Sudelbuch
Der Name dieser Kategorie stammt von Georg Christoph Lichtenberg, an den man sich heute vor allem durch die Aphorismen in seinen eigenen Sudelbüchern erinnert.
„Die Kaufleute haben ihr Waste book (Sudelbuch, Klitterbuch glaube ich im Deutschen), darin tragen sie von Tag zu Tag alles ein was sie verkaufen und kaufen, alles durch einander ohne Ordnung, aus diesem wird es in das Journal getragen, wo alles mehr systematisch steht, und endlich kommt es in den Leidger at double entrance nach der italiänischen Art buchzuhalten. In diesem wird mit jedem Mann besonders abgerechnet und zwar erst als Debitor und dann als Creditor gegenüber. Dieses verdient von den Gelehrten nachgeahmt zu werden. Erst ein Buch worin ich alles einschreibe, so wie ich es sehe oder wie es mir meine Gedanken eingeben, alsdann kann dieses wieder in ein anderes getragen werden, wo die Materien mehr abgesondert und geordnet sind, und der Leidger könnte dann die Verbindung und die daraus fließende Erläuterung der Sache in einem ordentlichen Ausdruck enthalten.“ (Georg Christoph Lichtenberg: Sudelbuch E, Eintrag 46)
Zugegeben, ein Sudelbuch, von dem man weiß, dass es jemand anders lesen könnte, ist nicht wirklich ein Sudelbuch. Aber das waren Lichtenbergs Sudelbücher ja auch nicht, obwohl er sie wohl tatsächlich nur für sich selbst geschrieben hat.

Gottes Wille und Vorstellung (1)
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Der Pastorensohn Nietzsche posierte gern als Antichrist. Für ihn war die christliche (ebenso wie die buddhistische) Religion ein lebensfeindliches Übel, und wenn man lange genug in entsprechende Passagen seiner Texte hineinblickt, beginnt man sich zu fragen, wie die europäisch geprägte Menschheit überhaupt jahrhundertelang in einem solchen Abgrund versinken konnte, ohne dabei jämmerlich zugrunde zu gehen.
Christenthum war von Anfang an, wesentlich und gründlich, Ekel und Ueberdruss des Lebens am Leben, welcher sich unter dem Glauben an ein “anderes” oder “besseres” Leben nur verkleidete, nur versteckte, nur aufputzte. Der Hass auf die “Welt”, der Fluch auf die Affekte, die Furcht vor der Schönheit und Sinnlichkeit, ein Jenseits, erfunden, um das Diesseits besser zu verleumden, im Grunde ein Verlangen in’s Nichts, an’s Ende, in’s Ausruhen, hin zum “Sabbat der Sabbate” – dies Alles dünkte mich, ebenso wie der unbedingte Wille des Christenthums, nur moralische Werthe gelten zu lassen, immer wie die gefährlichste und unheimlichste Form aller möglichen Formen eines “Willens zum Untergang”, zum Mindesten ein Zeichen tiefster Erkrankung, Müdigkeit, Missmuthigkeit, Erschöpfung, Verarmung an Leben, – denn vor der Moral (in Sonderheit christlichen, das heisst unbedingten Moral) muss das Leben beständig und unvermeidlich Unrecht bekommen, weil Leben etwas essentiell Unmoralisches ist, – muss endlich das Leben, erdrückt unter dem Gewichte der Verachtung und des ewigen Nein’s, als begehrens-unwürdig, als unwerth an sich empfunden werden.
(Die Geburt der Tragödie)