit außerordentlichem Muth und auf ihre Stärke trotzend Alles, was sich ihnen entgegenstellte, schnell vertilgten. Viele fanden da ihren Tod, und auf mancherlei Art. Einige wurden von den Elephanten unter die Füße getreten, Andere mit den Zähnen geschlitzt, wieder Andere mit dem Rüssel in die Höhe geschleudert. Die Leichen lagen haufenweise hingestreckt; die augenscheinliche Gefahr verbreitete Entsetzen und Angst, und Niemand wagte mehr, seine Stellung zu behaupten. Als die ganze Schaar die Flucht ergriff, so stürmte der König von Indien auf Semiramis selbst los. Zuerst traf er sie mit einem Pfeil in den Arm; dann verwundete er sie im Rücken mit einem Wurfspieß, der aber nur streifte. Da die Wunde nicht gefährlich war, so entkam Semiramis durch die Schnelligkeit ihres Pferds, das dem nachsetzenden Elephanten weit vorauseilte. Alles floh der Brücke zu, und auf einem engen Raum drängte sich das Heer der Königin in solcher Masse zusammen, daß Manche schon durch ihre eigenen Leute umkamen, indem sie unter dem Gewühl von Reiterei und Fußvolk zertreten oder erdrückt wurden. Die Inder aber trieben sie mit Gewalt vor sich her, so daß bei der angstvollen Flucht über die Brücke Viele auf beiden Seiten derselben hinabgestoßen wurden und in’s Wasser fielen. Nachdem Semiramis den größten Theil der Truppen, die sie aus der Schlacht gerettet, glücklich über den Fluß herübergebracht hatte, so ließ sie die Bänder, welche die Brücke zusammenhielten, abhauen. Dadurch wurde die ganze Floßbrücke in viele Stücke getrennt, die mit einer Menge von Indern, welche darüber gingen, von dem reissenden Strom unaufhaltsam fortgeführt wurden. So kamen viele Inder um, und Semiramis hatte sich hinlänglich gesichert, daß der Feind sie nicht bis auf das andere Ufer verfolgen konnte. Der König von Indien setzte den Krieg nicht weiter fort, weil Zeichen am Himmel erschienen, die von den Wahrsagern als Warnungen gedeutet wurden, daß er nicht über den Fluß gehen sollte. Semiramis wechselte die Gefangenen aus, und kam nach Baktra zurück mit einem Verlust von zwei Drittheilen ihres Heers.

20.
Einige Zeit nachher trachtete ihr Sohn, Ninyas, seiner Mutter nach dem Leben, mit Hülfe eines Verschnittenen. Da erinnerte sie sich an Ammons Spruch, und, statt den Verbrecher zu strafen, übergab sie ihm die Regierung, and gebot ihren Unterthanen, ihm zu gehorchen. Alsdann entzog sie sich alsbald den Blicken der Menschen, als ob sie, dem Orakel gemäß, zu den Göttern gehen wollte. Nach einer fabelhaften Sage verwandelte sie sich in eine Taube, und flog mit vielen Vögeln davon, die sich auf ihre Wohnung niedergelassen hatten. Daher kommt es, wie man sagt, daß die Assyrer die Taube göttlich verehren, weil sie nämlich die Semiramis vergöttern. Auf solche Weise endete diese Königin, die ganz Asien, außer Indien, beherrschte, im zwei und sechzigsten Jahre ihres Lebens und dem zwei und vierzigsten ihrer Regierung. So erzählt Ktesias von Knidos die Geschichte der Semiramis. Athenäus dagegen und andere Schriftsteller berichten, sie sey eine schöne Buhlerin gewesen, und habe sich durch ihre Reize die Liebe des Königs von Assyrien erworben. Zuerst sey sie am königlichen Hofe nicht mit sonderlicher Auszeichnung behandelt, später aber für die rechtmäßige Gemahlin erklärt worden. Nun habe sie den König überredet, daß er ihr auf fünf Tage die Regierung überließ. Nachdem sie das Scepter genommen und das königliche Gewand angelegt, habe sie am ersten Tage ein Fest veranstaltet und ein prächtiges Gastmahl, wobei sie die Heerführer und alle Großen für ihre Absichten gewonnen; am andern Tag aber sich schon vom Volk und den angesehensten Männern als Königin verehren lassen, und ihren Gemahl in's Gefängniß geworfen. Also habe die kühne, unternehmende Frau den Thron bestiegen, und sích auf demselben auch behauptet bis in ihr Alter, und viele große Thaten gethan. So widersprechend lauten die Nachrichten der Geschichtschreiber von der Semiramis.