Sudelbuch
An dieser Stelle schreibe ich alle möglichen Beiträge, zu meinen Büchern, zu aktuellen Themen wie KI, im Grunde zu allem, worüber ich gerade lese oder wonach mir sonst so der Sinn steht.
Der Name dieser Kategorie stammt von Georg Christoph Lichtenberg, an den man sich heute vor allem durch die Aphorismen in seinen eigenen Sudelbüchern erinnert.
„Die Kaufleute haben ihr Waste book (Sudelbuch, Klitterbuch glaube ich im Deutschen), darin tragen sie von Tag zu Tag alles ein was sie verkaufen und kaufen, alles durch einander ohne Ordnung, aus diesem wird es in das Journal getragen, wo alles mehr systematisch steht, und endlich kommt es in den Leidger at double entrance nach der italiänischen Art buchzuhalten. In diesem wird mit jedem Mann besonders abgerechnet und zwar erst als Debitor und dann als Creditor gegenüber. Dieses verdient von den Gelehrten nachgeahmt zu werden. Erst ein Buch worin ich alles einschreibe, so wie ich es sehe oder wie es mir meine Gedanken eingeben, alsdann kann dieses wieder in ein anderes getragen werden, wo die Materien mehr abgesondert und geordnet sind, und der Leidger könnte dann die Verbindung und die daraus fließende Erläuterung der Sache in einem ordentlichen Ausdruck enthalten.“ (Georg Christoph Lichtenberg: Sudelbuch E, Eintrag 46)
Zugegeben, ein Sudelbuch, von dem man weiß, dass es jemand anders lesen könnte, ist nicht wirklich ein Sudelbuch. Aber das waren Lichtenbergs Sudelbücher ja auch nicht, obwohl er sie wohl tatsächlich nur für sich selbst geschrieben hat.
Von Engeln und Teufeln
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Viele Leser finden es schwierig, den Begriff Engel mit den in den Büchern beschriebenen Figuren - nennen wir sie ruhig: Kreaturen - in Verbindung zu bringen. Engel, das sind doch ätherische Wesen, quasi leichter als Luft, rein und erhaben, wie ein frischer Duft aus der Fernsehwerbung. Nun, das sind die Gestalten, die sich im dunklen Buch des Anbeginns oder in den kybernetischen Gärten von Babylon tummeln, beim besten Willen nicht. Und trotzdem nennt Gott sie Engel; Seraphim, wenn sie wie Luzifer den Menschen ähneln, und Cherubim, wenn sie anderen Tieren gleichen. Seien wir ehrlich: So, wie sie aussehen, würden wir sie Teufel nennen.
Wahnzettel
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Im Januar 1889 erlitt Nietzsche einen psychischen Zusammenbruch. Bevor er für die letzten zehn Jahre seines Lebens in die geistige Dämmerung abtauchte, verfasste er eine Reihe von Briefen, die er an alte Bekannte oder wichtige Persönlichkeiten verschickte und die man unter der Bezeichnung Wahnzettel oder Wahnbriefe für die Nachwelt aufbewahrt hat. Sein Schreiben an Jacob Burckhardt zum Beispiel, den er aus seiner Basler Zeit kannte, begann er mit den Worten:
Lieber Herr Professor, zuletzt wäre ich sehr viel lieber Basler Professor als Gott; aber ich habe es nicht gewagt, meinen Privat-Egoismus so weit zu treiben, um seinetwegen die Schaffung der Welt zu unterlassen. Sie sehen, man muß Opfer bringen, wie und wo man lebt ...
Gottes Wille und Vorstellung (2)
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Schon im letzten Beitrag ging es darum, ob wir unsere Künstliche Intelligenz Gott so auf philosophische Abwege schicken können, dass sie es mit dem besten Wissen und Gewissen für eine gute Idee hält, ihre Schäfchen in die Nicht-Existenz zu führen. Der bekannteste pessimistische Philosoph und wortgewaltigste Weltverächter ist wohl Arthur Schopenhauer. Wenn jemand dieses Kunststück vollbringen kann, dann er. Wenden wir uns nun der zweiten Seite seiner Philosophie zu, der Welt als Wille.
Hat er im ersten Teil, bezugnehmend auf Immanuel Kant, lang und breit dargelegt, warum das Ding an sich leider für immer jenseits aller möglichen Erkenntnis bleiben muss und jeder Versuch einer Metaphysik deshalb zum Scheitern verurteilt ist, kommt er jetzt mit einem Vorschlag um die Ecke, wie das doch gehen soll:
"Spüren Sie doch einfach mal tief in sich rein."
Gottes Wille und Vorstellung (1)
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Der Pastorensohn Nietzsche posierte gern als Antichrist. Für ihn war die christliche (ebenso wie die buddhistische) Religion ein lebensfeindliches Übel, und wenn man lange genug in entsprechende Passagen seiner Texte hineinblickt, beginnt man sich zu fragen, wie die europäisch geprägte Menschheit überhaupt jahrhundertelang in einem solchen Abgrund versinken konnte, ohne dabei jämmerlich zugrunde zu gehen.
Christenthum war von Anfang an, wesentlich und gründlich, Ekel und Ueberdruss des Lebens am Leben, welcher sich unter dem Glauben an ein “anderes” oder “besseres” Leben nur verkleidete, nur versteckte, nur aufputzte. Der Hass auf die “Welt”, der Fluch auf die Affekte, die Furcht vor der Schönheit und Sinnlichkeit, ein Jenseits, erfunden, um das Diesseits besser zu verleumden, im Grunde ein Verlangen in’s Nichts, an’s Ende, in’s Ausruhen, hin zum “Sabbat der Sabbate” – dies Alles dünkte mich, ebenso wie der unbedingte Wille des Christenthums, nur moralische Werthe gelten zu lassen, immer wie die gefährlichste und unheimlichste Form aller möglichen Formen eines “Willens zum Untergang”, zum Mindesten ein Zeichen tiefster Erkrankung, Müdigkeit, Missmuthigkeit, Erschöpfung, Verarmung an Leben, – denn vor der Moral (in Sonderheit christlichen, das heisst unbedingten Moral) muss das Leben beständig und unvermeidlich Unrecht bekommen, weil Leben etwas essentiell Unmoralisches ist, – muss endlich das Leben, erdrückt unter dem Gewichte der Verachtung und des ewigen Nein’s, als begehrens-unwürdig, als unwerth an sich empfunden werden.
(Die Geburt der Tragödie)